Die Maßnahme 50, eine Leitung zwischen Lübeck und dem Kreis Segeberg elektrisiert die Bürger und wirft Fragen auf. Der Netzentwicklungsplan sorgt für heftige Diskussionen.

Henstedt-Ulzburg. Die neueste Fassung des Netzentwicklungsplans (NEP) hat die Politik in Kaltenkirchen, Henstedt-Ulzburg sowie in umliegenden Gemeinden aufgeschreckt. In dem Papier listet die Bundesnetzagentur sämtliche Projekte detailliert auf, mit denen das deutsche Stromnetz anlässlich der Energiewende modernisiert werden soll. Schließlich reichen die momentanen Kapazitäten der Netze nicht aus, um den prognostizierten Zuwachs erneuerbarer Energien – insbesondere Windkraft – transportieren zu können.

Die Region nördlich von Hamburg – und damit der Kreis Segeberg – ist davon direkt betroffen. Es ist die Maßnahme Nummer 50, eine Leitung zwischen Lübeck und dem Kreis Segeberg, die viele neue Fragen aufgeworfen hat. „Der Bau einer 380-kV-Leitung in der Trasse der bestehenden 220-kV-Leitung zwischen Lübeck und Kreis Segeberg ist notwendig“, heißt es im NEP. Und: „Im Kreis Segeberg ist der Neubau einer 380-kV-Schaltanlage notwendig.“ Letzteres ist nichts anderes als ein Umspannwerk.

Nun zeigen Berechnungen, dass die besagte Trasse durchschnittlich zu 9,8 Prozent ausgelastet ist und selbst zu Spitzenzeiten nur einen Wert von 30,6 Prozent erreicht. Der Netzbetreiber Tennet argumentiert jedoch anders. Die bestehende Netzstruktur sowie die Umspannwerke seien nicht mehr ausreichend, um der langfristig erwarteten höheren Belastung durch erneuerbare Energien gerecht zu werden. Zudem käme es bei einem Störfall zu Versorgungsengpässen. Eine 380-kV-Leitung würde hier für Sicherheit sorgen.

Das Problem aus Sicht der Kommunen im südlichen Kreis Segeberg ist die Vorstellung, dass mitten durch die Orte eine neue aufgerüstete Trasse führen könnte. Eigentlich hatten Politiker und Bürger das Gegenteil erwartet. Allerdings ist im Netzentwicklungsplan kein alternativer Verlauf ausgewiesen. Der Standort des Umspannwerks, also der Endpunkt der Leitung, ist vage mit „Kreis Segeberg“ beschrieben. Derzeit befindet sich das Umspannwerk in Henstedt-Ulzburg an der Edisonstraße.

Während Bürger bis Freitag Zeit haben, mussten Städte und Gemeinden hierzu bereits Stellungnahmen abgeben. In Henstedt-Ulzburg wirft Karin Honerlah, Fraktionsvorsitzende der Wählergemeinschaft WHU, der Verwaltung vor, die Frist schlicht verschlafen zu haben. „Es ist mehr als traurig. Erneut hat Kaltenkirchen fristgerecht die Stellungnahme eingereicht, aber Henstedt-Ulzburg hat es nicht für nötig gehalten. Hier wurden Chancen verschlafen.“

Die stellvertretende Bürgermeisterin Elisabeth von Bressensdorf (CDU) weist dies zurück. „Wir haben nichts verschlafen, das ist ein abwegiger Vorwurf. Im Moment ist das nicht akut. Wir haben mit Tennet Gespräche geführt und weitere sind angedacht.“

In der Tat stellt der NEP zunächst nur einen Bedarf fest, den die Netzbetreiber jeweils angegeben haben. Wird dieser bestätigt, werden für die Projekte Korridore gesucht oder bestehende alte Trassen. Die Verläufe werden im anschließenden Planfeststellungsverfahren festgesetzt, ehe ein Planfeststellungsbeschluss folgt.

Im aktuellen Fall versucht Tennet, Schärfe aus der Diskussion zu nehmen. „Das jetzige Umspannwerk in Henstedt-Ulzburg ist schwierig anzugehen mit einer neuen Leitung“, sagt Unternehmenssprecher Alexander Greß. Erst 2014 wollen die Planer mit der Korridorsuche beginnen. Natürlich wäre ein Bau in der Bestandstrasse am günstigsten. Aber neue Wohngebiete und Naturschutzräume sprechen dagegen, sodass es ebenso realistisch ist, dass die Leitung nach Norden verschwenkt wird. Greß: „Wir stehen in regelmäßigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort.“

Wo genau das notwendige neue Umspannwerk entstehen könnte, bleibt vage. In Kaltenkirchen wehrt sich die Wählergemeinschaft Pro Kaki schon einmal präventiv – auch gegen die Erweiterung der Trasse Lübeck–Kreis Segeberg. „Die Bundesnetzagentur wird aufgefordert zu überprüfen, ob ein Neubau tatsächlich erforderlich ist oder ob eine neue 380-Kilovolt-Leitung mit Hilfe von anderen Maßnahmen entbehrlich ist“, heißt es in einer Stellungnahme. Dazu solle die Agentur Klarheit schaffen über den geplanten Standort eines Umspannwerkes. Spekuliert wird hier über einen Bau zwischen Kaltenkirchen, Schmalfeld und Nützen.

Derweil läuft das Planfeststellungsverfahren für die neue 380-Kilovolt-Trasse entlang der Autobahn 7. Sie ersetzt die bisherige Leitung, die unter anderem Wohngebiete in Henstedt-Ulzburg und Kisdorf tangiert – mittelfristig aber abmontiert werden soll. Die Gemeinde Nützen und die dortige Wählergemeinschaft Positiver Lebensraum Nützen haben gegen den Verlauf indes fristgerecht Einspruch eingereicht. „Dort, wo die Trasse über Nützener Gebiet verläuft, entstehen 30 Hektar Gewerbeflächen. Deren Wert mindert sich“, sagt Gert Kattau (PLN), „mit einer Erdverkabelung wäre allen geholfen.“ Nach jetziger Gesetzeslage ist Tennet dazu jedoch nicht verpflichtet. Kattau: „In Berlin hat Tennet aber zum Beispiel eine 11 Kilometer lange unterirdische Leitung gebaut. Und wenn wir jetzt nicht unsere Stimme erheben, klingt das so, als ob alle einverstanden wären.“

Noch bis Freitag können Bürger Stellungnahmen zum Netzentwicklungsplan abgegeben werden. Informationen hierzu gibt es auf den Internetseiten der Wählergemeinschaft WHU und von Pro Kaki. www.w-h-u.de, www.pro-kaki.de