Der Norderstedter Schüler Leon Kasprack findet es schön, einen Zwillingsbruder zu haben – doch manchmal nervt es auch

Norderstedt. Mein Start ins Leben fing schon schwierig an, denn mein Zwillingsbruder hat mir schon im Mutterleib die Nahrung weggegessen. Damit ich überhaupt noch eine Überlebenschance hatte, mussten wir vier Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin geholt werden und kamen als Frühchen auf die Welt. Frühgeburten sind Geburten, bei denen das Baby in der Regel zwischen der 24. und der 37. Schwangerschaftswoche mit einem Gewicht zwischen 500 und 2500 Gramm zur Welt kommt. Diese Kinder werden als Frühchen bezeichnet.

Von diesem nicht ganz einfachen Start haben wir uns aber schnell erholt. Nach einem Jahr wogen wir schon so viel wie andere Kinder auch. Im Kindergarten fingen dann die Probleme mit der Verwechslung an. Wir sind zwar zweieiig, sehen uns aber sehr ähnlich. Das kommt daher, dass die befruchtete Eizelle sich in zwei losgelöste Zellen mit identischem Erbgut teilt und sich beide Zellen unabhängig voneinander weiterentwickeln. Reifen zwei Eizellen gleichzeitig heran und werden von verschiedenen Samenzellen befruchtet, entstehen zweieiige Zwillinge. Sie sind sich genetisch nicht ähnlicher als normale Geschwister.

„Unser Trainer kann uns nur anhand unserer Turnschuhe auseinanderhalten"

In der Schule waren wir das erste Mal getrennt in verschiedenen Klassen. Unsere Eltern wollten gerne, dass sich jeder selbstständig entwickeln kann und jeder seinen eigenen Freundeskreis aufbaut. Für uns war dies eine ganz neue Situation, weil wir vorher nie getrennt waren. Bis zum heutigen Tag sind wir froh, dass unsere Eltern sich so entschieden haben. Das Leben ist nicht immer leicht mit einem Zwillingsbruder, schön ist es aber, dass man nie alleine ist. Schon als kleine Kinder konnten nur meine Eltern uns auseinanderhalten. Besonders schwierig war es, wenn wir auch noch die gleiche Kleidung getragen haben. Noch heute ist es so, dass unser Handballtrainer uns nur anhand der Farbe unserer Turnschuhe auseinanderhalten kann. Diejenigen, die uns schon sehr lange kennen, haben damit allerdings keine Probleme.

Es ist Dienstag, 18 Uhr. Unsere Handballmannschaft hat gerade Training. Wir haben in diesem Moment die Nachbesprechung von unserem Spiel am Sonntag. ,,So, Leon“, sagt mein Trainer zu meinem Bruder. ,,Ich fand, dass du beim Spiel eine gute Leistung gebracht hast.“ Ich bin verwirrt. Warum spricht er mit mir und guckt meinen Bruder an? Ich fange an zu begreifen und denke: ,,Nicht schon wieder!“ Mein bester Freund fängt an zu lachen, weil er die Situation erkannt hat. Mein Trainer ist verwundert und fragt ihn: „Warum lachst du?“ Er antwortet mit grinsendem Gesicht: „Du hast die beiden wieder verwechselt!“ Mein Trainer schlägt die Hände vor sein Gesicht und sagt verzweifelt: ,,Ach Mist! Ja stimmt, die Turnschuhe! Irgendwann bekomme ich das schon hin.“

Es gibt schon einige Vor- und Nachteile als Zwilling. Nachteile sind: Wir werden oft verwechselt, bekommen häufig die gleichen Sachen geschenkt und haben auch die gleichen Interessen. Wenn wir neue Sachen zum Anziehen kaufen, steuern wir gern auf die gleichen Dinge zu – und dann ist nur entscheidend, wer es als Erster in der Hand hält. Ein Vorteil ist dagegen, dass wir immer zu zweit sind, keine Sachen von anderen auftragen müssen; und wenn wir uns nicht gerade streiten, dann verstehen wir uns auch gut!

„Die Frage ,Seid ihr Zwillinge?‘ kann ich nicht mehr hören"

Nach Schulschluss gehen mein Bruder und ich von der Schule aus in das Einkaufszentrum in einen Bekleidungsladen. Wir wollen uns neue Kleidung kaufen und haben hierfür Geld von unserer Mutter bekommen. Direkt fokussiere ich die Hosen und schaue sie mir genauer an. Sofort fällt mein Blick auf eine hellblaue Jeans mit Auswaschungen. Genau in diesem Moment sagt der Verkäufer: „Falls ihr es noch nicht gesehen habt, wir haben noch reduzierte Ware“. Ich drehe mich um und sehe diesen Kleidungsstapel. Und was liegt da? Genau die gleiche Hose, die ich gerade in der Hand habe. Ich gehe schnell dorthin und will diese Hose gerade nehmen, aber plötzlich kommt mein Bruder und schnappt sie mir weg.

Mich stört, dass man nie als eine einzelne Person betrachtet, sondern immer nur zu zweit gesehen wird. Wenn uns jemand zusammen sieht, gucken einige Leute so, als ob wir irgendwie etwas Besonderes sind. Manchmal nervt es mich auch, dass man fast immer alle Tätigkeiten zusammen macht, sei es ins Schwimmbad zu gehen oder zum Geburtstag eingeladen zu werden. Auch die Frage ,,Seid ihr Zwillinge?’’ mag ich nicht mehr hören, denn man sieht doch, dass wir beide Zwillingsbrüder sind und dann muss nicht noch extra gefragt werden.

Wie jeden Morgen warten wir an der Station auf unsere Bahn. Ich frage meinen Bruder, wie viele Schulstunden er heute hat. Er will gerade antworten, aber genau in diesem Moment kommt die Bahn zum Stehen, und wir beide steigen ein. Ich suche nach zwei freien Sitzmöglichkeiten und setze mich neben einen Mann. Mein Bruder findet gegenüber von mir einen Sitzplatz. Der Mann sieht uns immer wieder genau an und sofort merke ich, dass er wahrnimmt, dass wir Zwillinge sind. Ich denke mir: „Oh, das nervt. Hat er nichts Besseres zu tun, als uns anzustarren?“ Genau in diesem Augenblick dreht der Mann sich zu mir und fragt: „Seid ihr Zwillinge?“ Ich lächele freundlich und sage: „Ja, wie haben Sie das nur erkannt?!“

Auf dieser Seite lesen Sie heute Artikel, die Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen der Willy-Brandt-Schule in Norderstedt für die Abendblatt-Aktion „Schüler machen Zeitung“ verfasst haben. Betreut wurden die Schüler von Lehrerin Petra Draskowsky und Lehrer Stefan Gimm.