Der langjährige Kantor und Organist der Hamburger St.-Petri-Kirche, Ernst-Ulrich von Kameke aus Großenaspe, feiert an diesem Sonnabend seinen 88. Geburtstag

Die Wiedervereinigung Deutschlands hat ihn derart tief bewegt, dass er dafür unbedingt ein Oratorium schreiben will. „Es muss klar werden, dass für derart dramatische Ereignisse ein Musikstück zwingend notwendig ist“, sagt Ernst-Ulrich Hubert Konrad Traugott von Kameke. Der Komponist, Organist und Chorleiter ist ein wacher Beobachter der Zeit – und er ist darüber hinaus zweifellos ein Jahrhundert-Musiker.

Ernst-Ulrich von Kameke wurde am 1. März 1926 geboren. Am Sonnabend feiert er seinen 88. Geburtstag. Ihm zu Ehren wird ein Konzert in der Katharinenkirche zu Großenaspe gegeben. „Ich hatte ein inhaltsreiches Leben“, sagt der Jubilar. Früh habe er erkannt, dass die Musik das Fundament dieses Lebens ist. „Musik ist die anerkannt höchste der Wissenschaften“, sagt von Kameke. Für ihn lebt die Musik aus ihrer Bewegung heraus, ist bewegte Materie. 32 Jahre war er Kantor und Organist der Hamburger Hauptkirche St. Petri an der Mönckebergstraße und Professor für Orgel an der Hamburger Musikschule.

Er leitete den berühmten Hamburger Bachchor St. Petri und führte den Chor auf Tourneen durch Asien, Süd- und Nordamerika von einem Erfolg zum anderen. Aus Saõ Paulo brachte er seine erste Frau Karin Krueder mit. Die Ehe hielt 25Jahre. Sohn Hans-Claudio wurde 1960 geboren, Tochter Donata 1962 und Sohn Bernd-Christian 1965.

Heute ist Ehefrau Rosemarie Stölting an seiner Seite, auch schon seit fast 30 Jahren. Rosemarie von Kameke ist Landwirtstochter aus Großenaspe und die gute Seele an der Seite des umtriebigen Musikers. Das Paar lernte sich beim Ehepaar Hatlapa, Gründer des Naturparks Eekholt, kennen.

Ernst-Ulrich von Kameke ist an einem sehr geschichtsträchtigsten Ort in Deutschland aufgewachsen. In Potsdam. Und er ist vielen wichtigen Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts begegnet. Den Guten. Und den Bösen, den Jahrhundertmördern. „13 Jahre war ich alt, als ich Adolf Hitler und Paul von Hindenburg in der Potsdamer Garnisonskirche sah“, sagt von Kameke. Er spielte die Orgel zur Vereidigung von 3000 Soldaten in der Potsdamer Garnisonskirche. Das war im Jahr 1939. Am 1.September des Jahres überfiel Hitler-Deutschland bekanntlich Polen.

„Ich verdanke es der Musik, dass ich im Krieg am Leben geblieben bin“, sagt von Kameke. Seine an Klavier und Orgel trainierten Finger machten ihn zu einem schnellen Funker. Er wurde von der Front verschont und konnte als Funker in Neuruppin arbeiten.

Zu den guten Persönlichkeiten zählten die Menschen, die er durch seinen Vater kennenlernte, einen Musikliebhaber und Juristen. Der nahm ihn mit zu Konzerten nach Berlin, nahm in mit in die Künstlerzimmer von Wilhelm Furtwängler, Wilhelm Kempff, zu den Großen der Musik.

Die Erinnerung an die großen Meister beflügelt ihn bis heute, wenn er in seinem Musikzimmer mit eigener Orgel im Elternhaus seiner Ehefrau in Großenaspe von seinem Leben erzählt.

Nach Heidelberg und Erlangen verschlug es ihn, als Deutschland in Trümmern lag. Er studierte Musik und Philosophie, war fünf Jahre Kantor in Eberbach am Neckar, ging als Kantor und Dozent nach Düsseldorf, folgte einem Ruf nach Hamburg.

„Ich wollte nur fünf Jahre bleiben“, sagt von Kameke. Es wurde ein ganzes Leben. 32 Jahre war er Kantor der Petrikirche. Hamburgs älteste Pfarrkirche wurde zur Basis vieler Auslandsreisen mit dem Hamburger Bachchor, deren Dirigent er war.

In Saõ Paulo blieb von Kameke hängen, wurde Gast-Dozent, spielte vor mehr als 3000 Zuhörern auf der Orgel der Catedral Metropolitana de Saõ Paulo, der Catedral da Sè. Die brasilianische Metropole am atlantischen Ozean war seit 1959 Ausgang für mehr als 20 Konzertreisen durch Südamerika. Hier lernte er seine erste Ehefrau kennen.

Oft fuhr er mit einer Taxe durch die Städte, auf der Suche nach einer bespielbaren Orgel und brachte so manche dieser königlichen Instrumente wieder zum Spielen, mit Nähmaschinenöl. Bei einer Orgel in Conceptión in Chile sagte er sich: „Das soll meine letzte Ölung sein.“ Immer fuhren der Hamburger Bachchor und er den dankbaren Beifall von Hunderten von Zuhörern ein, darunter auch von Carlos Carmelo de Vasconcelos Motta, Erzbischof und Kardinal von Belo Horizonte in Brasilien und Förderer des Baus der Catedral Metropolitana.

Argentinien, Chile, Mexiko, Italien, Spanien. USA, Kanada, Japan. Dann die Sowjetunion, ab 1990 Russland. Als der Eiserne Vorhang noch Symbol der Politik des Kalten Krieges war, weichte der Musiker gut gepflegte Feindschaften mit seinem Chor, mit Bach-Werken und seinem Orgelspiel auf.

„Mein Rezept, ich spiele Orgel, erwerbe mir Sympathien und komme später mit meinem Bachchor wieder, hat immer gewirkt“, sagt von Kameke und lächelt wie ein Junge über einen gelungenen Streich. Russische Kollegen lud er nach Hamburg ein und verbandelte sie dort mit USA-Kollegen. Er förderte Perestroika und Glasnost mit Chorgesang und Orgel.

Auf seinen Reisen lernte er wieder große Leute kennen. Vicco von Bülow beispielsweise. Albert Schweitzer. Und dann Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. „Helmut Schmidt war Gast in meinen Hamburger Konzerten“, sagt von Kameke.

Die Nähe zur Politik brachte ihn zurück zu seiner Jugendzeit, zu seiner Erinnerung an seinen Patenonkel Ulrich von Hassell, dem Widerstandskämpfer. Und zur Idee, die Widerstandskämpfer mit einem Oratorium zu ehren, mit Tyrannos – Moabiter Requiem. „Es ist das einzige Oratorium, das sich mit dem Widerstand im Dritten Reich befasst“, sagt der Komponist.

Er arbeitete Hitler-Zitate aus „Mein Kampf“, Zitate des ebenfalls hingerichteten Pastors und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer und alle Namen der Widerstandskämpfer um den Kreisauer Kreis ein. Und den Mord an sechs Millionen europäischer Juden durch Nazi-Deutschland. „Ich wünsche mir, dass Tyrannos in Israel aufgeführt wird, das möchte ich noch erleben“, sagt der 88-Jährige. Tyrannos wurde auf der Expo 2000 in Hannover uraufgeführt. 1500 Menschen hörten das Werk mit drei Chören, einem Kinderchor, mit großem Sinfonie-Orchester, Pauken- und drei Schlagwerkgruppen, Gesangssolisten und Solosprecher. Nach Tyrannos kam ihm die Idee zum Wiedervereinigungs-Oratorium. Doch vorher, 1993, beginnt er, in Hamburg und Schleswig-Holstein die Musikakademie für Senioren aufzubauen. „Wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Ehepartner oft nicht mehr da ist, werden die Menschen einsam. Vielen fällt dann ein, wie viel Freude ihnen einmal die Musik bereitet hat“, sagt von Kameke.

Heute nehmen nach dem Motto „Jugend unterrichtet Alter“ bis zu 800 Teilnehmer an 30 Musikseminaren in der Akademie teil. „Alte Damen bekommen glänzende Augen, wenn ein knackiger 20-Jähriger ihnen von Musik erzählt“, sagt der Akademiegründer.

Die Musikakademie läuft. Großenaspe nicht. Auch das ändert der agile Senior. Mit Gleichgesinnten gründet er den Orgelzyklus an der Katharinenkirche, holt namhafte Organisten aus ganz Europa ins Dorf. Der zweite Musik-Zyklus folgt in diesem Jahr. Unter dem Motto „Kultur auf dem Lande“ initiiert von Kameke den Zyklus „Klassik in Großenaspe“, in dem junge Musiktalente spielen. „Es sind die Zweitplatzierten des Wettbewerbs Jugend musiziert, denn sie sind genauso gut wie die Sieger“, ist sich von Kameke sicher.

„Das Land hat kulturell geschlafen, doch mittlerweile haben unsere Konzerte Großstadt-Niveau“, sagt der unermüdlich schaffende Musiker. Auch die Volkslieder will er wiederbeleben: „Sie sind wunderschön, doch als Nazi-Deutschland sie vereinnahmte, wurden sie verhunzt.“ Über allem aber schwebt sein größtes Projekt, das Oratorium zur Wiedervereinigung. Doch erst einmal feiert er seinen 88. Geburtstag. Natürlich mit einem Konzert.

Konzert-Termine Katharinenkirche Großenaspe: Sonnabend, 1. März, Organist Eberhard Lauer. 15.März, Andreas Willscher. 29. März, Thomas Dahl. 12. April, Hans Gebhard. 17. Mai, Preisträger-Konzert Jugend musiziert. 14. Juni, junge Talente musizieren. 27. September, „Vom Volkslied zum Kunstlied“. Alle Konzerte beginnen um 16 Uhr. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.