Deswegen kämpft Olga Schuck seit 30 Jahren für die alte Sprache. Nun geht die VHS-Kursusleiterin in den Ruhestand

Norderstedt. „Sie wird uns fehlen“, sagt Erika Schulz. „Das ist schlimm“, findet Hans-Dieter Rost, und Margit Brandenburg ist einfach nur „traurig“. Die Drei sprechen für eine ganz Gruppe von Menschen, die eins verbindet: die Liebe zur plattdeutschen Sprache, die in Norderstedt kaum jemand so verkörpert wie Olga Schuck. 30 Jahre lang hat sie den Arbeitskreis Plattdeutsch der Volkshochschule Norderstedt geleitet, nun geht sie in den Ruhestand. „Mit fast 75 möchte ich mich nicht mehr verpflichtet fühlen, alle 14 Tage in die Stadtbücherei zu fahren, den Arbeitskreis zu leiten und mich darauf vorzubereiten“, sagt die Norderstedterin, noch immer vital und fit. Sie will nicht immer aufbrechen müssen, wenn sie mit ihrem Mann im Wochenendhaus an der Nordsee Zeit verbringt.

Plattdeutsch war und ist ihr Leben, wie eine Löwin um ihre Jungen hat sie mehr als 30 Jahre lang für „ihre“ Sprache gekämpft und will auch künftig nicht davon lassen. 400 Vorträge hat sie gehalten, Theater gespielt und 1400 Bücher „op Platt“ im Haus, eins davon hat sie selbst geschrieben. „Kroogeschichten“ heißt es und erzählt von einer Zeit, als die Gasthöfe noch Treffpunkte waren, Kommunikationszentren, in denen Reiche nicht mit Armen tanzten, der neuste Klatsch die Runde machte, Geschäfte gemacht, gefeiert und Skat gekloppt wurde. Man sprach Platt, doch das niederdeutsche Idiom verlor an Gewicht, Olga Schuck, schon immer kampfeslustig im besten Sinne, war nicht gewillt, den drohenden Verlust des Kulturgutes widerstandslos hinzunehmen. Auf vielen Feldern machte sie sich für die Sprache stark, die seit der Geburt zu ihr gehört. Ihr Einsatz für die Sprache Rudolf Kinaus und Fritz Reuters wurde gewürdigt: Olga Schuck wurde als eins von zwölf Mitgliedern in den „Plattdüütschen Rat för Sleswig-Holsteen“ gewählt.

In Bredenbek ist Olga Schuck aufgewachsen, zwischen Kiel und Rendsburg, auf dem platten Land, später nach Jevenstedt gezogen. Hier wie dort war Plattdeusch Amtssprache. „Meine Mutter hat mit uns Kindern nur Platt gesprochen. Nur mit dem Apotheker verfiel sie ins Hochdeutsch, und wenn sie das zu Hause benutzte, wussten wir: Es gibt Ärger“, sagt Olga Schuck. Als Jugendliche gründete sie ein Laientheater und spielte gleich eine Hauptrolle: Wenn „Olli“ mitspielt, dann klappt das, hieß es. Schnell hatte die temperamentvolle Deern ihren Spitznamen weg: Heidi Kabel von Jevenstedt.

Die lernte allerdings was Solides, machte eine Banklehre bei der Raiffeisenbank und bekam frei vom Chef, wenn sie für Hochzeitsfeiern angefordert wurde. Ein bisschen kellnern und die Gäste unterhalten, lautete ihr Auftrag. Das konnte sie, Veranstaltungen organisieren und Menschen motivieren auch. Ihr Tatendrang war kaum zu bremsen. „In jedem Dorf habe ich einen Verein gegründet“, sagt sie. In Jevenstedt das Amateurheater und die Landjugend, in Hamburg-Neuenfelde einen Tischtennis-Verein, in Hamburg die Segelsparte der Vereinsbank.

Als junge Bankangestellte kam sie 1970 nach Norderstedt, heiratete 1976 und bekam zwei Söhne. Sie hörte auf zu arbeiten, kümmerte sich um die Kinder und stellte fest: „Nur der Haushalt, das ist mir zu wenig.“ Sie blätterte im VHS-Programm, fand den Plattdeutsch-Kursus von Detlef Ehlers und meldete sich an. Ehlers, ein pensionierter Lehrer, war eine Institution an der VHS. Als er sich zurückzog, bestimmte er Olga Schuck zu seiner Nachfolgerin. „Ob de lütte Deern das wohl kann, die Schuhe sind doch viel zu groß“, hätten die Skeptiker gesagt und damit den ohnehin ausgeprägten Ehrgeiz der Neuen nur noch mehr angestachelt. Die bewies, was sie konnte, schnell wurden aus sieben Teilnehmern 50.

„Bei den Treffen der VHS-Kursleiter haben mich die Kolleginnen immer gefragt, wie ich das mache“, sagt die engagierte Verfechterin des Niederdeutschen. Nicht nur vorlesen, die Teilnehmer einbeziehen, sie Texte schreiben und lesen lassen, Themenabende anbieten, mit Verkleiden, Vorführen und vor allem: viel Spaß. Die Gruppe ist in alte Trachten geschlüpft, hat Menuett und Polka getanzt, einem Leierkastenmann gelauscht und Kökschenlieder gesungen, die neue Sommermode aus alten Zeiten auf den Laufsteg gebracht.

„Mir war immer wichtig, dass meine Teilnehmer was mitnehmen nach Hause. Das muss nicht immer lustig sein“, sagt Olga Schuck. Manchmal seien sie schweigend, „ganz bedröppelt“, nach Hause gegangen, hätten sie zwei Tage später angerufen und gesagt: Jetzt wüssten sie, was gemeint war. „Wer die niederdeutsche Sprache entdecken will, kommt nicht nur zu Döntjes, auch Tod und Trauer gehören dazu“, sagt Schuck. Ausflüge waren Teil der Erfolgsgeschichte und plattdeutsche Prominenz wie Professor Reimer Bull, Ex-Ohnsorg-Intendant Konrad Hansen und Ex-Tagesschau-Sprecher Wilhelm.

Doch die Plattdeutsch-Protagonistin wollte nicht nur den Älteren eine Chance geben, die Sprache ihrer Kindheit aufleben zu lassen. Auch und gerade die jungen Leute müssen ran an die Sprache, die einfach zur Kultur gehört wie Lesen und Schreiben, jedenfalls, wenn es nach Olga Schuck geht. Also ging sie in die Schulen, startete Arbeitsgemeinschaften und beließ es nicht beim Kopf. Der Drang zur Bühne brach sich wieder Bahn, sie spielte mit den Kindern Theater, übersetzte extra den Klassiker „Don Quijote“ in ihre geliebte Mundart, wo er dann „De afsünnerlichen Beleven vun Don Quichotte un Sancho Pansa“ hieß. Die Protagonisten vom Coppernicus-Gymnasium ritten nicht durch die spanische Ebene, sondern durch die Wilstermarsch. Und sie gingen im Radio auf Sendung, um andere Jugendliche mitzuziehen.

Mit Ballettkindern führte Olga Schuck die Regentrude auf. „Kaum einer weiß, was hinter der gleichnamigen Figur auf dem Rathausplatz steckt. Ich finde, alle Norderstedter Kinder sollten die Novelle von Theodor Storm in der vierten Klasse lesen“, sagt die Norderstedterin. Was schätzt sie an Plattdeutsch? „Die Sprache ist alt, aus dem Leben gewachsen und auf den Punkt genau. Sie ist nicht plump und hölzern. Ganz im Gegenteil, ich bewundere die Sprache wegen ihrer besonderen Ausdruckskraft, Bildhaftigkeit und Menschlichkeit“, sagt Olga Schuck. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass es alleine für das Wort „Gehen“ 41 plattdeutsche Bedeutungen gibt? Sagt man zum Beispiel „Opa slapt dörch den Gorn “, dann hat Opa eben Slappen an, geht schleppend, etwas behäbig.

Und: „Plattdeutsch überwindet Mauern“, sagt Olga Schuck. Zum Beispiel, wenn einer ins Rathaus geht und aus lauter Angst vor Amtssprache und Autorität ins Stottern gerät. Ein Schnack op Platt kann da Wunder wirken. Das hat auch Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote erkannt, der genauso Plattdeutsch gelernt hat wie Emmaus-Pastor Martin Lorenz. „Und dass der Oberbürgermeister op Platt aus meinem Buch vorgelesen hat, macht mich schon stolz“, sagt Olga Schuck, die ihren Vorgänger Ehlers längst als Institution abgelöst hat.