Im Schachclub Norderstedt wird über große Meister debattiert und an Taktiken getüftelt. Jeden Donnerstag üben die Mitglieder das königliche Spiel

Norderstedt. Springer auf D3. Dame auf E1. Nun droht vom Läufer Gefahr. Die Deckung um den König herum droht aufzubrechen. Was tun? Guter Rat ist teuer. Gezieltes Nachdenken aber nicht, und das hilft nun weiter, denn beim Schach geht es immer und immer wieder nur um eines: Pfiffiger als der Gegenspieler zu sein.

Wer sein Gegenüber überrascht, seine Züge vorausahnt und eine perfekte Falle stellt, wer eine ausgeklügelte Taktik entwickelt, der gewinnt am Ende. Michael Kopylow kann ein Lied davon singen. Der renommierte Schachspieler, immerhin Landesmeister, ist Mitglied im Schachclub Norderstedt und hat in diesem Jahr an der Deutschen Meisterschaft in Saarbrücken teilgenommen. Mit gemischten Gefühlen.

Kopylow sitzt im Clubraum im Rathaus Norderstedt. Regelmäßig treffen sich die Vereinsmitglieder hier, um über Partien zu diskutieren, Lösungen zu suchen – oder aber zum Schach spielen. Kopylow demonstriert mit PC und Beamer, wie er in seiner Partie gegen Hartmut Ziehmer ein Wechselbad der Gefühle erlebte. „Dann habe ich hier angegriffen. Ich habe nachgedacht. Wenn es geht, warum denn nicht, auch wenn mein Flügel vielleicht kaputtgeht“, sagt er und prompt bewegt sich sein Turm auf der Leinwand. Die anderen im Raum runzeln die Stirn, grübeln über den Zug nach.

Schach ist fast eine Variante historischer Armeeschlachten

„Das sah alles gut aus. Doch dann kam die kalte Dusche für mich. Ich fühlte mich so sicher und dann kommt plötzlich die schwarze Dame. Eine ganz böse Überraschung“, sagt er. Die anderen Schachspieler müssen lachen. Auch ein Meister kann vom Himmel fallen. Das beruhigt die Laien. Am Ende kam Kopylow glimpflich davon, sie endete im Dauerschach des Gegenspielers. Doch trotz aller Probleme, auf die er stieß, die Partie hat ihn vieles gelehrt.

„Das ist, was wir wollen, dass jeder, der hier mitmacht Spaß hat und etwas dazulernt“, sagt Rüdiger Schäfer. Der Norderstedter ist Vorsitzender des Vereins, der derzeit 61 Mitglieder in seinen Reihen hat, von ganz jung bis ganz alt. Schach verbindet die Generationen. Kein Wunder, denn das berühmte Brettspiel ist Jahrtausende alt und hat die Menschen immer aufgrund seiner Komplexität und Vielfalt gefesselt. „Beim Schach geht es nicht darum, dem Gegner möglichst viele seiner Spielfiguren abzunehmen. Das ist gar nicht entscheidend. Wichtiger ist, dass man eine der Situation angemessene Taktik entwickelt“, sagt Schäfer.

Die bessere Taktik gewinnt, so wie im Krieg. Kein Wunder, denn Schach ist in gewisser Weise eine Brettspielvariante historischer Armeeschlachten. Vorne die Bauern, im antiken Griechenland Hopliten genannt. Der Turm: Er stand für den Kriegselefant, die Springer für die Reiterei und so weiter. Es gibt, so Schäfer, kaum ein antikes Brettspiel, dass den Geist derart fordert und über Jahrtausende hinweg dabei immer noch hochaktuell war. „Schach ist ein Phänomen. Für manche ist die Faszination Schach schnell greifbar, für andere nie“, sagt der Vereinschef. Wenn einer keinen Draht zum Schach finde, den Sport als langweilig bezeichnet, ärgere ihn das nicht. Warum sollte es auch? Die Geschmäcker seien verschieden. „Wichtig ist, dass man etwas findet, was einem Spaß als Hobby bringt. Bei uns ist es eben das Schachspiel“, sagt er.

Inzwischen spielen mehrere Mannschaften auf Oberliga-Ebene

1975 wurde der Verein von einer Handvoll Schachspielern gegründet. Schäfer war kurz darauf, 1977, in den Club eingetreten. Während seiner Bundeswehrzeit hatte er aus Neugierde beim Schachclub reingeschaut. „Mir gefiel das auf Anhieb. Also bin ich in den Verein gegangen und habe bis heute die Zeit genossen“, erklärt Schäfer. Innerhalb von knapp fünf Jahren stieg die Zahl der Mitglieder auf 16 an, von da an ging es steil bergauf. Die Sportsparte wurde ausgebaut, inzwischen spielen mehrere Mannschaften im Verein auf Oberliga-Ebene. „Wir waren auch schon in der Bundesliga. Wir haben uns da teuer verkauft, dennoch mussten wir wieder absteigen. Wieder einmal in die Bundesliga zurückkehren, das wäre schon schön“, meint Schäfer und lächelt, seine Gedanken wandern zurück in die gar nicht ferne Zeit, als Norderstedt bundesweit eine Schachgröße war.

Auch wenn jetzt nicht mehr die Bundesliga auf dem Alltagsprogramm steht, erfolgreiche Spieler gibt es dennoch, wie etwas Kopylow, der seit 13 Jahren im Verein ist und als amtierender Landesmeister Schleswig-Holsteins bei den Deutschen Meisterschaften die Fahne des Norderstedter Vereins hochhält. „Der Michael, der ist wirklich gut, der ist seit Jahren ein Spitzenspieler, von dem wir alle lernen können“, sagt Schäfer.

Kopylow hat das Schachhandwerk in Osteuropa erlernt. „Dort hat Schach zu Zeiten des Kalten Krieges einen ganz anderen Stellenwert als im Westen gehabt. Es war in vielen Schulen auch Pflichtfach“, erzählt der Vereinsvorsitzende. Weshalb das so gewesen ist? Schäfer grinst. „Das Geld für viele andere Sportarten und Sportgeräte fehlte. Die paar Kröten für ein Schachbrett hatte man aber noch“, sagt er und lacht. Daher sei es auch nicht verwunderlich, dass im Osten immer wieder Talente entdeckt wurden, die als Schachgroßmeister die internationalen Bühnen dominierten. Legendär: Die Partien von Karpow und Kasparow.

„Bei Partien auf deren Niveau braucht man eine ungeheure Konzentration, Das macht einen richtig fertig“, sagt Schäfer. Doch nicht nur die mentale Anstrengung müssen die Schachspieler bewältigen. Auch kleine Psychospielchen gehören auf internationalem Niveau dazu. Und die sind manchmal schlimmer als die taktischen Fähigkeiten des Gegenspielers.

Einige Schachspieler verpesten die Gegend mit Knoblauch

„Da gibt es eine Menge von Dingen, die schon probiert wurden. Das Klickern mit dem Kugelschreiber ist noch das harmloseste“, urteilt Schäfer und plaudert aus dem Nähkästchen. Da gebe es Schachspieler, die gerne am Abend vor der Partie ordentlich viel Knoblauch essen, um die Gegend zu verpesten. Andere duschen einige Tage lang nicht und nutzen auch kein Deo. Die Geruchswolken sollen den Gegner von der Partie ablenken und einen Fehler machen lassen. Wenn das nicht nützt, werden die Figuren auch gerne direkt an den Rand der Feldmarkierungen gesetzt. Das soll den Gegner irritieren, indem er nachdenken muss, ob der Läufer nun auf B3 oder B4 steht. „Und dann gab es da auch mal einen, der hatte zur Partie einen Hypnotiseur mitgebracht. Der saß die ganze Zeit nur da und hat nichts gemacht, aber der Gegner dachte, dass der Hypnotiseur die ganze Zeit versuche, ihn in eine Trance zu versetzen. Das sind schon sehr absurde aber auch amüsante Momente“, sagt Schäfer.

Er und seine Vereinskameraden sagen, dass sie auf solche Spielchen verzichten. Aber Anekdoten über solche ungewöhnlichen Momente, die hören sie gerne, wenn sie gemeinsam an den Schachbrettern sitzen, eine Partie analysieren oder zusammen tanzen und etwas trinken. Tanzen und trinken? „Ja, ganz richtig. Wir Schachspieler sind ganz gesellig. Warum auch nicht? Wenn wir über dem Schachbrett konzentriert gebrütet haben, brauchen wir einen Ausgleich“, sagt der Vereinschef. Er erinnert daran: Der Spaß stehe an vorderster Stelle. Und manchmal ist gemeinsames Tanzen halt noch amüsanter, als den König matt zu setzen.

Am kommenden Montag stellen wir Ihnen den Verein Bildung durch Begeisterung aus Henstedt-Ulzburg vor. Alle Folgen der Serie finden Sie auch im Internet.

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