Christian S. spricht über die Nacht, in der er das Opfer von vier Schlägern vor der Diskothek Joy wurde

Henstedt-Ulzburg. Es war ein erschreckender Gewaltausbruch, der das Leben des 32-jährigen Christian S. aus Kaltenkirchen verändert hat. Am 18. Januar wurde er im Beisein seiner Freundin Jasmin W. und seines Freundes Mario H. vor der Henstedt-Ulzburger Diskothek Joy von vier Männern zusammengeschlagen. In einem Interview äußert sich nun zum ersten Mal das Opfer Christian S. zu der Tat.

Unterdessen bricht die Diskussion um die Gewalt im Bereich des Joy nicht ab. Abendblatt-Mitarbeiter Steffen Lüdke ist deswegen mit der Polizei in der Freitagnacht auf Streife rund um die Diskothek gegangen, um sich ein Bild vom Ausmaß der Aggressivität unter Jugendlichen zu machen. Was er erlebte, lesen Sie auf unserer Seite 3.

Hamburger Abendblatt:

Christian, können Sie sich an die Nacht von vor drei Wochen im Joy erinnern?

Christian S.:

Wir haben uns bei Jasmin getroffen, weil wir feiern gehen wollten. Dann sind wir los. Ich erinnere mich, dass wir draußen waren und ab dann ist alles weg bei mir. Wir unterhalten uns ständig, ich versuche die Geschehnisse so zu rekonstruieren, aber das ist weg.

Jasmin W.:

Das war eine Abiparty des Norderstedter Lessing-Gymnasiums. Wir hatten keine Lust, noch bei mir zu Hause rumzuhängen und wollten alle spontan noch feiern gehen.

Christian S.:

Die Party an sich war lustig, es gab keinerlei Probleme.

Und was ist danach passiert?

Jasmin W.:

Wir sind alle zusammen gegangen, als das Joy zugemacht hat. Das muss so gegen 5.15 Uhr gewesen sein. Wir haben uns noch unterhalten und wollten ein Taxi rufen. Auf der anderen Straßenseite standen vier Jungs und haben ein Mädel im Vorbeigehen dumm angemacht. Christian hat geschrien, dass sie das Mädchen in Ruhe lassen sollen. Sie ist ganz schnell weitergegangen, weil die Typen sich dadurch auf Christian konzentriert und von ihr abgelassen haben.Wir haben uns wieder weggedreht und unterhalten. Auf einmal sind die vier Typen auf Christian losgegangen und haben angefangen, auf ihn einzuschlagen. Wir standen direkt neben ihm. Er ist ziemlich schnell zu Boden gegangen und direkt auf den Kantstein geknallt. Ein Schlag, ein Tritt – dann lag er da. Der Vierte wollte wieder auf Christian losgehen. Ich habe ihn dann weggeschubst und mir gleich eine Backpfeife eingefangen.

Was dachten Sie in dem Moment, als Christian da lag?

Jasmin W.:

Ich war total erschrocken. Mario und ich haben uns angeguckt und gedacht, dass er schon gleich wieder aufstehen wird. Die haben ja auch nicht aufgehört. Deswegen habe ich auch gar nicht so sehr darauf geachtet, ob er wieder aufsteht. Irgendwann haben sie dann realisiert, dass Christian nicht mehr aufsteht und sind weggelaufen.

Haben die Jugendlichen weiter auf Christian eingetreten, als der schon am Boden lag?

Jasmin W.:

Sie haben es versucht. Aber wir sind gleich dazwischen gegangen.

Christian S.:

Aber es muss noch etwas passiert sein. In der Gerichtsmedizin haben sie gesagt, auch meine Kniekehle sei blau gewesen. Also müssen sie noch nachgetreten haben, als ich schon auf dem Boden lag.

Welche Verletzungen haben Sie erlitten, Christian?

Christian S.:

Ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Platzwunde am Kopf, Prellungen, diverse blaue Flecken im Gesicht und in der Kniekehle und einen Brummschädel vom Feinsten.

Jasmin W.:

Auf der Trage im Krankenwagen warst du noch wach. Da hast du Mario und mich angeguckt. Aber du hast nicht ein einziges Mal geblinzelt, hattest einen richtig starren Blick, als ob du mit offenen Augen bewusstlos warst. Es war wirklich Leere in deinen Augen. Ehrlich, das war schrecklich, wie du da gelegen hast. Ich hab vorher schon geheult wie ein Schlosshund und war gleichzeitig total sauer.

Schwebten Sie in den Tagen nach der Tat in Lebensgefahr?

Christian S.:

Das weiß ich nicht genau. Ich hatte eine Untersuchung bei der Gerichtsmedizin in Hamburg. Die Ärztin dort sagt, ich habe Glück gehabt, dass keine Gehirnmasse ausgetreten ist. Die Wunde war wohl ziemlich klaffend und tief, und der Schädel war auch angekratzt.

Wie geht es Ihnen mit den Verletzungen, die Sie davongetragen haben?

Christian S.:

Ich habe noch Albträume. Da wache ich nachts auf, da ist ein Blitz, ich bin schweißgebadet. Aber was da oben im Kopf passiert, das weiß ich nicht. Ich werde wohl noch einmal zum Arzt gehen deswegen. Und dann die Vergesslichkeit. Ich lege den Löffel irgendwo hin und finde ihn nicht mehr. Am Ende liegt er im Schrank, aber da hat er ja gar nichts zu suchen (lacht). Solche Sachen fallen mir auf. Ich drehe mich dann zweimal im Kreis und weiß nicht, wo ich ihn hingepackt habe. Mein Gehirn muss sich noch ein bisschen erholen.

Haben die Ärzte Sie aus dem Krankenhaus entlassen oder haben Sie das selbst entschieden?

Christian S.:

Die Ärzte haben mich entlassen, nachdem die große Schwellung an meinem Kopf zurückgegangen war. Das war ja ein richtig großer Klumpen an meinem Kopf. Dann wurde ich von einer Augenärztin durchgecheckt, weil ich nicht richtig schauen konnte. Am Donnerstag hatte ich die letzte Untersuchung. Es sind keine Folgeschäden an den Augen zu erwarten. Allerdings hatte ich zwischenzeitlich seitlich am Kopf eine dicke Blutblase, die auf den Sehnerv gedrückt hat.In den Tagen danach konnte ich gar nicht sehen. Darum hatte ich ja auch Angst, dass das nie wieder weggeht. Ich habe immer die Ärztin gefragt, was mit meinen Augen wird. Die hat stets geantwortet, dass ich mir keine Sorgen machen solle. Durch die massiven Kopfschläge war alles außer Form, das geschwollene Gehirn hat von innen überall draufgedrückt. Vier Tage musste ich bangen, ob es überhaupt wieder heilt. Danach ging es langsam bergauf. Seit einer Woche kann ich wieder gut sehen.

Arbeiten Sie bereits wieder?

Christian S.:

Ja. Ich hatte Angst um meinen Arbeitsplatz – bis Ende Januar war ich noch in der Probezeit. Darüber habe ich in den vier Tagen im Krankenhaus viel nachgedacht. Hätte ich meinen Arbeitsplatz verloren – das wäre richtig schlimm gewesen. Die Miete, die ganzen anderen Kosten – wer bezahlt mir das denn? Einer der Täter?

Was empfinden Sie, wenn Sie an die Täter denken?

Christian S.:

Eigentlich ist es ganz schön feige, was die gemacht haben. Wenn ich einen von denen sehe, will ich auf jedem Fall noch einmal reden mit ihm. Ich würde fragen, warum das passiert ist, warum er so aggressiv geworden ist. Einfach, um das zu verstehen. Jetzt kann ich mich ja nur auf Jasmin und Mario verlassen. Durch die Amnesie ist genau das Stück des Abends weg.

Wie wichtig ist es Ihnen, dass die Täter geschnappt werden? Die Polizei hat ja dank der Videoaufnahmen aus dem Joy mittlerweile eine Spur.

Christian S.:

Das ist gut. Schadenersatzansprüche stelle ich auf jeden Fall. Schmerzensgeld fordere ich auch – ohne Ende. Das lasse ich nicht auf mir sitzen. Und wenn sie schon vorbestraft sind und in den Bau müssen – das ist nicht mein Problem. Das würde ich begrüßen. Die Gerechtigkeit muss siegen. Ich versuche auch meinen Kindern beizubringen, dass sie anderen Menschen helfen sollen. Wenn zum Beispiel eine Gruppe von Schülern einen anderen Schüler verhaut oder ihn auch nur ärgert – da sollte man nicht wegschauen. Das werde ich den Tätern auch noch sagen. Auge in Auge.

Sie haben mit ihrem Einschreiten viel Zivilcourage bewiesen und versucht, einer jungen Frau zu helfen.

Christian S.:

Ja, ich gehe nicht mit Scheuklappen durch die Welt. Ich bin Vater von zwei Kindern, das gebe ich ihnen natürlich weiter. Wenn eine Oma stürzt, gehen andere vorbei – ich helfe. Wobei ich mir nach der Aktion genau überlegen werde, was ich in so einer Situation sage.

Würden Sie also noch einmal genauso handeln?

Christian S.:

Nachdem ich weiß, was passieren kann: Eher nicht.