Im „Blickpunkt Auge“ beraten erfahrene Sehbehinderte Leidensgenossen, die noch am Anfang ihres Weges stehen

Norderstedt. Margarete Sildatke ist den Weg vom Hellen ins Dunkle gegangen. Seit 1998. Sie kennt die Qualen, die es einem bereitet, wenn die Augen einen Stück für Stück verlassen. Heute ist sie bei einem Sehvermögen von unter zwei Prozent gelandet – auf ihrem guten Auge, dem rechten. Das linke ist blind. So wie ihr ergeht es etwa 20.000 Menschen in Schleswig-Holstein. 5000 Menschen im Land sind völlig erblindet.

Margarete Sildatke hat gleich zwei Augenkrankheiten: Die altersbedingte Makuladegeneration und ein Glaukom, besser bekannt unter dem Namen Grüner Star. „Doch all das ist kein Grund zum Verzweifeln. Das Leben ist trotzdem lebenswert. Es gibt viele Hilfsmittel und jede Menge Unterstützung“, sagt sie. Das möchte sie möglichst vielen Leidensgenossen vermitteln.

Im Blinden- und Sehbehindertenverein Schleswig-Holstein engagiert sie sich Sildatke jetzt beim Aufbau des unabhängigen Beratungsangebotes „Blickpunkt Auge“ in Norderstedt, ein Modellprojekt, das der Verein für vier Jahre in Städten und Kommunen in Schleswig-Holstein, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt umsetzt. Gemeinsam mit der Vereinskollegin Julia Sembritzki will Sildatke regelmäßige Beratungsgespräche im Norderstedter Rathaus anbieten. Der erste Termin ist am Dienstag, 29. Oktober, zwischen 10 und 13 Uhr, im Raum K132, ein weiterer Termin ist am 19. November geplant. „Ab dem kommenden Jahr werden wir monatlich immer zwei Termine anbieten – je nachdem, wie sich die Nachfrage entwickelt Wir wissen ja noch gar nicht, wie viele Menschen in Norderstedt und Umgebung betroffen sind. Das wollen wir mit dieser Aktion herausfinden“, sagt Sildatke. Sich outen und dazu stehen, stark sehbehindert zu sein. Für Margarete Sildatke war das auch nicht leicht. „Es kostete mich unendliche Überwindung, bis ich das erste Mal mit dem Blindenhund vor die Türe gegangen bin.“ Nicht mehr selbstständig zu sein, nicht mehr Autofahren zu können, die Freunde und Bekannten auf der Straße nicht mehr erkennen, erleben, wie Freunde einen nicht mehr einladen, weil sie die Probleme mit der Krankheit scheuen. Nicht jeder ist stark genug, das auszuhalten und zieht sich lieber völlig aus der Gesellschaft zurück. „Stark Sehbehinderte und Blinde werden sehr schnell einsam“, sagt Sildatke.

Sie möchte für den anderen Weg werben, für die Teilnahme am Leben, für das Nichtaufgeben, für den Kampf gegen die Augenkrankheiten und ihre Folgen – so gut es eben geht. In den Beratungsgesprächen im Rathaus will sie Betroffene auf Augenhöhe aufklären. „Ärzte können einem ja manchmal noch nicht einmal sagen, woran man genau leidet. Geschweige denn Tipps geben, wie man mit der Behinderung lebt. Die wissen ja nicht, wie das ist“, sagt Sildatke. Wer ins Rathaus kommt erfährt im „Blickpunkt Auge“, wie er die nötigen Behinderten-Ausweise bekommt, etwa für den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr oder den Behindertenparkplatz. Sildatke ist bestens vertraut mit allen Diagnosen, allen therapeutischen Möglichkeiten und den dafür besten Kliniken und Ärzten in Deutschland. „Wir dürfen keine Ärzte vorschlagen, aber zum Beispiel Kliniken empfehlen.“

Bei sehbehinderten oder blinden Kindern werden die Wege zu passenden Schulen oder in die Berufsausbildung aufgezeigt. Außerdem können sich die Betroffenen mit allen technischen Hilfen im Alltag vertraut machen. „Ich kenne alle geeigneten Telefone, jede Menge sprechende Haushaltsgeräte, die nützliche Software für den Computer und habe alle Kataloge vorrätig, mit denen man die Sachen beziehen kann“, sagt Sildatke.

Nicht zuletzt können auch die Angehörigen von Blinden oder Sehbehinderten im „Blickpunkt Auge“ Rat suchen. Sildatke: „Wir möchten dabei helfen, dass sie mit der Krankheit des Partners oder des Verwandten besser umgehen können.“

Im Übrigen sei vielen Betroffenen allein dadurch geholfen, dass sie sich zum Klönen mit Leidensgenossen treffen. „Unser Verein ist eine große Familie. Und für mich ist es tröstend, zu wissen, dass ich nicht allein mit meinem Problem bin.“

Eine Beratung im „Blickpunkt Auge“ kann unter der Rufnummer 0800/9998765 von 9 bis 12 Uhr oder unter 040/5294349 Uhr angemeldet werden. Mehr Information zum Thema gibt es auch unter www.blickpunkt-auge.de.