Die Grenzen dicht, die Flüchtlinge draußen halten – das ist der Kern der derzeitigen europäischen Flüchtlingspolitik.

Es gibt auch andere Möglichkeiten – die Bibel bezieht eine andere Position:„Und den Fremdling sollst du nicht bedrücken; ihr selbst wisset ja, wie es dem Fremdling zu Mute ist, denn Fremdlinge seid ihr im Lande Ägypten gewesen“ (2. Mose 23,9). Eine solch deutliche Position hat sich die Bibel mühsam „erarbeitet“. Sie ist ein Buch voller Flüchtlingsgeschichten. Abraham – ein Wirtschaftsflüchtling. Weil eine Hungersnot kam, zog er nach Ägypten, dort war er ein „Fremdling“ (1. Mose 12,10). Mose war ein politischer Flüchtling. Er hatte sich mit den Aufsehern angelegt, die die Israeliten zum Sklavendienst trieben – einen der Aufseher erschlug er gar im Zorn (2. Mose 2,11-15). Und König David, Vorbild aller Könige Israels? Er floh vor seinem Schwiegervater und versteckte sich im Ausland. Und letztlich: Nie hätte es eine Geschichte Jesu gegeben, wenn nicht seine Eltern kurz nach der Geburt vor den Mordgelüsten des Herodes nach Ägypten geflohen wären – dort blieben sie erst einmal als politische Flüchtlinge (Matthäus 2,13-15).

Geschichten aus längst vergangenen Zeiten? Die Realität spricht eine andere Sprache. Flüchtlingen aus Syrien erlauben wir inzwischen die Einreise – zum Glück! So haben sie eine Chance, der Todesgefahr des Bürgerkriegs zu entfliehen. Auch Christen aus dem Iran kommen zu uns, verfolgt als „Ungläubige“ von islamischen Fanatikern. Die Schlagzeilen beherrscht haben allerdings in den letzten Wochen die „Lampedusa-Flüchtlinge“ in der Hamburger St.-Pauli-Kirche. Auch sie brauchen eine Chance – nicht bloß eine Fahrkarte nach Italien. Ob sie ein Bleiberecht bekommen, wird erst nach einer sorgfältigen Prüfung ihrer Fluchtgründe entschieden.

Sicherlich, unsere Gesellschaft ist komplizierter als zu Zeiten von Abraham und Mose. Aber auch unsere Möglichkeiten sind vielfältiger geworden – die Migrationssozialberatung des Diakonischen Werkes in Norderstedt leistet hier eine tolle Arbeit. Doch das wird nur funktionieren, wenn wir sie unterstützen, finanziell, aber noch mehr mit unserer Grundhaltung: „den Fremdling sollst du nicht bedrücken“, hilf ihm vielmehr, sein Leben neu zu ordnen.

Dr. Karl-Heinrich Melzer, Propst im Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein