Dem Reise-Brieftauben-Verein Sturmvogel gehören Züchter aus Henstedt-Ulzburg, Norderstedt, Quickborn, Ellerau, Lentföhrden und Winsen an

Meine Tauben sind hungrig, langsam werden sie unruhig“, sagt Klaus Krüger, 75. Es ist 15.30 Uhr. Zeit zum Füttern – jeden Tag zur gleichen Zeit. Krüger schlüpft in seine Stallkluft, stiefelt zum Taubenschlag hinter dem Haus und klettert vorsichtig die enge, steile Holztreppe hinauf. Oben im ersten Stock steht ein 25-Kilo-Sack mit Tauben-Spezialfutter: ein buntes Gemisch aus Mais, Weizen, Erbsen, Sonnenblumenkernen, Raps und Gerste.

Ganz aufgeregt sind die Tauben. Sie hüpfen von ihren Nistplätzen auf den sauber gefegten Fußboden hinunter und stürzen sich auf ihr Lieblingsfutter. Insgesamt zwei Kilogramm brauchen die 70 Tauben von Klaus Krüger täglich, um satt zu werden.

Jede Taube hat ihre eigenen „vier Wände“: einen Holzkasten, in dem sie lebt, brütet und den sie auch verteidigt. „Männchen und Weibchen halte ich immer getrennt“, sagt Krüger. Das habe etwas mit natürlicher Geburtenkontrolle zu tun, aber auch damit, dass die Vögel einen Anreiz erhalten sollen, bei langen Wettkampfflügen schnellstmöglich nach Hause zu fliegen. „Witwerschaft“ nennt man diese Methode. Die Taubenpärchen werden erst ein, zwei Tage vor Flugbeginn zusammengesetzt und bekommen wenig später „Sehnsucht“. Tauben sind monogam, sie haben bis an ihr Lebensende nur einen Vogelpartner.

„Tauben machen viel Arbeit, aber sie sind mein großes Hobby“, sagt Klaus Krüger. Morgens um 9.30 Uhr säubert er die Nistplätze. Er legt im „Gemeinschaftsraum“ neues Stroh aus, und er stellt frisches Wasser bereit. Dann sind die Tauben zufrieden.

Viele Pokale und Plaketten zeugen von den Erfolgen bei Wettflügen

Klaus Krüger ist seit 1973 Vorsitzender des Reise-Brieftauben-Vereins Sturmvogel Henstedt-Ulzburg und Umgebung. Taubenzüchter aus Norderstedt, Quickborn, Ellerau, Lentföhrden, Winsen und Henstedt-Ulzburg gehören dem Verein an. In ihren Schlägen leben bis zu 120 Tauben.

Regelmäßig treffen sich die Mitglieder in ihrem Vereinslokal, seit 40 Jahren schon. Karin und Klaus Krüger haben einen großen Raum im Keller ihres Einfamilienhauses auf dem Rhen gemütlich hergerichtet. Besucher staunen, wenn sie die vielen Pokale und Plaketten an den Wänden sehen – Zeugen unzähliger Siege und Platzierungen bei Wettflügen über den Kontinent.

„Von Mai bis September ist Hauptreisezeit“, sagt Klaus Krüger. Vorausgesetzt, die Tauben sind gesund, fit und haben tüchtig trainiert. Der „Kabinenexpress“, ein umgebauter Lkw, befördert die „Rennpferde des kleinen Mannes“ in kleinen Transportkisten an den Startpunkt. Dort werden sie noch einmal gefüttert und getränkt, dann aufgelassen – und dann geht es in großen Schwärmen los, zurück in ihren Schlag.

Dort erfährt der Züchter mit Hilfe eines elektronischen Konstatiersystems sekundengenau ihre Ankunft. Das Basisgerät, ein kleiner Kasten, kann den Chip auslesen, den jeder Vogel in seinem Fußring mit sich herumträgt. Später werden die Daten aller Rennflieger an einem zentralen Rechner ausgewertet. Die Auflassplätze des Brieftaubenvereins Henstedt-Ulzburg liegen in Neubrandenburg, Stargard, Parchim und in Liparow (Polen), 630 Kilometer entfernt. Zehn Stunden später sind die Schnellsten wieder zu Hause.

„Kilometerfresser“ aus Belgien sollen bei Wettflügen schon 1200 Kilometer und mehr zurückgelegt haben. Wie können sich Brieftauben über eine so weite Strecke orientieren und dann noch punktgenau im heimatlichen Schlag landen? Dieses Geheimnis ist bis heute nicht gelüftet worden. Wissenschaftler vermuten, dass dem ein komplizierter Prozess zugrunde liegen muss, an dem der Schall, das polarisierte Licht, der Sonnenstand, die Gerüche und die Erdmagnetfelder beteiligt sein könnten.

Bei großen Entfernungen machen Tauben auch gerne mal eine Pause oder orientieren sich neu. Meist ziehen sie nach einiger Zeit weiter. Manche lassen sich unterwegs gerne versorgen.

Hin und wieder verirren sich Tauben auf ihrem Rückflug. Der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter hat darauf schon vor Jahren reagiert. Tauben, die an Wettflügen teilnehmen, müssen mit einem Zusatzring versehen werden, auf dem die Telefonnummer des Taubenhalters steht.

Raubvögel sind die ärgsten Feinde der Tauben

Züchter Frank Winkel aus Henstedt-Ulzburg erinnert sich: „Ich erhielt einen Anruf aus Holland, eine zwei Jahre alte Taube von mir sei verletzt aufgefunden und gesund gepflegt worden. Ich bin mit meinem Freund Dieter Neumann hingefahren und habe sie abgeholt. Sie wurde eine meiner besten Tauben. Eine Tochter von ihr holte zwölf, die andere zehn Preise.“

Christoph Mikoda aus Lentföhrden berichtet von einer Taube, die erst nach einem halben Jahr zurückkehrte – ohne Ring. Reimer Trinks aus Quickborn, seit seiner Kindheit ein Fan der Brieftauben, spricht von einem „Bazillus“, der ihn befallen habe und von dem er zeitlebens nicht mehr loskomme.

„Raubvögel sind die ärgsten Feinde“, sagt Klaus Krüger. „Viele Tauben sind ihnen auf ihren Rückflügen schon zum Opfer gefallen.“ Auch über seinem Taubenschlag kreisen sie und halten Ausschau nach fetter Beute. Regelmäßig, auch im Winter, lässt er dennoch seine Tauben für 45 Minuten an die frische Luft: „Sie müssen sich bewegen, sonst werden sie zu fett“, sagt Krüger. „Aber jedes Mal habe ich Angst, dass eine nicht zurückkehrt.“

Vor einigen Tagen hat ein Hühnerhabicht auch bei ihm zugeschlagen. „Er saß auf dem Hausdach eines Nachbarn, schaute zu mir herüber und fraß in aller Ruhe eine meiner Tauben auf.“

Am kommenden Montag stellen wir die Interessengemeinschaft für Paläontologie und Geologie in Norderstedt vor. Alle Folgen der Vereinsserie im Internet. abendblatt.de/themen/meinvereinnorderstedt/