Sylvia Brandis entdeckte ihre Liebe zu Pferden als junges Mädchen. In ihrem Buch „Windsbraut“ erzählt die 55-Jährige von ihrer Kindheit und Jugend sowie ihrer Schulzeit am Coppernicus-Gymnasium

Warum wählst du kein braves Pferd?, wollte meine fassungslose Mutter wissen, und ich konnte ihr keine schlüssige Antwort geben. Was soll man auf solche Fragen schon antworten? Ich bin nicht der Typ, der klein beigibt?“

Dieser Typ, der nicht gern klein beigibt, ist Sylvia Brandis, und heute hat sie unzählige Stürze hinter sich. Vom Rücken ihrer Pferde. Doch immer wieder rappelt sie sich auf und reitet weiter. Sylvia Brandis hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht, Sie ist Equitherapeutin, romantisch-populär Pferdeflüsterin, lebt und arbeitet mal in Australien, mal in Schweden, schreibt als Journalistin für die Wochenzeitung „Die Zeit“. In ihren 20er-Jahren lebte die heute 55-Jährige mit dem Schriftsteller Wolf-Dietrich Schnurre zusammen, durch den sie viele berühmte Autoren kennenlernte.

Aufgewachsen mit Pferden ist sie jedoch in einem norddeutschen Pferde-Dorf, in Garstedt, seit Stadtgründung 1970 ein Stadtteil von Norderstedt. Jetzt veröffentlicht sie ihre Erfahrungen in dem Buch „Windsbraut – Wie ich lernte, die Sprache der Pferde zu verstehen“. Es erscheint zur Leipziger Buchmesse bei Rütten und Loening im renommierten Berliner Aufbau-Verlag.

In ihrem autobiografischen Buch reduziert sie ihren einstigen Lebensabschnittsgefährten Wolf-Dietrich Schnurre zu „S“. Das jedenfalls verriet sie dem Hamburger Abendblatt. Und auch sonst so einiges, beispielsweise über ihre Schulzeit, über ihre Lehrer am Norderstedter Coppernicus-Gymnasium, über das Leben im Reihenhaus am Garstedter Richtweg.

„Seit ich Pferde verstehe, komme ich auch besser mit Menschen klar“, sagt Sylvia Brandis heute. Die Tierärztin und Autorin hat sich in einer Männerdomäne durchgesetzt.

Ihr erstes Pferd, abgesehen von Plastik-Spielpferden, war ein von ihrer Schwester Marion gebasteltes Steckenpferd aus Holz. Sie fühlte sich stets im Schatten ihrer geliebten großen Schwester, die alles erfüllte, was von Kindern einer Akademikerfamilie erwartet wurde. Und sie? Sie hatte sogar Angst vor Pferden. Die galt es zu überwinden. Also rauf aufs Pferd.

„Mein erstes Pferd ist schwarz und namenlos, mein allererster Ritt ein rasant gestreckter Galopp über ein großes, gelbes Stoppelfeld. (...) Ich war so glücklich wie nie zuvor“, schreibt sie in ihrem Buch. Abwechselnd führt sie in ihre Vergangenheit und erzählt sukzessive ihre Entwicklung. Dazwischen setzt sie Berichte aus ihrem heutigen Berufsalltag in Schweden und Australien. Diese Abwechslung gibt „Windsbraut“ Rhythmus und Spannung.

Der erste Ritt dämpfte die Angst vor großen Tieren. Ihre Eltern meldeten sie in einem Reitstall bei „Herrn Hildebrand“ an, ihrem ersten Reitlehrer. Der Ton war Anfang der 70er-Jahre noch rau im Stall, es ging zu „wie beim Kommiss“. Die Pferde standen eng in den Boxen, angebunden mit dem Kopf gegen die Wand, im Halbdunkel, Weidetage waren selten, das Tierschutzgesetz lückenhaft. Diese Pferde-Misere, die vor 40 Jahren niemand wahrnahm, schildert Brandis bildhaft bis ins Detail.

Bald ritt sie fünf bis sechs Pferde täglich, Pferde, deren Besitzer keine Zeit hatten, sie zu bewegen. Neben der Schule und dem Familienleben im Reihenhaus am Garstedter Richtweg. Ihr Vater Wolf Brandis war Richter am Oberlandesgericht Hamburg, ihre Mutter hat Sprachen studiert. Ihre beste Freundin war – und ist es wieder – Nora Bender, geborene Bretfeld. Der Vater war Wilhelm Bretfeld und Schulleiter der Grundschule Niendorfer Straße, die Familie lebte am Langen Kamp. Sylvia Brandis ging erst zur Grundschule Lütjenmoor, dann zum Coppernicus-Gymnasium. Den Unterricht Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre empfand sie „als kompetent, das Niveau dessen, was man lernte, anspruchsvoll“.

Ihr Deutschlehrer war Dieter Splittstößer, der später das Lessing-Gymnasium leitete. „Er war ein engagierter, manchmal strenger Lehrer mit hohen Anforderungen. Ich mochte ihn, hatte Respekt vor ihm und habe viel von ihm gelernt“, sagt Brandis. Trotzdem hat sie keine guten Erinnerungen ans Copp, und das Schulgebäude ist ihr noch heute verhasst. Als 16-Jährige fühlte sie sich einsam, litt unter der kalten Atmosphäre. „Menschlichkeit wurde kleingeschrieben, als Schüler war man ein Nichts“, sagt Brandis. Damals sah sie sich als „hässliches Entlein“. Die Leichtigkeit des Seins erfasste Sylvia Brandis erst, als sie das „Copp“ mit dem Abitur verlassen konnte. Plötzlich konnte sie auf andere Menschen sorglos zugehen. Sie studierte Veterinär-Medizin in Berlin, lernte den Dramatiker Max Frisch in der Schweiz kennen, durfte sogar bei ihm im Haus in Berzona eine Woche wohnen. Sie lebte mit Wolf-Dietrich Schnurre zusammen, der auch ihre Eltern im Garstedter Richtweg besuchte, traf Heinrich Böll und Günter Grass, Wolfgang Koeppen und Sarah Kirsch. Sylvia Brandis ist angekommen. „Solange es noch Geschichten zu erzählen gibt, ist noch nichts verloren“, schreibt sie zum Schluss.

„Die Windsbraut“, erschienen bei Rütten und Loening im Aufbau-Verlag, 352 Seiten mit Fotos, gibt es zu 19,99 Euro im Buchhandel.