Der Mann, der eine fast blinde Frau missbrauchte, schildert die Tat ohne emotionale Beteiligung

Hardebek/Kiel. Im Prozess um die Vergewaltigung einer fast blinden Frau in Hardebek im Juni des vergangenen Jahres wurde am zweiten Verhandlungstag vor dem Kieler Landgericht das Video mit der Vernehmung des 29 Jahre alten Opfers Cristin S. abgespielt, und zwar unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Was Cristin S. nach der Gewalttat zu Protokoll gab, berichtete die vernehmende Polizeibeamtin. Danach zog der Angeklagte Mario E., 26, aus Borstel die junge Frau, die gerade ihren abendlichen Spaziergang unternahm, hinter einen Knick und vergewaltigte sie. Nach ihrer Wahrnehmung habe der Täter vorher mit den Händen vor ihren Augen gewedelt, als habe er überprüfen wollen, ob sein Opfer wirklich nichts sehe. Der Angeklagte hatte die Tat zwar gestanden, aber behauptet, von der Sehbehinderung seines Opfers nichts gewusst zu haben. Blindenstock und Armbinden habe er nicht bemerkt, so Mario E.

Trotz ihrer starken Sehbehinderung war die in Hardebek in einer therapeutischen Einrichtung lebende Cristin S. in der Lage, die Polizisten zum Tatort zu führen, wo das vom Täter benutzte Kondom gefunden wurde. Anhand daran befindlicher DNA-Spuren wurde Mario E. überführt und bei der Arbeit auf einem Hof in Borstel festgenommen. Seit Juli 2013 sitzt der Angeklagte in Neumünster in Haft und legt wegen befürchteter Racheakte auch keinen Wert auf eine Entlassung, heißt es aus Justizkreisen.

Mario E. hatte die Vergewaltigung sowohl gegenüber der Polizei als auch im Prozess ohne große Gefühlsregung gestanden und versucht, Fragen nach Details zum Tatverlauf in gereiztem Ton abzublocken. Ähnlich schildert der im Prozess anwesende psychiatrische Gutachter die Gespräche, die er im Gefängnis mit Mario E. führte. Dort habe der Angeklagte die Tat ohne emotionale Beteiligung geschildert. Laut Gutachter habe der Angeklagte, der mit neun Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, nie gelernt, Gefühle zu entwickeln, weder für sich selbst noch für andere. Schon als Kind habe er immer funktionieren müssen, habe früh als Landwirtschaftshelfer gearbeitet und das Geld zu Hause abgeben müssen. Nach der Wertung des Psychologen war die Tat des Mario E. kein Akt der Machtausübung, sondern diente rein der Triebbefriedigung.

Der unterdurchschnittlich intelligente Mann sei sich der Folgen seiner Tat für sein Opfer nicht bewusst gewesen. Er sei jedoch laut Gutachter sehr wohl dazu fähig zu erkennen, was richtig und was falsch ist. Somit dürfte der Angeklagte vom Gericht als voll schuldfähig eingestuft werden.

Die Abschlussplädoyers und das Urteil werden für kommenden Montag erwartet.