Eine Glosse von Manfred Scholz

In jungen Jahren war ich topfit und hatte kein Gramm zu viel auf den Rippen. Später entdeckte ich das Essen. Unter uns: Eines der schönsten sinnlichen Genüsse! Hemmungslos langte ich hin. Unmerklich nahm ich zu – Kilo um Kilo. Ich verdrängte es. Vor Kurzem, auf einer schönen Reise, wurde ich öfters fotografiert. Auf den Bildern sah ich einen Mann mit der Figur einer Regentonne und einem runden Gesicht. Wer war bloß der Fettklops auf den Fotos? Wer wohl?

Ich bekam den Schock meines Lebens. In mir begann es zu brodeln. Tief fühlte ich mich in meinem Stolz verletzt. Wollte ich weiterhin als Moppel durch die Gegend stapfen? So kam eine Eigenschaft ins Spiel, die bei mir bislang nur eine untergeordnete Rolle spielte: Eitelkeit. Äußerlichkeiten waren mir nie wichtig. Ich werte Menschen nach Hirn und Herz und nicht nach irgendwelchen Statussymbolen. Und: Warum sprach mich keiner auf meinen Bauch an?

Auch eine Reise über 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt. Sagen die Chinesen. Ab sofort fiel bei mir das üppige Frühstück weg. Zwischendurch gab es keine leckeren Häppchen mehr, die Keksdose blieb zu, und Schokolade war Teufelszeug. Abends war Obstsalat angesagt, die Aufschnittplatte war tabu. Ich litt wochenlang wie ein Hund – und war manchmal der Verzweiflung nahe. Grund: Die Waage zeigte morgens oft nur minimale Verluste an. Kein Wunder: Was ich mir in Jahren, pardon, angefressen hatte, geht nicht von heute auf morgen wieder weg. Aber die gekränkte Eitelkeit ließ mich durchhalten – bis heute. Juchhuh!

Beim mühseligen Rückweg zum Wohlfühlgewicht schwor ich mir: Der Erste, dem meine Veränderung auffällt, spendiere ich ein Restaurantbesuch. Sohnemann war es, und der freut sich jetzt mit seiner Freundin auf ein schönes Essen. Ich werde dabei sein – aber nur schüchtern zugreifen. Ich bin ein gebranntes Kind.