Sinat R. musste sich vor dem Amtsgericht Norderstedt wegen des Verdachts der Tierquälerei verantworten

Norderstedt. Dem Polizisten Wilfried H., 53, aus Itzstedt bietet sich ein blutiges Szenario, als er im September 2012 das Haus von Sinat R., 42, in Tangstedt-Wilstedt betritt. Der Hausherr und ein zweiter Mann sind gerade dabei, sich ihre blutigen Hände zu waschen. Und auf der Terrasse des Hauses liegt ein Schaf, der Kopf abgetrennt, das Fell abgezogen. Ein großer Eimer Blut steht neben dem Kadaver, dazu ein kurzes – wie sich später herausstellen sollte – sehr stumpfes Messer und ein Messerschärfer. Etwas entfernt liegen zwei lebende Schafe, eingewickelt und an Vorder- und Hinterbeinen gefesselt in Plastiksäcken. Nur ihre Köpfe lugen ins Freie. Auf Wilfried H. wirken die Tiere zunächst wie tot. Als er näher tritt, heben sie jedoch geschwächt den Kopf.

Der gebürtige Armenier Sinat R. steht am Montag vor dem Amtsgericht Norderstedt. Vor Richter Jan Willem Buchert muss er sich wegen des Verdachts der Tierquälerei verantworten. Denn es scheint offensichtlich, dass der Mann versucht hat, die Schafe zu schächten, sie nach islamischem Ritual ohne Betäubung durch einen Schnitt in die Kehle und das völlige Ausbluten zu töten. In Deutschland ist das illegal.

Dass die vermeintliche Schächtung im Garten von Sinat R. entdeckt wurde, ist der Aufmerksamkeit einer anonymen Anwohnerin zu verdanken. Die meldete sich im September 2012 bei der Polizeistation Itzstedt. Die Frau hatte beobachtet, dass in das Mehrfamilienhaus in Wilstedt Tiere geschleppt wurden. Im Anschluss daran sei plötzlich sehr laute Musik auf dem Grundstück zu hören gewesen. Die Anruferin vermutete, dass dadurch die Schmerzensschreie der Tiere beim Schlachten übertönt werden sollten. Polizist Wilfried H. erklärt vor Gericht, dass es für ihn klar sei, dass das gehäutete Schaf auf der Terrasse geschächtet worden war. „Anders kann ich mir die Menge des gefundenen Blutes nicht erklären.“

Das Schaf war schon tot. Und das Blut habe er für ein Ritual gebraucht

Sinat R. schwieg zur Anklage und verweigerte jeden Kommentar. Schließlich ließ er dann aber seinen Anwalt für sich reden. Der Verteidiger trug eine Erklärung vor, in der er versuchte, jeden Verdacht zu zerstreuen, wonach sein Mandant geschächtet haben könnte. Er erklärte, Sinat R. habe das geköpfte Schaf auf seiner Terrasse schon tot gekauft – und zwar mitsamt dem Blut im Eimer. Das habe er für ein Ritual benötigt. Denn Sinat R. sei schwer krank und habe gerade zwei Operationen erfolgreich überstanden. Aus diesem Grund habe die Familie ein Opferfest zu seinen Ehren vorbereitet. Mit dem Blut des Schafes sollte Sinat R. ein Kreuz auf die Stirn gemalt werden. Wie um die Schwäche des Angeklagten demonstrieren zu wollen, wurde der Prozess zweimal unterbrochen, damit der Angeklagte Medikamente nehmen konnte. „Ein so schwacher Mensch ist gar nicht in der Lage, ein Tier auf diese Weise zu töten“, argumentierte der Verteidiger.

Vehement bestritten Sinat R. und sein Verteidiger auch den Vorwurf der Anklage, dass der Armenier die Tiere gefesselt und ohne Nahrung und Wasser mit einem Auto aus Wrist abgeholt und nach Tangstedt-Wilstedt gefahren habe. Angeblich habe Sinat R. gar keinen Führerschein. Die Schafe seien von einem Armenier geliefert worden, dessen Nachname Sinat R. nicht kenne und der längst aus Deutschland abgeschoben worden sei.

Polizist Wilfried H. hatte damals die beiden lebenden Schafe aus dem Haus von Sinat R. von einem türkischen Schlachter aus Tangstedt abholen lassen. Der Sohn des Schlachters, Mustafa O., 31, war nun vor Gericht erschienen, um auszusagen. Es sei zwar nicht erlaubt, Schafe gefesselt zu transportieren, auch hätten die Tiere länger keine Nahrung und kein Trinken erhalten, sagte Mustafa O. Aber nachdem er die lebenden Schafe von den Fesseln befreit habe, seien sie sofort wieder munter und aufrecht auf den Beinen gewesen. Auch sei die Schlachtung des gehäuteten Schafes nach seinem Eindruck ordnungsgemäß und mit höchstens drei Schnitten erfolgt. Also nicht mit einem stumpfen Messer und unter starken Schmerzen für die Tiere.

Für Richter Jan Willem Buchert war die Sachlage nach dem ersten Verhandlungstag noch nicht eindeutig. Um den Vorfall weiter zu beleuchten, schloss er am Montag die Verhandlung und beraumte einen Fortsetzungstermin am 21. Februar an. Als Zeugen will er dann noch den Vater und den Bruder von Mustafa O. vernehmen, beide ebenfalls Schlachter. Außerdem soll die Ehefrau des Angeklagten als Zeugin geladen werden.

Das Schächten von Tieren ist nur im Ausnahmefall erlaubt

Wer in Deutschland ein Tier schächten möchte, kann dies nur im absoluten Ausnahmefall tun. Zuständig sind die Kreis-Veterinäre. Der Antragsteller muss nachweisen, dass das betäubungslose Schächten zur Einhaltung religiöser Riten oder Speisevorschriften notwendig ist. Außerdem muss er eine gesetzlich zulässige Schlachtstätte haben und die erforderliche Sachkunde besitzen. Sowohl im Islam als auch im Judentum gibt es für das Schächten sehr strenge Regeln, die eingehalten werden müssen, wenn das Fleisch nicht als verunreinigt gelten soll. „Ich habe im Kreis Segeberg noch keinen Antrag auf Schächtung bekommen – und ich bin froh, dass dies so ist“, sagt Segebergs Kreisveterinär Kurt Warlies. Es gebe Schlachtbetriebe, die Tieren vor dem Schächten eine Bolzenschuss verpassen. „Danach ist das Ausbluten eine zulässige Methode“, sagt Warlies.

Dass trotzdem etliche Tiere unerkannt und illegal geschächtet werden, vermutet auch Warlies. „Es gibt selten Zeugen, wenn das irgendwo im Wald geschieht.“ Tiere würden auch aus dem Kreis in andere Gegenden gefahren, wo geschächtet werden kann. Der muslimische Schlachtbetrieb Özka in Klein-Wesenberg im Osten des Kreises Stormarn hatte etwa 2004 das „Halal-Schlachten“ zum Opferfest vor Gericht erstritten, nachdem sich das Veterinäramt des Kreises gegen eine Erlaubnis ausgesprochen hatte. Geschächtet werden sollten Schafe und Lämmer für alle Muslime der Gemeinden von Schura, dem Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg.