Die Reihe „Psychiatrie im Film“ erzählt in drei Dokumentarfilmen von psychisch Erkrankten. Anschließend finden Podiumsdiskussionen statt

Norderstedt. Am Freitag, den 13. Mai 2011, betritt Andreas Tesch einen Supermarkt an der Segeberger Bahnhofstraße und kauft sich vier Liter Bier – seine tägliche Dosis Alkohol. Er hat erst zwei der acht Flaschen getrunken, als er später am Tag Claudia trifft – die Frau, die ihn später „die Liebe meines Lebens“ nennen wird. Damals begegnen sich zwei psychisch kranke Alkoholiker. Claudia nimmt zudem Drogen, hört Stimmen. Andreas hat mit Aggressionen, Depressionen und verschiedenen Persönlichkeitsstörungen zu kämpfen. Insgesamt 17 Jahre hat er in der Psychiatrie verbracht.

Es war dieser Freitag der 13., an dem es funkte. Die beiden beschlossen, ihr Leben ändern zu wollen. Seitdem sind sie unzertrennlich. Vom einen auf den anderen Tag hörten sie auf mit dem Alkohol, tranken keinen Tropfen mehr. Die sechs ungeöffneten Bierflaschen warf Andreas in den Müll.

Etwas weniger als ein Jahr später, am 3. Mai 2012, sitzt das Liebespaar im Cine Planet 5 in Bad Segeberg und sieht sich „Alfred & Co“ an: Ein Dokumentarfilm über den seit 35 Jahren in einer Psychiatrie lebenden Alfred und 14 weitere psychiatrieerfahrene Menschen. Ihnen hilft die Kunst mit ihren Erkrankungen zu leben. Einer der Protagonisten: Andreas Tesch. Als der Film zu Ende ist, steht er auf und fragt seine Claudia: „Willst du mich heiraten?“

Die Antwort lautete Ja. „Er hätte mich auch im Bus oder beim Kaffee fragen können, ich hätte immer Ja gesagt“, betont Claudia Tesch. Mittlerweile gibt es auch einen Dokumentarfilm über sie und ihren Andreas. „Trink nich’, halt mich, lieb mich!“ heißt er, denn der Grund warum sie es geschafft haben so ganz ohne Therapie – da sind die beiden sich ganz sicher – ist ihre Liebe. „Zeigt eure Liebe, haltet euch an den Händen und knuddelt“, appelliert Claudia Tesch deshalb an alle Verliebten und geht gleich mit gutem Beispiel voran.

Die Frau, die sowohl „Alfred & Co“ als auch „Trink nich’, halt mich, lieb mich!“ produziert hat, ist Andrea Rothenburg. Die Regisseurin und Autorin wurde in Berlin geboren, ihre Kindheit verbrachte sie aber in Bad Segeberg. Vater Ernstjürgen Rothenburg war lange Zeit Chefarzt des Psychiatrischen Krankenhauses in Rickling. „Dort bin ich schon als kleines Kind mit den Menschen in Kontakt gekommen. Für mich sind sie nicht bekloppt. Ich bin gern in der Psychiatrie und habe dort jede Menge lieber, netter Menschen kennengelernt“, sagt Rothenburg.

Einer dieser Menschen ist Petra Thomsen. Wer sie trifft, steht einer energischen, intelligenten und klar denkenden Frau gegenüber. Ihre Geschichte sieht man ihr nicht an. Dabei wurde die Hamburgerin kurz nach ihrer Geburt von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben. Durch die frühe Trennung wurde sie schwer traumatisiert. Später litt Petra Thomsen unter Angsstörungen, wurde depressiv, missbrauchte Alkohol und fing an, sich zu ritzen. Schließlich bekam sie die Diagnose Borderline. „Borderline ist ein Leben, das man nicht aushalten kann“, beschreibt sie die Krankheit „Es gibt nur schwarz oder weiß, die Grauzonen konnte ich nicht ertragen.“ Die seelischen Verletzungen, die sie sich selber zufügte, seien die schlimmsten gewesen. „Es gab Momente im Auto auf der Landstraße, da dachte ich: fahr doch gegen den Baum. Dann fiel mir meine Familie ein.“

Während eines Klinikaufenthalts fand Petra Thomsen zur Malerei. Die künstlerische Arbeit in Kombination mit einer Therapie halfen ihr. Heute fühlt sie sich gesund und arbeitet als Malerin und als Assistentin von Andre Rothenburg. Die Geschichte von Petra Thomsen erzählt Andrea Rothenburg in dem Film „Tiefdruckgebiete“.

Die drei Dokumentarfilme „Alfred & Co“, „Trink nich’, halt mich, lieb mich!“ und „Tiefdruckgebiete“ bilden zusammen die Filmreihe „Psychiatrie im Film“, die in den nächsten Wochen in Kinos in Norderstedt, Bad Segeberg, Barmstedt und weiteren Städten in Schleswig-Holstein zu sehen sein wird. „Trink nich’, halt mich, lieb mich!“ feiert am Mittwoch, den 16. Oktober, um 20 Uhr im Cine Planet 5 an der Oldesloer Straße 34 in Bad Segeberg Premiere.

Unterstützt wird die Dokumentarfilmreihe von Landrätin und Schirmherrin Jutta Hartwieg. Sie setzt sich für die Inklusion von psychisch Kranken ein und sieht darin eine Möglichkeit zur Begegnung und zum Austausch.

Nach den Filmen wird es an einigen Vorstellungstagen Podiumsdiskussionen mit den Protagonisten, Regisseurin Andre Rothenburg und weiteren Gästen wie beispielsweise Karin Ulrich geben. Die Frau eines trockenen Alkoholikers berichtet von ihren Erfahrungen als Angehörige und gibt Tipps im Umgang mit Alkoholikern. Andreas und Claudia Tesch werden auch kommen – wahrscheinlich wie immer Hand in Hand.

Eine Ausstellung mit den Werken der Künstler des Films „Alfred & Co“ gibt es vom 22. Oktober bis 29. November in Elmshorn in der „Auszeit am See“.