Der Norderstedter Tontechniker Helmut Steffens nimmt mit seinem mobilen Studio in Kirchen, Wohnzimmern und Jazzclubs auf

Helmut Steffens ist so unauffällig wie möglich, schreitet leise durch die Kirche, schaut sich in Ruhe die Architektur des Raumes an. Er geht sacht umher, setzt sich hin, während vorne beim Altarraum Musiker proben. Steffens zückt einen Notizblock. Darin schreibt er alles auf, was ihm heute wichtig ist. Wo ist der Hall am stärksten, wo wird er reflektiert, wo gelangt er gar nicht hin? Wie weit in den Raum kann man die Musiker gut und klar hören? Für Steffens sind diese Informationen das A und O, denn der Norderstedter ist Tontechniker. Aber nicht irgendeiner. Steffens ist immer wieder auf Tour im Hamburger Raum – mit seinem mobilen Tonstudio.

Für gewöhnlich gehen Musiker, wenn sie eine CD aufnehmen wollen, in ein komplett ausgestattetes Tonstudio. Dort werden dann in optimal schallgedämpften Räumen sauber gestimmte Instrumente und unverfälschter Gesang mit einer Vielzahl von technischen Geräten aufgenommen und später abgemischt, bis der Klang für die CD auch wirklich so ist, wie gewünscht. Es gibt aber auch Momente, da ist der Weg ins Studio genau der Weg, den Musiker nicht gehen wollen. Etwa bei einem Live-Mitschnitt. Eine besondere Herausforderung, denn nicht jedes Instrument, jede Stimme, wird einzeln oder im Paar aufgenommen. Nein, die ganze Gruppe, das ganze Ensemble, das ganze Orchester muss perfekt zusammenspielen. Falsche Noten sind dann fatal, denn: Eine zweite Chance für die Live-Aufnahme gibt es nicht. So wie auch an diesem Tag.

Helmut Steffens ist von einem Kammerorchester für eine Live-CD-Aufnahme engagiert worden. Werke von Georg Philipp Telemann sollen auf die CD – live vor Publikum in der Kirche eingespielt. „Ich weiß vorher nie, welche Akustik mich in den Räumen erwartet“, sagt Steffens. Deshalb schaut er sich den Raum bereits während der Generalprobe an und macht sich seine Notizen, um später, wenn es um alles oder nichts geht, perfekt vorbereitet zu sein.

Eine Woche nach der Probe ist Steffens erneut in der Kirche. Diesmal ist nicht nur sein Notizblock dabei. Mehrere große Reisekoffer schleppt er mit sich. Einer ist gefüllt mit dicken, endlos langen Kabeln, ein anderer mit schweren Stativen, ein dritter mit diversen kleineren Köfferchen und Schachteln. Stück für Stück holt Steffens die kleinen Kisten heraus, öffnet dann eine ganz kleine. „Das ist das Herzstück der Aufnahme“, sagt er und zeigt auf zwei kleine, in Schaumstoff gebettete schwarze Stäbe in der Kiste, die etwa daumenlang sind. Es sind die Richtmikrofone, die an diesem Abend zum Einsatz kommen werden. Jedes einzelne kostet mehr als 1000 Euro.

Die unscheinbaren Richtmikrofone kosten mehr als 1000 Euro pro Stück

„Diese Mikrofone sind auf die Größe gerechnet das Teuerste, was ich mit mir herumtrage. Sie sind aber jeden Cent wert“, sagt Steffens. Denn Mikrofon ist nicht gleich Mikrofon. Das weiß der Tontechniker und studierte Elektrotechniker nur zu gut. Doch ein Mikrofon alleine macht noch keine CD. Stück für Stück packt Steffens einen Laptop aus, einen Röhrenvorverstärker, einen Wandler, der analoge in digitale Signale für den Computer umwandelt, und einen Transistorvorverstärker. Ohne diese Geräte, die fast nach nichts aussehen, geht gar nichts in einem Tonstudio.

„Es ist oft so, dass manche Komponenten, wie Röhrenvorverstärker, völlig veraltet aussehen. In Wirklichkeit sind genau das die Geräte, die richtig gut sind und einen warmen Klang produzieren“, sagt er. Und teuer sind sie. Für die Aufnahme in der Kirche hat er Elektronik dabei, die im fünfstelligen Eurobereich liegt – aber nach deutlich weniger aussieht.

Nur vier Mikrofone stellt Steffens für das gesamte Orchester in etwa fünf Metern Entfernung auf einem Stativ auf, zwei davon sind die kleinen Richtmikrofone. Die Mikrofone werden mit einer Schablone in den notwendigen Winkel montiert. Mehr, so sagt Steffens, brauche er heute nicht. „Natürlich könnte ich für jedes einzelne Instrument ein Mikrofon nutzen. Dann geht aber das Raumempfinden der Kirche flöten“, sagt er. Und das Publikum? „Das bekommt kein Mikrofon. Die Publikumstöne will auch keiner haben“, sagt er und lächelt.

Das Husten und Rascheln des Publikums macht die Aufnahme kaputt

Bei Popkonzerten, da sei der Klang des Jubels, die Stimmung, das besondere Ambiente des Konzertes auf der CD erwünscht. Bei einem Barockkonzert in einer Kirche sei das völlig anders. „Das ist teils sehr sensible, ruhige Musik, anders als Rock, Pop oder Jazz. Bei Klassikkonzerten hören sie dann ständig ein Knistern oder Geraschel, Räuspern, Husten und Schneuzen des Publikums. Das macht die Aufnahme kaputt“, findet der Tontechniker. Aber wenn er wollte, könnte er mit zwei Mikrofonen noch etwas Publikumsklang untermischen. Ob das sinnvoll sei, werde sich später zeigen, wenn er im Büro die Tonspuren abmischt.

Während Steffens seine Komponenten im Kirchenschiff aufbaut, übt das Orchester weiter. Ein Problem stellt sich öfter für den Tontechniker, wenn er an den Aufnahmeorten ankommt: Für die Aufnahme muss er später alle technischen Komponenten im Blick haben. Auf einem ebenerdigen Boden, wie in der Kirche, ist das nicht leicht, da die Verstärker teils aus Platzgründen hintereinander stehen müssen. Doch der Tontechniker nimmt nicht das erste Mal in einer Kirche eine CD auf und weiß sich zu helfen. Ein Stapel Gesangsbücher hebt einen der Verstärker und den Wandler innerhalb von Sekunden auf die gewünschte Höhe. „Evangelische Gesangsbücher sind dafür übrigens besser geeignet als katholische“, sagt Steffens und grinst. „Die evangelischen haben mehr Lieder und sind daher dicker.“

Seine erste Platte hat Steffens 1974 aufgenommen, eine Kammerorchesteraufnahme. Es war zuerst ein Spaß, den er neben dem Studium begann, der aber immer mehr zu seinem Leben wurde. Seit 2007 ist er regelmäßig unterwegs, von Kirche zu Veranstaltungshalle, von Proberaum zu Wohnzimmer. „Viele wissen das gar nicht, aber in Wohnzimmern kann man ganz wunderbare CDs aufnehmen“, sagt der Norderstedter. Sofas und Sessel, Teppiche und Gardinen, sie alle würden den Hall wunderbar eliminieren, teils besser als in einem Tonstudio.

Sein Beruf, er bringt ihm Spaß. Auch wenn dieser manchmal etwas stressig ist. „Kurz vor Weihnachten kommen die meisten Aufträge“, sagt er, da käme er kaum zur Ruhe. Denn zum Weihnachtsgeschäft würden viele neue CDs aufnehmen wollen. Andere Monate dagegen sind ihm fast zu ruhig. Beklagen will er sich aber nicht, denn in anderen Branchen sei das auch nicht anders.

Und was ist besonders schwer aufzunehmen? „In der Gesamtheit betrachtet sind es große Orchester. Wenn da 120 Musiker sind, ist das wirklich hart“, sagt er. Die vielen verschiedenen Instrumente mit ihren Eigenheiten natürlich und abgewogen aufzunehmen, erfordere Wissen, ein gutes Gehör und Intuition. Auch in einem Jazzclub eine Band aufzunehmen sei komplex. Die Räumlichkeiten, gepaart mit Schlagzeug, Blechbläsern, Piano und Akustikbass auf kleinstem Raum, das erfordere zuweilen Kreativität, um alles sauber aufzunehmen.

Das Schlagzeugspiel ist besonders schwierig aufzunehmen

Bei den Einzelinstrumenten sei das Schlagzeug das, was am meisten herausfordere. Steffens ist selbst nebenbei als Schlagzeuger für diverse Jazzgruppen tätig. Er weiß daher nur zu genau, wie kompliziert es ist, die vielen Trommeln und Becken sauber aufzunehmen, ohne Klangmatsch zu produzieren. Und dafür braucht es viele, viele Mikrofone.

Steffens hat inzwischen alles in der Kirche aufgebaut, alle Kabel verlegt und startet den Laptop. Dort wird eine Testaufnahme mit dem digitalen Mischpult aufgezeichnet. Der Tontechniker steuert die Kanäle der Mikrofone aus, bis alle Klangwerte optimal sind. Knapp drei Stunden hat das Prozedere gedauert. „Nun kann ich entspannen“, sagt er. Die eigentliche Aufnahme, die in Kürze beginnt, das sei nur noch ein Knopfdruck. Dann könne er die Musik genießen – und hin und wieder einen Kontrollblick auf den Laptop werfen. Am Ende wird er fast vier Gigabyte an Daten auf dem Laptop abspeichern. Diese Rohdaten werden später abgemischt und dann auf CD gepresst. „Das Abmischen ist fast Routine“, sagt er.

Steffens hofft nun, dass beim Konzert alles glattgeht, dass keine äußeren Faktoren die Aufnahme in Gefahr bringen – etwa das Publikum. Einmal, so erzählt er, wäre ihm beinahe das Herz in die Hose gerutscht bei einer Aufnahme. Eine ältere Dame wollte aufstehen und fand, dass der Ständer mit den sündhaft teuren Mikrofonen eine klasse Aufstehhilfe sei. „Da habe ich Blut und Wasser geschwitzt, als ich die Mikrofone wackeln sah“, sagt er. Am Ende blieben die Mikrofone heil und die Aufnahme war sauber im Kasten – so wie an diesem Tag auch.