Christof Sens und Markus Sellmann betreiben bei TuRa Harksheide die „etwas andere Sportgastronomie“

Norderstedt. Christof Sens lacht und beginnt zu singen: „Ich bin wieder hier, in meinem Revier. War nie wirklich weg, hab’ mich nur versteckt...“ Der Westernhagen-Song. Er passt wie kein anderer. Denn der in Norderstedt bekannte und beliebte Wirt und Küchenchef fängt im Sportlerheim des TuRa Harksheide ganz neu an. Gemeinsam mit Geschäftspartner, dem Schauspieler Markus Sellmann, macht Sens aus dem ehemaligen Treff für die Aktiven des TuRa „die etwas andere Sportgastronomie“, irgendwo zwischen Restaurant, Theater-Bühne, Party-Location und Sports-Bar.

Sens’ Revier, das ist Norderstedt und das war das Anno 1887. Ein knappes Jahr ist es her, dass die gastronomische Ehe zwischen ihm und dem HSV in der nagelneuen Vereins-Gastronomie auf dem Paul-Hauenschild-Gelände in die Brüche ging. Man trennte sich im Streit. Das Insolvenzverfahren läuft. „Der Rauswurf des HSV kam überraschend von jetzt auf gleich. Vier Familien, die an der Gastronomie hingen, verloren ihre Lebensgrundlage“, sagt Sens. Nachtreten, das ist nicht das Ding des Wirtes. Nur so viel: Wenn eine Ehe in die Brüche geht, liegt die Schuld selten nur bei einem der Partner.

Doch Sens blickt nach vorne. Gemeinsam mit Markus Sellmann. Weil Sens aufgrund des laufenden Verfahrens die Position des Wirts nicht übernehmen will, tauschen sie die Rollen. Markus Sellmann: „Im Anno 1887 war Christof mein Chef und ich der Angestellte in der Küche. Jetzt machen wir das andersherum.“

Für das gemeinsame Projekt bei TuRa am Exerzierplatz brennen die beiden Gastro-Profis. „Wir wollen weg von dem reinen Sportlerheim-Image. Bei uns ist jeder willkommen, der lecker essen will“, sagt Sens. Den Leitspruch der Ersten Herren bei TuRa, „101 Prozent Harksheide“, machen Sens und Sellmann nicht nur zum Namen ihres Restaurants. Sie wollen dem Stadtteil und der Stadt auch etwa 101 Prozent mehr bieten als bisher. „Das Schöne ist, dass der Verein uns hier warm aufgenommen hat und dass wir in Ruhe gelassen werden und machen dürfen“, sagt Sens.

Wer auf die Karte des 101 Prozent Harksheide schaut, findet natürlich die Klassiker wie Pommes, Curry-Wurst, Frikadelle oder Toast Hawaii. Also alles, was nach dem Auspowern beim Kicken so richtig gut kommt. Aber dann folgen eben auch die Gerichte, für die die Stammkunden von Sens gerne auch längere Wege in Kauf nehmen. Etwa seine Pizza-Spezialitäten, handgemacht aus einem Teig, der nichts mit den aufgeblähten Monstern aus der Fast-Food-Branche zu tun haben. „Sogar italienische Wirte kommen zu uns, wenn sie mal wieder Pizza so essen wollen, wie es sich gehört und wie sie es aus ihrem Heimatland kennen“, sagt Sens. Dazu werden Pasta-Gerichte geboten und auch mal ein Tagesgericht wie Rinderfilet oder was Sens eben sonst beim Einkaufen entdeckt und kreativ verarbeitet. „Convenience-Kram kommt uns nicht in die Küche. Die Schnitzel werden von Hand gekloppt, die Frikadellen selbst geformt, und das Roastbeef gibt’s daumendick und mit viel Liebe.“ Beim regelmäßigen Familiensonntag ist die „Schlemmerplatte 101 Prozent“ der Renner. „Mini-Schnitzel, Mini-Curry-Wurst, dazu schön Salat – für 19,50 Euro kann sich eine vierköpfige Familie satt essen.“

Nun will der Mensch ja nicht nur satt, sondern auch unterhalten werden. Klar, es hängen die obligatorischen Flat-Screens unter der Decke, für die HSV- und St. Pauli-Bundesliga-Spiele (TV 1) und die Konferenzschaltung (TV 2 im Nebenraum). Doch auch, wenn Albert Camus mal gesagt haben soll, dass er im Fußball alles über Moral und Verpflichtungen gelernt hat, so schadet es doch nichts, den Horizont in alle Richtungen zu erweitern.

Und da kommt dann Markus Sellmann ins Spiel, der seit über zehn Jahren auch als Schauspieler mit dem Profi-Ensemble Eat.Play.Love auf den Bühnen des Nordens unterwegs ist. „Ich habe sechs Jahre die Dreigroschenoper gespielt, aber auch Pygmalion, teilweise vier Produktionen gleichzeitig. Doch jetzt habe ich keine Lust mehr auf das Tingeln, ich will hier in Harksheide nach Hause kommen“, sagt Sellmann. Eat.Play.Love will er als erstes professionelles Theater in Norderstedt etablieren. Zur Bühne soll regelmäßig der große Saal des Sportlerheims werden. „Die Akustik ist super“, sagt Sellmann. Kurzentschlossene können an diesem Sonnabend, 25. Januar, von 20 Uhr an eine fulminante Kostprobe der neuen Kompagnie in der Stadt kosten. Mit „Gretchen ff 89“ geben Sellmann (als Regisseur Riedel) und die Schauspielerin Esther Barth (als Schauspielerin Kowalski) unter der Regie von Sven Menningmann eine Theater-Satire von Lutz Hübner, die zehn Mal überdreht, deftig, schockierend und unendlich komisch die Gretchen-Frage stellt und dabei den Theaterbetrieb auf die Schippe nimmt (Eintritt 15 Euro, für 25 Euro inklusive Büfett, Vorbestellung unter 040/64666200, Einlass 19 Uhr).

Neben dem regelmäßigen Theater soll es auch Lesungen geben, demnächst mit der Autorin Sabiene Weiß, die ihren Roman „Die Hansetochter“ vorstellen wird. Mit den Shanty Lords, dem Norderstedter Shanty-Chor, hat Sellmann alte Bekannte aus dem Anno 1887 mit nach Harksheide genommen. Jeden Donnerstag kann man sie im 101 Prozent Harksheide jetzt hören. „Außerdem planen wir mit TuRa den Aufbau einer Theater-Sport-Abteilung“, sagt Sellmann, eine mit Meisterschaften betriebene Improvisations-Theater-Sparte.

Was noch fehlt, sind die Schilder. Immer noch steht „Sportlerheim“ über dem Gebäude am Exerzierplatz. Sie werden bald geliefert. Doch es gibt kaum einen, der noch nicht weiß, dass Sens und Sellmann wieder im Geschäft sind. „Nach dem HSV-Rauswurf konnte ich nirgends in Norderstedt auftauchen, ohne gefragt zu werden, wann ich wieder loslege“, sagt Sens. Und jetzt, wo es soweit ist, sind alle wieder da. Das Reservierungs-Buch ist gut gefüllt, für Silvester 2014 gar schon fast geschlossen. Eine Genugtuung für Sens und Sellmann und die Bestätigung, dass sie doch irgendwas richtig machen müssen. Sie sind wieder hier. In ihrem Revier. Und das ist jetzt Harksheide.

Das 101 Prozent Harksheide hat montags bis freitags ab 17 Uhr geöffnet, sonnabends sowie an Sonn- und Feiertagen ab 11 Uhr. Reservierung unter Telefon 040/64666200