Arbeitslose sollen gezielter gefördert werden, Fachkräfte fehlen, sagt Thomas Kenntemich, Leiter der Agentur für Arbeit

Kreis Segeberg. „Wir bewegen uns hier auf einem Super-Niveau, was die Beschäftigung angeht. Und trotzdem ist jeder Arbeitslose einer zu viel“, sagt Thomas Kenntemich, Leiter der Arbeitsagentur Elmshorn. Daher nennt er als Ziel für das neue Jahr, Menschen ohne Job noch individueller und gezielter zu fördern, um sie in Arbeit zu bringen. Dafür stehen 43,6 Millionen Euro zur Verfügung. Damit können die Vermittler in den Kreisen Segeberg und Pinneberg 1,3 Millionen Euro mehr für die Qualifizierung ausgeben als im Vorjahr. Zugleich fordert Kenntemich von den Arbeitgebern mehr Offenheit und Flexibilität, wenn es darum geht, Stellen zu besetzen, denn: Der Fachkräftemangel ist auch im Kreis Segeberg angekommen.

Hamburger Abendblatt:

Wie äußert sich der Mangel an Fachkräften?

Thomas Kenntemich:

Die Zahl der offenen Stellen hat im Vorjahr deutlich zugenommen. Im Kreis Segeberg sind 1424 Stellen unbesetzt, das sind 7,7 Prozent mehr als 2012. Arbeitskräfte fehlen vor allem im Gesundheitswesen, speziell in der Pflege und im Erziehungsbereich. Aber auch in der Metallverarbeitung und im Handwerk zeichnet sich ein Wandel ab. Noch kommen hier statistisch gesehen zwei Bewerber auf eine Stelle, doch das Verhältnis kann sich schon bald drehen, wenn der demografische Wandel weiter durchschlägt und die Zahl der Erwerbstätigen sinkt.

Was bedeutet das für die Arbeit der Vermittler?

Kenntemich:

Die Zeit der Massenarbeitslosigkeit ist vorbei, heute müssen wir den Bedarf an Fachkräften decken. Früher kamen zwölf oder 13 Bewerber auf eine Stelle. Die Chance, dass einer auf Anhieb das Anforderungsprofil des Arbeitgebers erfüllt, waren größer. Jetzt kommen im Schnitt 4,5 Arbeitslose auf eine Stelle, im Bereiche Verkehr und Logistik sind es sechs, im produzierenden Gewerbe und im Handwerk zwei. Noch vor zehn Jahren konnten wir pauschale Förderprogramme an Weiterbildungsträger vergeben. Die haben dann zu einem festen Termin einen Kursus angeboten, um beispielsweise den Staplerschein zu machen, und der Kursus war voll. Doch die Konfektion von der Stange funktioniert jetzt nicht mehr, wir brauchen Maßanzüge.

Wie werden die, um im Bild zu bleiben, angefertigt?

Kenntemich:

Wir müssen noch detailliertere Profile unserer Kunden entwickeln, die Stärken herausarbeiten, teilweise verlorene Talente und Fähigkeiten wiederbeleben, um berufliche Alternativen zu finden oder passgenaue Weiterbildungen zu beginnen. Und wir müssen schneller mit den Qualifizierungen beginnen, was ja über die Bildungsgutscheine auch möglich ist. Denn trotz guter Rahmenbedingungen bleiben Stellen immer länger unbesetzt, die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt. Doch damit wollen wir uns nicht abfinden.

Die Arbeitsvermittler sind ausgelastet, wie können sie da eine individualisierte Betreuung leisten?

Kenntemich:

Wir haben im vergangenen Jahr ein neues Team gegründet und geben dafür rund 300.000 Euro im Jahr aus. Fünf zusätzliche Mitarbeiter kümmern sich um Arbeitslose mit besonderen Einstellungs-Hemmnissen – und zwar sofort, ohne die übliche Terminvergabe und mit mehr Kapazität. Hier kommen 65 Arbeitslose auf einen Vermittler, sonst sind es meist mindestens 250. Besondere Probleme können Schulden sein, fehlende Kinder-Betreuung oder auch Versagensängste und mangelndes Selbstbewusstsein durch fehlende Praxis oder viele erlebte Misserfolge. Wir suchen stärker als bisher vom Arbeitslosen aus neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Bei vielen kleineren Unternehmen schlummert nach unserer Vermutung die eine oder andere zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeit. Und wir müssen die Arbeitgeber dafür gewinnen, diesen Bewerbern eine zweite Chance zu geben und auch mal jemanden einzustellen, der nicht zu 100 Prozent ihren Vorstellungen entspricht. Dafür wollen wir die Tür öffnen. Wird der Bewerber eingestellt und im Betrieb für die Tätigkeit eingearbeitet und qualifiziert, kann der Arbeitgeber einen Zuschuss bekommen.

Größere Unternehmen haben ein Personal-Management, das die Altersstruktur analysiert und ermittelt, wann und in welchen Bereichen durch Ruhestand Lücken im Know-how gezielt geschlossen werden müssen. Wie hilft die Arbeitsagentur kleinen Betrieben bei der Zukunftssicherung?

Kenntemich:

Wir beginnen damit, für Kleinbetriebe und Mittelständler eine Qualifizierungsberatung aufzubauen. Ziel ist, die Verantwortlichen zu informieren und auch wachzurütteln – für Themen wie Demografie-Analyse und Bildungs-Bedarfsplanung.

Wie hat sich der Arbeitsmarkt im Kreis Segeberg im vorigen Jahr entwickelt?

Kenntemich:

Durchschnittlich waren im Kreis Segeberg 7171 Menschen arbeitslos. Das waren 454 oder 6,8 Prozent mehr als 2012. In der Folge stieg die Arbeitslosenquote um 0,3 Punkte auf 5,1 Prozent. Trotzdem zeigt sich der Arbeitsmarkt stabil und auf einem vergleichsweise guten Niveau, das landesweit hinter Stormarn Platz zwei bedeutet. Seitdem die Hartz-IV-Reformen im Jahr 2005 eingeführt wurden, ist die Arbeitslosigkeit um rund 40 Prozent gesunken.

Norderstedt hat bei der Beschäftigung immer Bestnoten erzielt. Gilt das weiterhin?

Kenntemich:

Ja, die Quote von 4,7 Prozent liegt noch unter dem Kreisschnitt. Allerdings ist auch hier die Arbeitslosigkeit aktuell leicht gestiegen, um 85 auf 2067.

Welche Gründe gibt es für die Spitzenstellung Norderstedts?

Kenntemich:

Das sind vor allem die guten Rahmenbedingungen: Viele Unternehmen mit attraktiven Arbeitsplätzen, gut qualifizierte Arbeitnehmer sowie sehr engagierte Akteure in der Stadt, Wirtschaftsförderung und den vielen Verbänden. Auch die geografische Lage, das kulturelle Angebot, viele Kinderbetreuungsmöglichkeiten und das Freizeit- und Wohnumfeld machen das Arbeiten und Wohnen in Norderstedt so lukrativ.

Wie wird sich der Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten entwickeln?

Kenntemich:

Wir gehen zunächst saisonbedingt von einem leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit aus. Die weitere Entwicklung hängt vom Wetter und davon ab, wie die Arbeitgeber den Konjunkturverlauf und ihre Umsatzchancen einschätzen. Da herrschte in den vergangenen Monaten eher Zurückhaltung. Nach einer Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg wird die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr in unserem Arbeitsagentur-Bezirk um 0,6 Prozent zurückgehen, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Stellen um 0,8 Prozent zunehmen.

Spätestens 2017 soll der Mindestlohn eingeführt sein. Wie wirkt sich die Regelung im Kreis Segeberg aus?

Kenntemich:

Das lässt sich noch nicht sagen. Wir gehen davon aus, dass die Folgen im Hamburger Umland deutlich weniger zu spüren sein werden als in Ostdeutschland. In unserer Region gibt es vergleichsweise wenig Lohndumping. Wenn alle Betriebe einer Branche den Mindestlohn zahlen, dürften negative Effekte für den Arbeitsmarkt ausbleiben.

Welche Schwerpunkte gibt es für die Berufswahl und Ausbildung?

Kenntemich:

Da müssen wir die Jugendlichen vor allem aufklären. Durch TV-Sendungen klebt ein Image an bestimmten Berufen, das mit der Realität oft nichts zu tun hat. Das beste Beispiel sind die Fernseh-Köche, die dafür sorgen, dass Koch derzeit ein begehrter Beruf ist. Auch alle Berufe, die mit dem Wohnen, Kaufen und Mieten verbunden sind, werden von den Jugendlichen stark nachgefragt. Auf der anderen Seite haben es die Lebensmittelbranche und die Gastronomie schwer, Azubis zu finden. Wir müssen zusammen mit den Schulabgängern deren Stärken, Wünsche und Schwächen ermitteln und die Bereitschaft bei ihnen wecken, Alternativen zum Traumberuf zu finden und zu akzeptieren.