Helmut Albers und Hannelore Kickhöfel waren Nachbarskinder. Der Krieg hat sie getrennt, das Abendblatt sie wieder zusammengebracht

Norderstedt. Es ist ein Wiedersehen nach gut 70 Jahren. Der Zweite Weltkrieg hatte zwei Menschen getrennt, die als Kinder Nachbarn waren. Helmut Albers wohnte an der Süderstraße 202, Hannelore Kickhöfel, geborene Ullrich, an der Süderstraße 204 in Hamburg. Nun haben sich die beiden wieder gefunden, eine Geschichte in der Regionalausgabe Norderstedt des Hamburger Abendblatts hat den Kontakt gezündet. Im Dezember 2012 berichteten wir ausführlich über Helmut Albers – einen Mann, der trotz seiner 91 Jahre noch vital ist, die steile Treppe in seinem Norderstedter Reihenhaus erklimmt, sich über die Politiker in TV-Talk-Shows ereifert und mit Radio-Moderatoren scherzt.

Die beiden vitalen Senioren waren sich auf Anhieb sympathisch

Über Bekannte fiel der Artikel Hannelore Kickhöfel in die Hände. Sie erinnerte sich an den Nachbarjungen und recherchierte seine Telefonnummer. „Ich weiß gar nicht mehr genau, wo ich die her hatte“, sagt die 87-Jährige, die in Hamburg-Osdorf wohnt. Jedenfalls griff sie, gespannt und aufgeregt, zum Telefon. Albers freute sich, erinnerte sich sofort an das Mädchen von nebenan. „Wir waren uns auf Anhieb sympathisch“, sagt die Seniorin, mindestens so gut erhalten wie Albers. Sie verabredeten sich, die Hamburgerin, noch besser zu Fuß als der Norderstedter, machte sich mit Bus und Bahn auf den Weg. Zum dritten Mal am Sonntag, die Seniorin holte Albers ab, zu Fuß gingen sie die paar Meter bis „Zum Griechen“, Albers Stammlokal an der Ochsenzoller Straße.

Schon beim Salat sind die beiden in alte Zeiten abgetaucht, beim Du sind sie sowieso und beim „Weißt Du noch?“ auch. Zum Beispiel bei der Geschichte von den Lackschuhen. Die hatte die kleine Hannelore gleich nebenan bei Schuh Albers gesehen – der Vater von Helmut Albers führte das Fachgeschäft. Das Mädchen bettelte und bat so lange, bis die Mutter mit ihr in den Laden ging.

Erst kullerten die Tränen, dann waren alle glücklich und zufrieden

Die Größe war da, aber die Schuhe waren teuer, und Geld war damals knapp. Der Traum von den Füßen in Lackschuhen drohte zu zerplatzen, bei Hannelore kullerten schon die Tränen über die Wangen. „Doch meine Mutter, die gelegentlich im Verkauf mithalf, bekam das Drama mit und bot an, die Schuhe in Raten zu bezahlen. Mutter und Tochter nahmen das Angebot an, und alle waren glücklich und zufrieden“, erinnert sich Albers.

Doch dann trennten sich die Wege der Nachbarskinder. Albers wurde zur Kriegsmarine eingezogen. Genau einen Tag, bevor bei der Operation „Gomorrha“ die Bomben auf Hamburg fielen, folgte er seinem Marschbefehl und reiste nach Triest. Seine Eltern starben im Bombenhagel, Nachbarin Hannelore und ihre Eltern wurden evakuiert, setzten ihr Leben nahe Dannenberg an der Elbe fort.

Offensichtlich hatte das Schuhgeschäft nebenan Hannelore Ullrich beeindruckt. Jedenfalls lernte sie Schuhverkäuferin, arbeitete im Schuhhaus Bode in Bergedorf, als sie der Krieg ein zweites Mal aus dem Alltag riss. Die junge Frau musste im Radioröhren-Werk von Philips-Valvo für die Rüstungsindustrie arbeiten. „Eine schreckliche Zeit“, sagt die Seniorin.

Sie durfte im Lager wohnen, bei Luftangriffen im Bunker Schutz finden. Doch den jungen Russinnen, die hier Zwangsarbeit leisten mussten, blieb der Schutzraum verwehrt. Viele seien getötet worden, die Leichen lagen in Gräben, in denen sie Schutz gesucht hatten. „Und dabei hatten sie sich schon so auf das Ende des Krieges und die Rückkehr in ihre Heimat gefreut“, sagt Hannelore Kickhöfel.

Sie lernte ihren Mann kennen, zog mit ihm nach Hamburg-Osdorf. Eine Tochter hat sie und eine Enkelin. Auch Albers hat Tochter und Enkelin. Auch er hatte Glück, verdammt viel Glück, wie er heute sagt. Dreimal innerhalb weniger Tage hätte er fast sein Leben verloren. Zum ersten Mal, als er einen Tag vor den britischen Großangriff nach Triest reiste. Als der Marinesoldat am Ziel ankam, meinte es das Schicksal zum zweiten Mal gut mit ihm: Sein Schiff war schon weg, Albers machte sich auf nach Piräus, um auf einem anderen Frachter Dienst zu leisten. „Und da wurde mir mitgeteilt, dass mein ursprüngliches Schiff von einem englischen U-Boot versenkt worden war, niemand hatte überlebt“, sagt der Garstedter.

Als er vom Tod seiner Eltern erfuhr, wurde ihm die Grausamkeit des Krieges bewusst. Er beschloss, den Kriegsdienst zu verweigern, obwohl er wusste, dass diese Entscheidung eigentlich Tod durch Erschießen bedeutet. Aber das war ihm egal. Als er beim Kommandeur zum Rapport bestellt wurde, sah Albers seine letzten Stunden gekommen – und wieder griff der Schutzengel ein. „Der Kommandeur war Hamburger und hatte bei den Angriffen der Engländer ebenfalls alles verloren. Statt des Schießbefehls gab der Offizier Order, zum Bombenurlaub in der Heimat aufzubrechen“, sagt Albers.

Zwei lange Leben und 70 getrennte Jahre bieten ausreichend Stoff für viele weitere Treffen. „Und die werden mit Sicherheit stattfinden“, sagen die beiden ehemaligen Nachbarskinder, die sich unbändig freuen, dass sie nochmals zueinander gefunden haben.