Edith Köppen ist 95 Jahre alt und auf den Rollstuhl angewiesen, Behindertenparkplätze darf sie aber nicht nutzen

Norderstedt. Edith Köppen liest gerne Bücher. Weil es mit den Augen nicht mehr so gut klappt, legt sie das jeweilige Buch in ein Lesegerät. Zurzeit arbeitet sie sich auf diese Weise durch einen historischen Hamburg-Krimi – der ist für die gebürtige Hamburgerin ein Genuss. Viele Straßennamen sind ihr geläufig, überall ist sie gewesen. Früher natürlich. Denn heute ist sie rein körperlich nicht mehr so mobil: Edith Köppen ist 95 Jahre alt, lebt seit einigen Monaten in der Altenpension Kornhoop in Norderstedt. Wenn sie im Haus unterwegs ist, benutzt sie einen Rollator, außerhalb des Hauses ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen. Und hier beginnt das Problem.

Weil Edith Köppen immer noch aktiv mitten im Leben steht und sich nicht nur in der Altenpension aufhalten möchte, lässt sie sich von ihrer Tochter Elisabeth Roloff-Weickert gerne mal ein bisschen herumkutschieren. Die Tochter und andere Familienangehörige machen das gerne: „Damit sie im Heim geistig nicht verkümmert, halten wir Familienangehörigen es für erstrebenswert, bei guter Witterung mit ihr Ausflüge zu machen“, sagt die ganz in der Nähe lebende Tochter, die ihre Mutter mitsamt dem Rollstuhl dann in ihrem Wagen verfrachtet und losfährt.

Normale Parkplätze reichen für Rollstuhlfahrer nicht aus

Normale Parkbuchten reichen nicht aus, um den Rollstuhl ein- oder auszuladen und ihn zu bugsieren. Dafür gibt es ja auch überall extra breite Behindertenparkplätze. Einen solchen steuerte Elisabeth Roloff-Weickert an, als sie mit ihrer Mutter vor einigen Wochen einen kleinen Ausflug zum Schmuggelstieg am Ochsenzoll unternahm. Sie stellte ihr Auto auf den extra ausgewiesenen Parkplatz, hob den Rollstuhl heraus, setzte ihre Mutter hinein und machte mit ihr einen kleinen Einkaufsbummel durch Norderstedts ältestes Einkaufszentrum. Hinter die Windschutzscheibe legte sie gut sichtbar ein Schreiben vom schleswig-holsteinischen Landesamt für soziale Dienste, aus dem hervorging, dass ihre Mutter zu 100 Prozent schwerbehindert ist.

Dieses Schreiben reichte aber nicht aus, um das Auto auf diesem Parkplatz abzustellen. Als beide nach einiger Zeit wieder in das Auto steigen wollten, hing eine gebührenpflichtige Verwarnung unter dem Scheibenwischer: Wegen unberechtigten Parkens auf einem Behindertenparkplatz sollte ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet werden. Elisabeth Roloff-Weickert legte Einspruch ein und beschaffte sich vom Hausarzt ihrer Mutter ein Attest: „Hiermit kann ich bestätigen, dass Frau Köppen aufgrund der Vielzahl ihrer Erkrankungen stark gehbehindert und teilweise auf einen Rollstuhl angewiesen ist“, heißt es in dem Attest.

Die Stadt Norderstedt stellte das Ordnungswidrigkeitsverfahren ein

Der Stadt Norderstedt reichte das Attest: Das Verfahren wurde eingestellt. Edith Köppen und ihre Tochter waren erfreut, ein Freibrief für künftiges Parken auf Behindertenparkplätzen ist das jedoch nicht. Denn Norderstedt war kulant, ohne es rechtlich sein zu müssen: Der Schwerbehindertenausweis, den Edith Köppen inzwischen besitzt, reicht nicht aus: Um auf Behindertenparkplätzen stehen zu können, ist die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ („außergewöhnliche Gehbehinderung“) erforderlich.

Und dieses Merkzeichen erkennt das Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein Edith Köppen aus Norderstedt nicht zu. Sie gehöre nicht zum Personenkreis, der sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen könne. Zu diesem Personenkreis gehören Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte oder Doppelunterschenkelamputierte. Eine 95 Jahre alte Dame, die ohne Rollstuhl keine größeren Strecken mehr bewältigen kann, gehört augenscheinlich nicht zu diesem Personenkreis. „Die Hürde ist hoch“, sagt ein Sprecher des Landesamts für soziale Dienste in Lübeck. „Wer noch 30 bis 40 Meter alleine gehen kann, bekommt das Merkzeichen nicht; es gibt ja auch nur wenige ausgewiesene Behindertenparkplätze.“ Das hohe Alter reiche auch im Zusammenhang mit einer schweren Gehbehinderung nicht aus.“ Einen kleinen Trost gibt es für Edith Köppen: Sie erfüllt die Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für Parkerleichterung. Für Elisabeth Roloff-Weickert bedeutet das: Sie darf ihr Auto auch im Halteverbot drei Stunden stehen lassen, wenn sie mit ihrer Mutter unterwegs ist.