In einem neuen Rechenzentrum in Norderstedt lagern Informationen über Millionen von norddeutschen Bürgern

Norderstedt. Wo sind die Daten, an die alle ranwollen? Die Hacker dieser Welt, die NSA, das FBI, die CIA oder der MI5? Die streng gesicherten Informationen über Millionen von deutschen Bürgern, die aus den Rechnern der Behörden, der Polizei oder des Finanzamtes sprudeln, wenn die Sachbearbeiter dort die Return-Taste hinter der Suchanfrage drücken? Wo werden sie gebunkert, die über Jahrzehnte gepflegten Kundendaten großer Versicherungen, von Unternehmen oder Organisationen, deren Geschäfte ohne die elektronischen Karteikästen unmöglich würden?

Nun, die Antwort ist nüchtern und klingt so gar nicht nach James Bond. Die Daten liegen gut verwahrt in der Erde unter Norderstedt, genauer gesagt irgendwo an der Ulzburger Straße. Die Adresse, so wurden wir gebeten, sollen wir nicht ganz so laut herausposaunen. Der Sicherheit wegen. Doch jeder, der nicht ganz blind durch Norderstedt geht, weiß ganz genau, wo das neue Fort Knox der Datensicherung steht.

Denn die Baustelle mit dem Rechenzentrum und dem schmucken Bürogebäude davor war in den vergangenen Monaten kaum zu übersehen. Jetzt ist fast alles fertig. Das Rechenzentrum läuft auf vollen Touren. Und wir vom Hamburger Abendblatt sind die ersten Medienvertreter, die es an den doppelt und dreifach gesicherten Gittern und Schleusen vorbei in das geheime Daten-Herz der Stadt geschafft haben.

Unsere Gastgeber sind der Vorstandsvorsitzende Norbert Frank und sein Geschäftsführer Thomas Tauer von der Akquinet AG. Das IT-Beratungsunternehmen hat gemeinsam mit den Stadtwerken Norderstedt und IBM Deutschland das Rechenzentrum im Auftrag der Dataport geplant. Übrigens redundant, als doppeltes Daten-Lottchen. Ein baugleicher Zwilling des Norderstedter Rechenzentrums ist in Hamburg Alsterdorf im Boden verschwunden. Obendrüber entstand eine behindertengerechte Turnhalle für die Stiftung Alsterdorf. Doch dazu später mehr.

50 Millionen Euro wurden in Norderstedt und Alsterdorf für das Twin-Datacenter verbuddelt. Dataport, der IT-Dienstleister für die öffentliche Verwaltung im Norden, braucht Hochsicherheits-Räume für seine Server, auf denen die hochsensiblen Daten der Behörden in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein gespeichert sind. Die Akquinet hat sie geplant, verwaltet sie jetzt und vermarktet die nicht von Dataport belegten Server-Räume für die Privatwirtschaft. Die Norderstedter Stadtwerke liefern den Strom und die Glasfaser-Verbindung zwischen den Twins.

Ein Rechenzentrums-Zwilling musste es sein. Aus der Hypothese heraus, dass schlimme Dinge passieren könnten. Platt gesagt kann nun ein A380 auf das Rechenzentrum in Alsterdorf fallen und alle Server dort vernichten, und trotzdem kann die Verwaltung in Kiel im gleichen Augenblick noch störungsfrei Knöllchen an Parksünder verschicken. Denn in dem Moment, in dem ein Rechenzentrum ausfällt, übernimmt das andere.

„Wer diesen Sicherheits-Standard für seine Daten sucht, der kommt an uns in Norddeutschland nicht mehr vorbei“, sagt Tauer. Norderstedt und Alsterdorf sind State-of-the-Art in Ausstattung, Energieeffizienz und Sicherheitsstandard. 2013 wurde der Twin von der Branche zum international besten neuen Datenzentrum bei den Datacenter Awards in London ausgezeichnet. Norderstedt hat den Daten-Oscar.

Daten werden auf Festplatten gesichert, die wie Pizza-Kartons aussehen

Der Aufwand, der betrieben werden muss, damit unscheinbare, eckige, 1,20 Meter tiefe und 80 Zentimeter breite Datenracks mit Hunderten „Pizza-Kartons“ – so nennen die Datenschützer der Akquinet die eingebauten Festplatten – geschützt werden können, ist immens. Zwei 11.000-Volt-Stromleitungen sorgen dafür, das in der Spitze vier Megawatt Leistung zur Verfügung stehen. Wenn sie ausfallen, was gerade vor ein paar Monaten in Norderstedt der Fall war, dann springen sofort zwei kleintransportergroße Dieselmotoren im Bauch des Zentrums an und produzieren zwei Megawatt Strom – und falls die ausfallen, stehen selbstredend zwei weitere Dieselaggregate bereit.

„Das Rechenzentrum verbraucht so viel Strom wie die Hälfte von Norderstedt“, sagt Thomas Tauer. Und im Notfall könnten die Akquinet-Dieselmotoren ganz Norderstedt mit Strom versorgen. Beruhigend zu hören.

Das Gebäude müsse man sich wie eine Zwiebel vorstellen. „Mit vielen, schwer zu durchdringenden Schichten um den geschützten Kern“, sagt Tauer. Von unten einen Tunnel graben? Aussichtslos. Die Datenleitung anzapfen? Jede noch so minimale Intervention wird sofort entdeckt. Schon die erste Schutzschicht, das Eingangsdrehkreuz in der mit Stahl-Stacheln bewährten Klinkermauer, überwindet nur, wer angemeldet und per Abgleich beim Landeskriminalamt durchleuchtet ist.

Der Empfang des Werkschutzes sitzt hinter schusssicherem Panzerglas

Wer unbedenklich ist, kommt zum mit schusssicherem Panzerglas gesicherten Empfang des Werkschutzes. Nur mit einer Registrierkarte und einem Nummerncode geht es von hier aus weiter, durch Schleusen hindurch, in die immer nur ein Besucher auf einmal passt, und durch Stahltüren, über denen Videokameras hängen. Jeder Schritt wird überwacht. Mitunter müssen Gäste in vorgegebenen Zeitfenstern die für sie frei gegebenen Räume erreichen und sie wieder verlassen – denn sonst verfällt sofort die Zugangsberechtigung und der Werkschutz schaut nach dem Rechten.

Ins Allerheiligste, den Server-Raum von Dataport. dürfen wir nicht. Dafür in einen noch leeren Raum, in dem bald Versicherungen oder andere Unternehmen ihre Daten lagern werden. „Unspektakulär, nicht wahr? Dafür betreiben wir all den Aufwand“, sagt Norbert Frank. Ein kahler Raum mit dem Charme eines Hobbykellers. Aber der besttemperierte, bestabgeschirmte und sicherste Hobbykeller, den man sich vorstellen kann.

Mit 100 Mitarbeitern ist Akquinet nach Norderstedt gekommen. Und 40 Prozent davon sind behindert. Was uns zurück zum Alsterdorfer-Twin und der Turnhalle darauf bringt. Norbert Frank sagt, die Akquinet wolle nachhaltig wirtschaften, arbeite als Integrationsbetrieb ganz eng mit der Stiftung Alsterdorf zusammen. Durch das Rechenzentrum verlaufen eben nicht nur Datenkabel und Starkstromleitungen – es gibt auch eine breite soziale Ader.