Das Amt Itzstedt möchte die Oeringer Obdachlosenunterkunft schließen und in besserer Lage neu bauen

Oering. Mehr als schummriges Licht bietet die Deckenlampe nicht. Viele Jahrzehnte, viele gestrandete Seelen haben in dem Aufenthaltsraum der Obdachlosenunterkunft in Oering Spuren hinterlassen. Zigarettenqualm hat sich in den Möbeln und an den Wänden verewigt, die Herdplatten befinden sich genau neben dem alten Röhrenfernseher mit Videorekorder. Das Interieur in dem wenige Quadratmeter großen Zimmer ist zusammengewürfelt – eigener Besitz, Sperrmüll, Spenden –, in der Ecke steht ein Holzofen, der die Zentralheizung ersetzt. Der Eindruck: latent unordentlich und provisorisch, aber nicht vergammelt. Auffällig ist die VHS-Filmsammlung im Regal: Karate Tiger, Bloodsport, Bruce Lee, Jean-Claude van Damme. Abgehärtete Typen, die sich durchboxen (müssen).

So wie Ulrich Wiebers, 51, und Heinz Heise, 70. Die beiden Männer leben in einer ungewöhnlichen Zweckgemeinschaft. Obdachlos heißt es formal, und dieses Attribut bringt Kategorisierungen mit sich – ohne Wohnung oder Eigenheim, kaum Geld zur Verfügung, stigmatisiert. Einige Hunderttausend Menschen in Deutschland teilen diese Notlage, wobei es keine offiziellen Zahlen, sondern nur vage Schätzungen gibt. Manche haben zu oft falsche Entscheidungen getroffen, andere hatten Pech und gerieten in einen Teufelskreis aus Verschuldung, Einsamkeit, persönlichen Krisen oder Krankheiten.

In Großstädten ist die Szene präsent, wird geduldet, aber meist angestrengt ignoriert von Passanten. Der Stereotyp sind eingemummte, anonyme Personen in Häuserecken. „Auf Platte sein“, heißt das im Jargon, wenn unter freiem Himmel genächtigt wird. Ebenso gibt es allerdings Unterkünfte, die gleichwohl gerade im Winter überfüllt sein können. Es ist eine Subkultur mit unausgesprochenen Hierarchien.

Ulrich Wiebers und Heinz Heise passen nicht in dieses Schema. Mitten in Oering (ca. 1300 Einwohner), etwas abseitig einer Straße, haben sie sich eine Heimat geschaffen. Obdachlosenunterkunft oder -asyl nennt die zuständige Amtsverwaltung in Itzstedt das langgestreckte Haus mit mehreren Eingängen, den kleinen Schlichtwohnungen und der anliegenden Garage.

„Obdachlosenasyl? Das würde ich nicht so sagen. Für mich ist es einfach ein Wohnheim“, sagt Heinz Heise. Genauso wenig wie sein Kompagnon geht er ausführlich ins Detail, warum sie nun schon seit 30 Jahren in Oering leben. Vielleicht haben sie es vergessen, vielleicht ist es auch nicht mehr wichtig, zurückzublicken und zu erzählen, warum es so ist, wie es eben ist.

Und doch wird deutlich, dass Heinz Heise einen großen Umweg genommen hat, bevor er in den Kreis Segeberg gekommen ist. Geboren wurde er in Bad Doberan, ist gelernter Reedereikaufmann und zur See gefahren. „Als ich 21 Jahre alt war, bin ich viel in Ostasien unterwegs gewesen. Ich habe die Welt gesehen, war in Thailand, Eritrea, Djibouti, bin durch den Suezkanal gefahren. Ich bin immer dort zu Hause, wo ich mich wohlfühle.“

Heute ist er Rentner, während Ulrich Wiebers, der keinen Beruf erlernt hat, als Minijobber in Kaltenkirchen tätig ist. Wiebers ist mobil, er besitzt einen Roller, was für Einkaufsfahrten notwendig ist. Schließlich ist der nächste Supermarkt in Itzstedt. Die Unterkunft liegt ungünstig, wobei dieses Problem vor 40 Jahren, als das Gebäude errichtet wurde, nicht bedacht worden ist.

Elf Quadratmeter stehen jedem Bewohner zur Verfügung. Heise und Wiebers haben ihre Ruhe, außer ihnen lebt niemand in einer der Wohnungen. Ein Zustand, der die zwei nicht stört. „Es gab Zeiten, da waren alle Zimmer belegt, da waren Ausländer, aber auch Pärchen da“, sagt Wiebers. Unruhig ging es oft zu, Polizeieinsätze waren keine Seltenheit, viele Oeringer waren genervt. Auf dem Revier in Itzstedt ist weiterhin ein Schlüssel deponiert für Notfälle, die es eigentlich aber nicht mehr gibt.

„Wir können gut improvisieren“, sagt Heinz Heise. „Wir helfen uns, kaufen zusammen ein, kochen zusammen, gucken fern, spielen Karten.“ Ob die Bezeichnung „Lebenskünstler“ zutreffe? „Joa, das kann man gerne so sagen.“ Heise und Wiebers bringen sich ein in die Dorfgemeinschaft. Im Winter schippen sie Schnee, wenn der Paketbote kommt, nehmen sie auch einmal für Nachbarn die Lieferung an.

Eigentlich war die Unterkunft in Oering trotzdem nicht dafür vorgesehen, dass die Menschen dauerhaft dort wohnen. Komfortabel ist es nicht, saniert wurde letztmalig in den 80er-Jahren, vor Kurzem gab es einen Wasserschaden, die Räume sind unzureichend isoliert. Lakonisch heißt es aus dem zuständigen Ordnungsamt, dass es sich eben so ergeben habe mit Heinz Heise und Ulrich Wiebers.

„Im städtischen Raum wäre die Obdachlosenszene anders, da ist es eine Herausforderung“, sagt Torge Sommerkorn, Leiter des Ordnungsamtes. „Hier ist keine große Betreuung nötig. Die beiden Bewohner sind akzeptiert und integriert, es gibt keine Beschwerden.“

Dennoch scheint die Grundsatzentscheidung gefallen: Die Unterkunft soll noch in diesem Jahr geschlossen werden. Sommerkorn: „Heute gelten andere Standards. Diese Wohnungen hier erfüllen nicht mehr das, was vorgeschrieben ist.“ Möglichst näher an der B432, ein zweckmäßiger Neubau für 250.000 Euro, so könnte die Zukunft aussehen. „Noch stehen wir am Anfang“, sagt Torge Sommerkorn.

Ulrich Wiebers und Heinz Heise hätten keine Wahl, sie müssten umziehen. „Dabei haben wir hier alles, was wir brauchen“, sagen sie. Nach drei Jahrzehnten neu anzufangen, das würde ihnen schwer fallen. „Aber wenn es sein muss...“