Heute stellen wir Ihnen das Akkordeon-Orchester Kaltenkirchen vor. Die Musiker, die für ihr Instrument bis zu 8000 Euro zahlen, kommen aus allen Himmelsrichtungen

Kaltenkirchen. „Wir haben es bei dieser Übermacht der Damen schwer“, sagt Sascha Böker und packt sein Akkordeon aus. Peter Kölln steht neben ihm und nickt. Wirklich ernst meinen sie das natürlich nicht, aber sie sind an diesem Abend die einzigen Männer beim Training des Akkordeon-Orchesters Kaltenkirchen. Das Motto im Probenstudio an der Holstenstraße lautet: zwei Männer gegen zwölf Frauen.

Heute fehlt der wichtigste Mann: Dirigent Karsten Schnack, 43. Der freiberufliche Musiker aus Ruhwinkel im Kreis Plön hat sich abgemeldet. Er tourt mit dem amerikanischen Gesangsstar Helen Schneider und anderen Kulturgrößen durch Norddeutschland.

„Der Ghetto Swinger“ heißt das Theaterstück, in dem Schnack die musikalische Leitung hat. Es erzählt die Lebensgeschichte der Jazzlegende Coco Schumann, der vor 70 Jahren – als Mitglied einer Musikkapelle – die Konzentrationslager Theresienstadt und Ausschwitz überlebt hat.

Karsten Schnack, auch Leiter des Kieler Akkordeon-Orchesters, ist stark beschäftigt, doch er ruft aus Peine zurück. Gestern, in Gifhorn, sei die Vorstellung fast ausverkauft gewesen, berichtet er. Die Tour laufe gut, doch er freue sich schon auf die nächsten Trainingsstunden in Kaltenkirchen und den großen Auftritt seines Orchesters anlässlich des Neujahrsempfangs im Kaltenkirchener Rathaus.

Karsten Schnack ist voll des Lobes, als die Sprache auf die musikalische Qualität des Akkordeon-Orchesters Kaltenkirchen kommt: „Das Niveau ist außergewöhnlich hoch.“ Einmal, als Newcomer, habe es sich bei einem Musikwettbewerb in Prag mit einem Orchester der Weltklasse aus Oslo gemessen. „Wir waren punktgleich Zweiter, wir hätten sogar den Sieg verdient gehabt“, erzählt er.

Es war der einzige Auftritt seines Orchesters bei einem Wettbewerb und soll es auch bleiben. „Für solche Wettbewerbe muss man das ganze Jahr üben, und keiner will das am Ende wirklich hören“, sagt der Dirigent. „Wir haben uns deshalb für Auftritte vor Publikum entschieden, beides lässt sich nicht vereinbaren.“

Der diplomierte Musik-Pädagoge ist dafür bekannt, dass er mit Liebe und Engagement zum Detail lebendige Probenarbeit leistet, die stets für Begeisterung sorgt. Das bestätigen alle Orchester-Mitglieder. „Wir haben in den vergangenen Jahren eine Menge von ihm gelernt und verstehen uns prächtig“, sagt Vereinsvorsitzende Ute Böhme.

Utes Mutter Anneliese, neben Hedwig Fiehland einziges noch im Verein verbliebenes Gründungsmitglied, beklagt, dass es nicht mehr wie früher ein Kinder- und Jugendorchester gibt: „Das Interesse ist leider zurückgegangen. Aber vielleicht ändert sich das ja wieder.“ Während Anneliese von der Vergangenheit erzählt, hat sich das Orchester in Positur gesetzt und spielt eines seiner Lieblingsstücke: den Walzer Nummer zwei von Dmitri Schostakowitsch.

Später erklärt Ute Böhme die Philosophie des Orchesters: „Ziel und Antrieb ist der Spaß am gemeinsamen Musizieren auf hohem Niveau.“ Klassik bis Pop stehen im Repertoire, der Schwierigkeitsgrad reicht von der Mittel- bis zur Kunststufe. Und jedes Jahr wird ein komplett neues Programm erarbeitet.

Auf ein Highlight können sich die Musikfreunde heute schon freuen – auf das Jahreshauptkonzert am 2. März 2014 im Rathaus Kaltenkirchen. An dem Tag will das Orchester ein buntes Programm mit Stücken aller Musikrichtungen wie „Die verkaufte Braut“, „Rolling Stones Fantasy“, „Fantasia Iberica“ und „Verdis Triumph“ vorstellen.

Dass dieser Auftritt wieder erfolgreich wird, darauf arbeiten alle mit großer Energie hin. Christina Glocker aus Henstedt-Ulzburg zum Beispiel. Mit sechs Jahren hat sie ihr erstes kleines Akkordeon bekommen und ist später Vereinsmitglied geworden. „Hier habe ich meinen späteren Ehemann Andreas kennengelernt“, erzählt sie. „Man musiziert zusammen, feiert manchmal, und irgendwann hat es zwischen uns gefunkt.“ Seit 2003 sind die beiden glücklich verheiratet. Die Akkordeonspieler, die für ihr Instrument bis zu 8000 Euro bezahlen, kommen aus allen Himmelsrichtungen – aus Kaltenkirchen, Henstedt-Ulzburg, Quickborn, Norderstedt, Hamburg, Itzehoe, Seevetal, Oersdorf und Todesfelde.

Zum Verein gehören auch passive und Ehrenmitglieder, die dem Orchester zugetan sind. Mit ihnen und den Kindern der Spieler, den Minimitgliedern, werden auch Unternehmungen wie Kegeln, Fahrrad-, Fußgängerrallyes und Paddeltouren organisiert. Und einmal im Jahr – dieses Mal vom 10. bis 12. Januar – trifft sich das Orchester zu einem Probenwochenende in Plön.

„Nur eines fehlt noch zu unserem Glück“, verrät Ute Böhme. „Wir suchen dringend einen oder zwei Spieler für unsere Bass-Akkordeons. Wichtig sind bei Besetzung dieser Führungsstimme Takt- und Tempofestigkeit und absolute Zuverlässigkeit in Bezug auf die Teilnahme an Proben- und Konzertterminen.“ Sascha Böker und Peter Kölln würden sich freuen, wenn endlich wieder ein Mann zum Orchester stoßen würde...

Am kommenden Montag stellen wir Ihnen den Kunstkreis Norderstedt vor. Alle Folgen finden Sie im Internet.

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