Der 57 Jahre alte Holger Weihe aus Henstedt-Ulzburg war für die Organisation German Doctors als Geburtshelfer im Einsatz

Henstedt-Ulzburg. Falkenstraße/Ecke Hamburger Straße: Wer in die Praxis von Holger Weihe und seinen Kolleginnen will, muss höchstens damit rechnen, dass vor dem Haus kein Parkplatz gefunden wird. Dann darf sich der Grippepatient 150 Meter bis zur Praxis schleppen. Das kann für manchen eine Herausforderung sein. Holger Weihe, der hier als Allgemeinmediziner tätig ist, hat ganz andere Verhältnisse erlebt: Er war in Sierra Leone für die Organisation German Doctors im Einsatz, um sechs Wochen lang mitten im Land in einem Krankenhaus im Geburtshilfebereich zu helfen. Wer dieses Krankenhaus aufsucht, hat in der Regel eine Zwei-Tages-Reise unter einfachen Bedingungen hinter sich. Soll heißen: Nur in ganz seltenen Ausnahmefällen kommen die Patienten mit dem Auto, oft sind es Karren, Fahrräder oder Esel, die als Transportmittel dienen.

In Sierra Leone sterben immer noch viel zu viele Frauen während oder nach der Geburt. Und auch bei den Kindern unter fünf Jahren ist die Sterblichkeitsrate immer noch sehr hoch. Im Serabu Community Hospital, das 1954 von irische Ordensschwestern gegründet wurde und nach dem Bürgerkrieg vollständig wieder aufgebaut werden musste, arbeitete der als Gynäkologe ausgebildete Arzt aus Henstedt-Ulzburg, im Geburtshilfebereich; denn die Sorge um die Frauen und die Kinder ist ein besonderes Anliegen der deutschen Ärzte. In diesem Krankenhaus bieten German Doctors eine Schwangerenvorsorge sowie sichere Geburten durch erfahrene Hebammen im Kreißsaal des Hospitals an. Für Notfälle ist immer ein Chirurg der German Doctors anwesend.

Sechs Wochen lang war Holger Weihe in diesem Bereich tätig. Unentgeltlich, nur gegen Unterkunft und Verpflegung. In einem Operationssaal, Standard 80er-Jahre, musste er Kaiserschnitte vornehmen, Ausschabungen und Bauchhöhlenschwangerschaften beenden. Unter den 56 Geburten, die er während dieser Zeit betreute, waren nur fünf normale. Zwei Frauen verbluteten während der Geburt, fünf Kinder waren schon im Mutterleib gestorben.

Eine Bilanz, die ohne Holger Weihe und die Kolleginnen und Kollegen von German Doctors schlechter ausgefallen wäre: Die Frauen in Sierra Leone bringen ihre Kinder normalerweise ohne ärztliche Hilfe zur Welt, ins Krankenhaus gehen sie nur, wenn eine Risikogeburt absehbar ist. Viele Frauen gelangen sehr spät ins Krankenhaus, weil die Anreise zu lange dauert. Für manche kommt die Hilfe dann zu spät. „Sierra Leone hat deshalb weltweit die höchste Müttersterblichkeitsrate“, sagt Holger Weihe. „Und auch bei den Kindern unter fünf Jahren ist die Sterblichkeitsrate immer noch sehr hoch.“ Die deutschen Fachärzte schulen das einheimische Personal. Lokale Gesundheitshelfer und Hebammen erhalten Fortbildungen.

Für den Arzt aus Henstedt-Ulzburg, der außerdem einer von zwei Abgeordneten der Linken-Fraktion im Segeberger Kreistag ist, war es eine anstrengende Zeit: Er hat praktisch sechs Wochen ohne größere Pause durchgearbeitet; erst nach drei Wochen hatte er erstmals Gelegenheit, das Krankenhausgelände zu verlassen. 40 Prozent der Einsätze erfolgten nachts oder an den Wochenenden.

Zu viel ist es dem 57 Jahre alten Mediziner, der dafür einen Zusatzurlaub in Anspruch nahm, jedoch nicht geworden. „Es war natürlich anstrengender, als in der Praxis zu arbeiten, aber das Maß an Arbeitszufriedenheit war ungleich höher.“ Um das Krankenhaus und den OP-Trakt mit Licht und Strom zu versorgen, wurde 2012 mit Hilfe einer großzügigen Unterstützung des Kindermissionswerkes „Die Sternsinger“ eine große und effiziente Solaranlage installiert.

1990 war Holger Weihe schon einmal für zwei Jahre als Arzt in Burkina Faso im Einsatz, wo er ein Gesundheitszentrum geleitet hat. Jetzt hat er sich wieder in ein Land der Dritten Welt begeben, um den Menschen zu helfen. „Ich hatte den Eindruck, dort gebraucht zu werden“, sagt Holger Weihe, der als Hausarzt einen hervorragenden Ruf in Henstedt-Ulzburg genießt, weil er sich viel Zeit für seine Patienten nimmt. „Gerade in Sierra Leone herrscht eine große ärztliche Versorgungslücke.“ Durch die gute Arbeit der German Doctors und des Teams des Krankenhauses ist das Vertrauen der Landbevölkerung in das Krankenhaus wieder gestiegen – der Arzt aus Henstedt-Ulzburg hat mit seiner Ruhe und Umsicht dazu beigetragen.

Wie schwer die Lebensbedingungen der Menschen in Sierra Leone sind, hat Holger Weihe auch anhand der kaum vorhandenen und nur wenig ausgebauten Verkehrswege in dem armen westafrikanischen Land erkennen können. Die nächstgrößere Provinzstadt Bo ist nur etwa 40 Kilometer vom Serabu Community Hospital entfernt. Die Straße ist aber so schlecht, dass man bei guten Bedingungen fast drei Stunden für die Strecke braucht, in der Regenzeit kann es auch bis zu fünf Stunden dauern. Und das alles nur mit einem guten Geländewagen, den natürlich kaum ein Einheimischer besitzt. Für die Menschen im Bumpe-Gao-Distrikt ist Bo fast unerreichbar, erst recht in Notfallsituationen. Daher ist eine direkte Gesundheitsversorgung für die Menschen im Serabu Hospital durch die German Doctors und das einheimische Team überlebenswichtig. Die Zielgruppe erhält kostenlosen Zugang zu Diagnostik, Behandlungen und Medikamenten. Eine Krankenversicherung gibt es in Sierra Leone nur für diejenigen, die in einem festen Arbeitsverhältnis sind – also nur für ganze wenige Bürger des Landes.

Für Holger Weihe wird es wohl nicht der letzte berufliche Aufenthalt in einem armen Land gewesen sein. „Das hautnahe Erleben, wie Menschen in anderen ärmeren Teilen der Welt leben, ist für mich eine Horizonterweiterung.“