Vom Kriegsgefangenenlager bis zum Ende des Weltflughafens Kaltenkirchen – Helmut Trede hat die Geschichte der Segeberger Gemeinde aufgeschrieben

Bokel/Heidmoor. Die Geschichte der heutigen Gemeinde Heidmoor ist eine Geschichte des Scheiterns. Die Aufforstungen des 19. Jahrhunderts fielen einem Brand zum Opfer, die Kolonisten der 20er-Jahre gingen pleite, und auch der Flughafen Kaltenkirchen wurde im vergangenen Jahr zum wiederholten Male endgültig zu den Akten gelegt. Einzig das landwirtschaftliche Versuchsgut Lentföhrden hatte einigen Erfolg mit seinen Anpflanzungen. Ansonsten konnte Helmut Trede aus Bokel (Kreis Pinneberg) nur Misserfolge zusammentragen und hat sie in seinem Buch „Vom Gefangenenlager zum Weltflughafen“ beschrieben. Es erschien kurz vor Weihnachten und scheiterte nicht, sondern wurde zum Verkaufsschlager.

„In Kaltenkirchen war ich zum Teil der meistverkaufte Autor“, sagt der 65 Jahre alte Landwirt mit einem Schmunzeln. Dass so schnell alle 500 Exemplare verkauft werden konnten, hatte er nicht für möglich gehalten. Bei genügend Interesse klappt es vielleicht bald mit der Zweitauflage.

Dabei war das Buch gar nicht geplant. Trede, der zuvor bereits acht Bücher und Chroniken zu historischen Themen aus dem Kreis Pinneberg geschrieben hatte, wollte für das Pinneberger oder Segeberger Jahrbuch den Gründen für eine merkwürdige „Delle“ in der Kreisgrenze zwischen Pinneberg und Segeberg nachgehen. Dort, wo die Kreisstraße 48 das Örtchen Heidmoor mit der Bundesstraße 4 verbindet, verlief früher schnurgerade die Grenze zwischen den heutigen Kreisen Pinneberg und Segeberg. Trede wollte wissen, warum und wann die Pinneberger etwa 200 Hektar an die Nachbarn verloren? Einfach war die Recherche nicht.

Die Grenzgeschichte sorgte schon früher für Sprengstoff

Die Grenzgeschichte in dieser Region sorgte schon früher für Sprengstoff, wie der Besuch des Ehrenmals in Heidmoor zeigt. Dort sind ehemalige Grenzsteine ausgestellt, die im Jahr 1795 Streitigkeiten zwischen den Dörfern des damaligen Amtes Segeberg und der Grafschaft Rantzau beilegen helfen sollten. Vier Parteien – das Amt, die Grafschaft, die Herrschaft Breitenburg und König Christian von Dänemark – setzten damals ihre Steine. Mit der Kreisgrenze hat dies nur am Rande zu tun, für sie ist eher der Mönkloher Vertrag aus dem Jahr 1578 verantwortlich. Damals zogen die Landesherren von Holstein und Schauenburg durch die nahezu unbewohnte Heidefläche eine gerade Linie, von der heute noch der schnurgerade Verlauf der Kreisstraße zeugt.

Warum aber wurde die Grenze geändert? „Das Gelände des ehemaligen landwirtschaftlichen Versuchsguts Lentföhrden wurde 1951 der neu gegründeten Gemeinde Heidmoor zugeteilt und diese dem Kreis Segeberg“, erklärt Trede. Und das Versuchsgut lag genau auf den besagten 200 Hektar, die zuvor den Restforstbezirk Rantzau bildeten, der wiederum zum Gebiet des heutigen Kreis Pinneberg gehörte. Eine verworrene Geschichte, deren Entflechtung Trede so viel Zeit und Material brachte, dass er ein ganzes Buch füllen konnte – ein Buch des Scheiterns.

Das Versuchsgut selbst entstand 1935, aber schon vorher wurde hier einiges ausprobiert. Zum Beispiel vor 100 Jahren. Denn nach den Bränden, die die Aufforstungen des Heidegebiets im 19. Jahrhundert zunichte machten, sollten ab 1914 Kriegsgefangene den Boden wieder kultivieren. „Es wurden Tausende meist Russen und Franzosen eingesetzt“, berichtet Trede. Ein Lager befand sich in Lentföhrden, eines auf dem Gebiet des späteren Versuchsgutes und eines in der heutigen Gemeinde Heidmoor. Nach dem Krieg blieb die Geschichte des Gebietes eigenwillig. Preußen, zu dem Schleswig-Holstein gehörte, siedelte hier sogenannte „Baltikumer“ an, die 1919 als Freiwillige in Lettland und Litauen gegen die Ausdehnung der Sowjetunion kämpften. Nach ihrem Misserfolg gab es unter anderem Land in der Heide zwischen Lentföhrden, Weddelbrook und Mönkloh.

Die gescheiterten Kolonisten fanden hier zumindest Arbeit

„Sie sind alle pleite gegangen“, sagt Trede. Zu kleine Höfe auf zu schlechtem Boden, das konnte in den Augen des Landwirts nicht gutgehen. Das staatliche Versuchsgut hingegen hatte später mit seinen Projekten in Milchwirtschaft, Schweinezucht oder Pflanzenbau einigen Erfolg, und die gescheiterten Kolonisten fanden hier zumindest Arbeit. Nach den Erfahrungen mit den Hungersnöten im und nach dem Ersten Weltkrieg wurden hier auf dem sogenannten Genzertragsboden der Geest Versuche gemacht, wie die Agrarproduktion nachhaltig gesteigert werden konnte. „Das ist ihnen offenbar gelungen“, sagt Historiker Trede, der die Jahresberichte des Versuchsgutes auswerten konnte. Noch bis das Flughafenprojekt in den 60er-Jahren Fahrt aufnahm, wurden in dem Gebiet zahlreiche Feldversuche unternommen.

Eben dieses Projekt des Großflughafen ist schließlich die letzte der Geschichten, denen sich Trede ausführlich widmete. Zu Beginn war eine sechs Kilometer lange Startbahn für Überschallflugzeuge geplant, die Flughafengesellschaft kaufte über 2000 Hektar Land auf. Viele Höfe wurden abgerissen, von ihnen sind höchstens noch die Hofeinfahrten vorhanden. Auch die ehemalige Wald- und Gartenstadt Springhirsch an der B 4 verschwand fast vollständig. Aber der Flughafen wurde nicht gebaut. Neben dem Widerstand vor Ort sei das größte Hindernis gewesen, dass Hamburg nie auf Fuhlsbüttel habe verzichten wollen, so Trede. Der Lokalhistoriker hatte die Gelegenheit, im ungeordneten Archiv des Großprojektes zu forschen, das allerdings eine Sache für sich sei: „Da sind über 2000 Ordner, wo fängt man da an?“ Trede durfte ein paar Ordner mitnehmen, wählte einige Bilder aus und ließ den größten Teil unberührt. Genug Material hatte er auch so.

Die Einwohner stimmten gegen das vorerst letzte große Projekt

Nun ist das Thema Großflughafen passé, das ehemalige Planungsgebiet weithin unbesiedelt und die Flächen vom Flughafen meist an Landwirte verpachtet. Heidmoor bleibt ein Ort für weitere gescheiterte Projekte oder auch nur Ideen wie ein Freizeitpark, eine Rennstrecke oder ein Wohn- und Gewerbegebiet mit bis zu 30.000 Menschen. Den Freizeitpark schlug die IHK Lübeck vor knapp zwei Jahren vor. Konkreter war da der geplante Windpark mit 56 großen Windrädern. Nachdem die Gemeindevertretung zugestimmt hatte, scheiterte auch er: Die Einwohner stimmten im Januar 2012 in einem Bürgerentscheid gegen das vorerst letzte große Projekt auf Gemeindegebiet.