Die Zwillinge Christian und Sebastian wurden schwer misshandelt. Staatsanwaltschaft stellt Verfahren ein

Kreis Segeberg. Fabian Pee, 28 Jahre alt und von Beruf Busfahrer, ist zu einer bitteren Erkenntnis gekommen: „Der Staat schützt durch die Verjährungsfristen die Täter. Um die Opfer kümmert er sich nicht.“ Zusammen mit seinem Zwillingsbruder hat er ein jahrelanges Martyrium erlebt. In einem kleinen Ort im Kreis Segeberg erlebten die Brüder Grausamkeiten in einer Pflegefamilie, wurden tagelang in einen dunklen Keller gesperrt, verprügelt, durften nicht auf die Toilette, mussten ihre Fäkalien selbst in einem Wald verscharren. „Es sind nicht nur die Striemen auf dem Körper, die vernarben müssen. Die Seele ist verletzt, verstümmelt.“

Fabian Pee, der Vorname ist echt, der Nachname ein Pseudonym, versucht die Geschehnisse aus seiner Vergangenheit aufzuarbeiten. Eine Therapeutin vermittelte ihn an Jürgen Baasch, den ehemaligen Bürgermeister von Bordesholm, der sich nach seiner Pensionierung auf das Schreiben von Biografien für andere Menschen spezialisiert hat. Innerhalb von neun Monaten verfassten beide das Buch „Misshandelt – verjährt. Kinderschänder auf freiem Fuß“, in dem die Geschehnisse, die 1994 begannen, aufgearbeitet werden. Das Buch ist Weihnachten im Eigenverlag herausgekommen, inzwischen beschäftigt sich auch das Jugendamt des Kreises Segeberg mit dem Fall. Damals, 1994 und in den Folgejahren, interessierte sich offenbar niemand für das Schicksal der Zwillinge.

Christian und Sebastian, so nennt Fabian Pee (alias Christian) sich und seinen Bruder in dem Buch, kamen 1994 zu einer Pflegefamilie, weil die eigenen Eltern nicht in der Lage waren, für sie zu sorgen. Die Eltern trennten sich, der Vater zog in seine Heimat Österreich zurück, die Mutter wurde in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Die Zwillinge kamen schließlich zur Familie „Herrenhausen“, die in einem gutbürgerlichen Umfeld lebte. Zunächst verlief alles harmonisch, doch „langsam zeigten sich an dem strahlenden Himmel über dem Familienglück dunkle Wolken, von denen ich noch nicht ahnte, dass sie meine ganze Kindheit verschlucken und für mein Leben Konsequenzen beinhalten würden“, schreibt Fabian Pee. „Die böse Fratze der Tyrannin wurde sichtbar.“

Die verschmutzen Unterhosen mussten sie sich über ihre Köpfe ziehen

Die Pflegemutter ließ sich immer mehr Schikanen einfallen. Sie schlug, sie schrie, sie sperrte die Kinder in ihre Zimmer, ließ sie nicht auf die Toilette gehen. Ihre Notdurft verrichten sie in Plastikeimern, Toilettenpapier gab es nicht, die verschmutzen Unterhosen mussten sie sich über ihre Köpfe ziehen. Sie hungerten. Immer mit der Entschuldigung, die Zwillinge seien schwer erziehbar. Der Vater, anfangs ein „großer und starker Mann“ in den Augen der Kinder, fügte sich, schlug später selbst zu und spritzte die Kinder mit dem Gartenschlauch kalt ab. Die Tochter des Ehepaares schwärzte Christian und Sebastian häufig bei der Mutter an.

Zunächst Kinderzimmer, dann Kellerverliese: „Eine schmale Betontreppe wand sich vom Flur hinunter in den Keller. Dort verbrachten Sebastian und ich unvorstellbar lange Jahre unseres jungen Lebens. Sinnlos, in stupider Einzelhaft.“ An die dauernde Kälte habe er sich nie gewöhnen können, schreibt Fabian Pee, der heute in Bordesholm lebt. Die Plastikeimer für die Notdurft wurden tagelang nicht geleert, der Strom abgestellt. „Mich quälte der Hunger. Tagelang hatte ich fast nichts zu essen bekommen.“

Die Kellerfenster wurden mit Eisenstäben vergittert, die Familie „Herrenhausen“ war in den Sommerferien gelegentlich tagelang verschwunden, die Zwillinge blieben in zwei Kellerverliesen sich selbst überlassen. „Ich saß in einem vollkommen leeren Raum. Es fehlte alles: Licht, Wasser, eine Decke zum Wärmen. Die doppelt gesicherte Tür, mit einem Schlüssel und einem zusätzlichen Haken, wie man ihn für Kaninchenställe gebraucht.“ Fabian Pee beschreibt in dem Buch, wie er langsam die Selbstachtung verliert, schon früh Selbstmordgedanken hegt und sich schließlich überwand, seinen eigenen Urin zu trinken, um nicht zu verdursten.

Bei Familienfeiern führten die Pflegeeltern die Kinder vor

In der Öffentlichkeit aber präsentierte die Pflegemutter die Kinder adrett, führte sie bei Familienfeiern vor, ließ sie parieren. Bis heute hat Fabian Pee nicht verstanden, warum Familienmitglieder, Nachbarn oder Lehrer nicht auf Signale achteten. Die Schwester der Pflegemutter erstattete schließlich Anzeige, die jedoch nur eine Folge hatte: Sie bekam Hausverbot. Denn auch bei Besuchen des Jugendamtes präsentierte sich „Angelika Herrenhausen“ als treu sorgende Pflegemutter. Ihren Pflegekindern gab sie „Regieanweisungen“, wie sie sich zu verhalten hatten. „Wie viel Leid wäre uns erspart geblieben, hätte jemand diese Anzeige ernst genommen und wäre ihr pflichtgemäß nachgekommen“, schreibt Fabian Pee. Bis 2001 blieben die Zwillinge in der Pflegefamilie.

Erst mit 27 Jahren, im Jahre 2012, hatte Fabian den Mut, die Pflegeeltern anzuzeigen. Die Ermittlungsbeamten fanden Beweise, viele Aktenordner füllten sich. Die Staatsanwaltschaft stellte fest, dass den Kindern von 1994 bis 2001 „großes Leid“ zugefügt worden sei. Aber der zuständige Staatsanwalt bedauert: „Leider sind in ihrem Fall die Verjährungsfristen vom Gesetzgeber einfach zu kurz bemessen. Ich habe das Verfahren daher einstellen müssen.“ Im März 2013 kam diese Nachricht. Für Fabian Pee mehr als ein Schlag ins Gesicht.

Der Pflegevater bereut seine Taten – Kontakt zur Mutter gibt es nicht

Um den Fall nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, entschloss sich Fabian Pee, das Buch zu veröffentlichen. „Die Zeit des Schreibens war sehr hart, ich war anschließend fix und fertig“, sagt er. „Ich habe durch diese intensive Arbeit aber auch erkannt, dass ich mich für das Vorgefallene nicht schämen muss.“ Um keine Hetzjagd auf „Angelika Herrenhausen“ zu entfachen, gibt er den wahren Namen und den Wohnort nicht bekannt. Das Ehepaar hat sich getrennt, zu „Fred Herrenhausen“ hat Fabian Pee als Erwachsener Kontakt aufgenommen – er bereut seine damaligen Taten. „Angelika Herrenhausen“ hat er nicht wieder gesehen.

Vom Kreisjugendamt hat Fabian Pee inzwischen einen Brief erhalten. Das Amt will sich um eine abschließende Aufarbeitung kümmern und am Mittwoch, 15. Januar, während einer öffentlichen Sitzung des Kreisjugendausschusses berichten (18 Uhr, Kreistagssitzungsaal, Kreishaus Bad Segeberg, Hamburger Straße 30). Gerd-Rainer Busch, SPD, Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses, geht davon aus, dass die damals im Jugendamt zuständigen Mitarbeiter nicht mehr im Amt sind. „Wir müssen heute natürlich bedenken, dass damals im Jugendamt andere Standards galten.“

Tatsächlich sind nach dem „Kellerkind-Skandal“ von 2012 die Vorschriften verschärft worden. Damals hatte vom Jugendamt niemand bemerkt, dass ein kleiner Junge mitten in Bad Segeberg für längere Zeit in einem Kellerraum eingesperrt gewesen war.

Unter www.misshandelte-zwillinge.com hat Fabian Pee den Fall im Internet veröffentlicht. Das Buch „Misshandelt – verjährt. Kinderschänder auf freiem Fuß“ ist im Fabian Pee Verlag, ISBN 978-3-00-044367-1, erschienen und kostet 14,90 Euro.