Norderstedts Stadtplaner Thomas Bosse geht in seine dritte Amtsperiode. Ein Gespräch über die Ziele seiner Arbeit

Norderstedt. Er will es noch - mal wissen. Thomas Bosse will die Stadt umbauen für die Zukunft. „Norderstedt hat die Chance, Vorreiter für eine umweltfreundliche Mobilität zu werden“, sagt der 57 Jahre alte Baudezernent, den die Stadtvertreter einstimmig für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt haben. Wir haben mit dem obersten Stadtplaner gesprochen.

Hamburger Abendblatt:

Ist es die Aussicht auf einen sicheren und ruhigen Posten vor der Rente, oder warum haben Sie Ihren Hut nach zwei Amtsperioden nochmals in den Ring geworfen?

Thomas Bosse:

Von Ruhe kann keine Rede sein. Im Gegenteil, ich möchte noch einiges in der Stadt bewegen. In der Stadtentwicklung ist noch unheimlich viel Musik drin, und da möchte ich gern mitspielen und mitgestalten.

Das Votum der Stadtvertreter fiel einstimmig aus, und Sie waren überrascht. Haben Sie mit so viel Zustimmung nicht gerechnet?

Bosse:

Nein – habe ich nicht. Ich weiß ja, und man sagt es mir immer mal wieder, dass ich scheinbar sperrig bin, auf manche Bürger arrogant wirke. Das ist aber auf keinen Fall meine Absicht. Ich kann da schlecht aus meiner Haut, kann aber für mich in Anspruch nehmen, dass ich Menschen komplexe Zusammenhänge so erklären kann, dass sie hinterher zwar nicht unbedingt meiner Meinung sind, aber die Gründe für meine Ansicht besser verstanden haben. Wichtig für mich ist, dass die Verwaltung nach transparenten Grundsätzen entscheidet und eine Gleichbehandlung der Bürger gewährleistet. Für mich ist eine kommunale Verwaltung so etwas wie die Benutzeroberfläche der Demokratie. Wenn wir auf der städtischen Ebene Vertrauen in staatliches Handeln verspielen, kann dieses Misstrauen auf die Politik insgesamt abfärben.

Sie wollen weiter mitspielen, mitgestalten – was heißt das konkret?

Bosse:

Wir haben die einmalige Chance, zum Vorreiter für umweltfreundliche Mobilität zu werden. Dafür dient das Solardorf Müllerstraße als Modell. Das Entscheidende sind nicht die Solarmodule auf den Dächern, sondern, dass jeder künftige Hausbesitzer ein Elektro-Auto mitkaufen muss. Dadurch gibt es einen geschlossenen Stromkreislauf. Die Energie, die die Sonne und das dorfeigene Blockheizkraftwerk erzeugen, speist die Autobatterien. Dieses Modell wollen wir nicht nur auf ein zweites Baugebiet am Flensburger Hagen, sondern auf den Geschosswohnungsbau übertragen, und zwar am Richtweg im Neubaugebiet Garstedter Dreieck, wo sich die Mieter einen Pool von Elektro-Autos teilen sollen.

Ist die Zeit schon dafür reif?

Bosse:

Bis die ersten Wohnungen am Richtweg stehen, wird es noch mindestens zwei Jahre dauern. Und schon jetzt zeigt sich bei jungen Leuten ein eindeutiger Trend weg vom eigenen Auto, hin zu multipler Mobilität. Sie kaufen sich lieber ein Smartphone und bewegen sich mit Bus und Bahn, Leihrädern und -autos. In der Hamburger City verzichten immer mehr Menschen auf ein Auto, schon weil sie in Eppendorf oder Eimsbüttel keine Parkplätze finden. Dort gibt es statistisch zwischen 0,35 und 0,5 Fahrzeuge pro Haushalt, bei uns sind es 1,9. Die geplanten Wohnungen am Richtweg liegen äußerst zentral, direkt an der U-Bahn-Station und in der Nähe zum Herold-Center, sodass ein Auto nicht unbedingt nötig ist.

Das Rad ist ein wichtiger Baustein umweltfreundlicher Mobilität, wurde in Norderstedt aber lange stiefmütterlich behandelt.

Bosse:

Zum einen haben wir in den letzten Jahren enorm aufgeholt und planen für die nächsten beiden Jahre eine Fahrrad-Offensive. 3,8 Millionen Euro werden wir investieren, um die Radwege zu erneuern und das Netz weiter auszubauen. Zudem gehe ich davon aus, dass 2014 endlich das Fahrrad-Parkhaus am ZOB Norderstedt-Mitte gebaut wird. Die Baugenehmigung liegt vor, wir suchen noch einen geeigneten Betreiber. Und wir wollen mit unserem Leihrad-System Next Bike in den Hamburger Norden bis Langenhorn-Markt expandieren. So können wir das Gewerbegebiet Essener Straße anschließen und weitere Stationen im Norderstedter Gewerbegebiet Nettelkrögen einrichten. Über dieses Projekt sprechen wir gerade mit den Hamburgern.

Beim Neubaugebiet Garstedter Dreieck wird immer wieder die Frage laut, warum dort so viele Wohnungen und so wenige Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser gebaut werden.

Bosse:

Unsere Maxime lautet: Geschosswohnungen dort, wo die Zentralität hoch ist. Fährt die Bahn in unmittelbarer Nähe, gibt es Einkaufsmöglichkeiten, Kitas und Schulen um die Ecke, sind das Baugebiete für viele Menschen. An den Stadträndern und dort, wo die Bewohner wie an der Müllerstraße, am Großen Born und am Flensburger Hagen ohnehin Autos haben werden, entstehen vornehmlich Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser.

Der Mangel an günstigen Wohnungen hat die Diskussion in Norderstedt in den letzten Monaten bestimmt. Wie will die Stadt Abhilfe schaffen?

Bosse:

Im Garstedter Dreieck baut das Wohnungsunternehmen Plambeck zunächst 60 Sozialwohnungen, weitere sind geplant, mindestens 80 werden auf der Wiese hinter den Stadtwerken entstehen. Dadurch, dass das Land die Förderrichtlinien verändert hat, wird es über den zweiten Förderweg auch für Berufstätige mit geringem Einkommen vergleichsweise günstige Mieten geben. So können wir auch den starken Zuzugsdruck abfedern, denn Norderstedt ist als Wohn- und Arbeitsort enorm gefragt, was sich in hohen Grundstückspreisen und Mieten widerspiegelt und uns ermöglicht, das Garstedter Dreieck schneller zu bebauen als geplant.

Gibt es in Norderstedt ausreichend Flächen, um den Andrang zu bewältigen?

Bosse:

Das zweite große Neubaugebiet nach dem Garstedter Dreieck ist der Bereich Mühlenweg/Harckesheyde, wo wir ebenfalls Geschosswohnungen sowie Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser für gut 1000 Menschen mischen wollen. Außerdem wird es kleinere Baugebiete geben, auch Nachverdichtung spielt eine Rolle. Wir haben das gesamte Stadtgebiet analysiert, um zu sehen, wo Hinterlandbebauung möglich ist. Dafür müssen sich allerdings die Anlieger einig sein, was nicht immer der Fall ist. Der eine möchte, dass seine Kinder auf dem hinteren Teil des Grundstücks bauen, der andere lieber ungestört seinen Garten genießen.

Also wächst die Stadt weiter?

Bosse:

Zunächst bedeuten neue Wohnungen nicht zwangsläufig mehr Menschen, denn jeder beansprucht immer mehr Wohnraum. Zu meiner Studentenzeit haben wir uns durchschnittlich mit 19Quadratmetern begnügt, heute müssen es in Norderstedt schon 42 Quadratmeter sein. In Hamburg sind es übrigens nur 36, im schleswig-holsteinischen Durchschnitt allerdings 43. Dennoch wird Norderstedt wachsen und in Zukunft wohl 78.000 oder 79.000 Einwohner haben, wobei einen Stadtentwickler nicht die Quantität, sondern die Qualität der Stadt interessiert.

Und wie ist es um die städtebauliche Qualität in Norderstedt bestellt?

Bosse:

Die Stadt verkauft sich unter Wert. Wer auf der Segeberger Chaussee, der Niendorfer oder der Ulzburger Straße unterwegs ist und nach rechts und links sieht, wird kaum zu dem Urteil kommen, dass es sich um eine Perle mitteleuropäischer Baukunst handelt. Da wollen wir dringend mehr Qualität schaffen, was aber nur häppchenweise funktionieren kann und einen langen Atem braucht, schließlich müssen wir Eigentümer und Anwohner mitnehmen. Ein erster Schritt wird der Umbau der Ulzburger Straße zwischen Langenharmer Weg und Harckesheyde hin zu einem attraktiven Einkaufsort mit hoher Aufenthaltsqualität sein, den wir im nächsten Jahr beginnen wollen.

Für die Autofahrer heißt Qualität Verkehrsfluss und schnelle Verbindungen, zum Beispiel zur Autobahn. Wird es den Autobahnanschluss Garstedt/Norderstedt-Mitte irgendwann geben?

Bosse:

Das glaube ich nicht. Das Projekt ist vom Tisch, inzwischen auch aus dem Flächennutzungsplan heraus beschlossen. Das letzte große Straßenbauprojekt wird die Verlängerung der Oadby-and-Wigston-Straße nach Osten und Norden sein, das ja schon läuft. Damit schließt sich der Straßenring um die Stadt. Das entlastet die Ulzburger Straße. Das entspricht unserem Ziel, den Autoverkehr in Bereiche zu verlagern, wo er weniger Menschen belastet. Allerdings ist der beste Autoverkehr der, der gar nicht erst entsteht. Deswegen fördern wir den öffentlichen Nahverkehr und den Fuß- und Radverkehr.

Arbeiten, Wohnen, Freizeit im Gleichklang entwickeln, lautet Ihr Motto für die Stadtentwicklung. Was ist mit dem Thema Arbeiten und Gewerbeflächen?

Bosse:

Es gibt noch Reserveflächen in den beiden neuen Gewerbegebieten Nordport und Frederikspark, wobei die Flächenangebote für eine unterschiedliche Nachfrage geeignet sind. Der Nordport zielt auf eine überregionale Nachfrage, der Frederikspark auf die wichtige regionale und kommunale. Allerdings gilt hier wie beim Wohnungsbau: Die Nachfrage ist enorm, die Flächen sind schneller belegt als geplant. Der Nordport war auf 20 Jahre angelegt, aber er wird schneller voll sein. Im Flächennutzungsplan haben wir noch Flächen nördlich des Nordports und der Ohechaussee und in Glashütte als Reserve ausgewiesen. Doch diese Bereiche zu aktivieren wird durch sensible Ökologie und steigende Bodenpreise zeitaufwendig und kostenintensiv.

Was ist die Alternative?

Bosse:

Wir müssen die bestehenden Gewerbegebiete revitalisieren und sind auch dabei. 65 Prozent unserer Gewerbeimmobilien sind 35 Jahre und älter und entsprechen meist nicht mehr den modernen Anforderungen, weil der Boden nicht eben ist, es zieht, oder die Halle nicht genügend Höhe für ein Hochregallager bietet.Solche Alt-Immobilien lassen sich schlecht vermarkten. Ein Beispiel: Eigentümer wollten für eine leer stehende Halle samt Verwaltungsgebäude neun Millionen Euro haben, illusorisch, wie eine anerkannte Maklerfirma feststellte. Drei Millionen höchstens seien Gebäude und Grundstück wert. Und da kamen wir ins Spiel, haben eine Umnutzung vorgeschlagen, den Bau von Wohnungen, der wohl 4,5 Millionen bringen würde. Doch das Projekt scheiterte am Widerstand einer Eigentümerin, die meinte, sie werde über den Tisch gezogen. Leerstand gibt es, er ist aber nicht beängstigend, die Entwicklungsgesellschaft spricht von einer guten Fluktuationsreserve.