In Bad Segeberg fordern mehrere Hundert Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht für die Naher Familie. Auch Boxweltmeisterin Susi Kentikian engagiert sich hierfür

Bad Segeberg/Hamburg. Gerade einmal zwei Wochen sind vergangen, seitdem die Ausländerbehörde am 31. Januar im Morgengrauen die Abschiebung einer armenischen Familie aus Nahe durchsetzen wollte. Der von vielen Seiten als unverhältnismäßig kritisierte Polizeieinsatz und dass die Maßnahme erst kurz vor dem Abflug aufgrund eines Formfehlers gestoppt werden konnte, hat mittlerweile eine große Resonanz nach sich gezogen.

Gerade die drei Söhne der Familie Hakopjan – alle sind in Deutschland geboren – gelten als Musterbeispiele für Integration, die in Armenien wiederum kaum eine Chance hätten.

Auf der Gegenseite beruft sich die Behörde auf Gerichte, die kein humanitäres Bleiberecht erkannt hätten. Auch, dass der Vater zunächst einen falschen Namen angegeben hatte, spräche gegen die Familie.

Diese Gemengelage kommt zwar erst am 8. April zur Sprache, wenn die Härtefallkommission in Kiel entscheiden soll, ob die Hakopjans bleiben dürfen. Bis dahin sind Freunde, Bekannte, Mitschüler und Vereinskollegen gefragt. An einer Demonstration mit anschließender Kundgebung vor der Ausländerbehörde in Bad Segeberg haben am Donnerstag etwa 300 Menschen teilgenommen. Sie verdeutlichten den großen Rückhalt für die Naher Familie und kritisierten im gleichen Zuge auch die Abschiebepraxis.

Dazu setzt sich mittlerweile auch die vielleicht berühmteste Armenierin dafür ein, dass Familie Hakopjan ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland erhält. Die Weltklasse-Boxerin Susi Kentikian aus Hamburg hat den Eltern und den drei Söhnen telefonisch Mut zugesprochen. „Es ist eine sehr nette Familie“, sagt sie.

Für Kentikian ist es eine Herzensangelegenheit. Seitdem sie von den Problemen gehört hat, möchte sie sich engagieren, ihre Stimme für eine gute Sache einsetzen. Der Grund: Je mehr Details sie erfährt, desto mehr spürt die 26 Jahre alte amtierende Boxweltmeisterin im Fliegengewicht nach WBA-Version einen persönlichen Bezug. Geboren wurde Sjusanna Lewonowna Kentikjan in der armenischen Hauptstadt Eriwan. Doch als ihre Mutter krank wurde und ihr Vater zum Militärdienst eingezogen werden sollte, beschlossen die Eltern, ein besseres Leben in Deutschland zu suchen.

In Berlin finden sie dies zunächst nicht und verlassen das Land wieder. Über Moldawien und Russland kommt Familie Kentikian 1996 nach Hamburg. Dort wird man auf dem berüchtigten Flüchtlingsschiff „Bibby Altona“ untergebracht, 18 Monate später ziehen sie in ein Wohnheim im Stadtteil Langenhorn. All dies unter widrigsten Bedingungen, aber Susi, ihre Eltern sowie ihr Bruder Mikael glauben an eine Chance.

Es ist Mikael, der seine Schwester schließlich zum Boxtraining mitnimmt. Nach kurzer Zeit ist ihr Naturtalent augenscheinlich. Sie gewinnt erste Kämpfe, sammelt Pokale. Ein 1,55 Meter kleines Energiebündel sorgt für Aufsehen.

2001, Susi Kentikian ist zu diesem Zeitpunkt deutsche Juniorenmeisterin, steht eines Morgens die Polizei vor der Tür. Die Familie soll ohne Umwege abgeschoben werden – genauso, wie es auch im aktuellen Fall in Nahe geplant war. „Damals stand mein Herz still, der Moment ist ein Schock. Ich habe jetzt wieder gefühlt, wie es damals war“, sagt Susi Kentikian.

Binnen eines kurzen Zeitraums – auch hier eine Parallele zu den Hakopjans – gelingt es mit einer konzertierten Anstrengung ihres damaligen Boxtrainers Frank Rieth, des im Petitionsausschuss aktiven CDU-Politikers Wolfgang Ploog und auch der lokalen Medien, die Ausweisung zu stoppen. In den folgenden Monaten und Jahren überzeugen die Argumente, die für ein Bleiberecht sprechen.

Nicht nur die sportliche Karriere von Susi Kentikian ist ausschlaggebend. Wichtig ist das Bemühen, selbst für den Lebensunterhalt sorgen zu wollen. „Mein Vater hat jeden Tag gearbeitet, er hatte mehrere Minijobs gleichzeitig. Und ich hatte morgens Schule, dann zwei Stunden Training und habe später im Fitness-Studio geputzt. Das war mein Leben.“

Seit 2004 hat ihre Familie ein dauerhaftes Bleiberecht, die Boxerin selbst besitzt seit 2008 die doppelte Staatsbürgerschaft. In Armenien ist sie längst eine Volksheldin. „Ich habe mich jahrelang gequält, bis ich die Belohnung bekommen habe“, sagt sie.

Genau deswegen möchte Susi Kentikian eine Inspiration sein. Für Artak und Karine Hakopjan mit den Söhnen Erik, Karen-Alex und Roman. Aber auch für andere Familien, die ähnliche Probleme haben. „Ich kann nur sagen: Man muss immer ehrlich sein, sich integrieren, und die Kinder müssen in der Schule gut sein. Die Behörden müssen dafür aber auch Arbeitsgenehmigungen erteilen.“ Dass sich nun viele Menschen für die Hakopjans einsetzen, macht ihr Mut: „Sie werden es schaffen!“