Anfang der Woche, nachts um 1 Uhr in Wahlstedt. Polizeieinsatz an einer Tankstelle.

Ein Autofahrer hat hier den Fahrradständer gerammt und ist daraufhin in seinem Wagen geflüchtet. Nur einige Straßen entfernt vom Schauplatz der Freveltat entdecken die Polizisten das beschädigte Fahrzeug. Ein Mann steigt aus, stark schwankend. Der Alkoholtest ermittelt 2,79 Promille. Interessanter noch ist das polizeilich protokollierte Ergebnis der Nachfrage, warum er die kurze Strecke nicht einfach zu Fuß gegangen sei: Zum Gehen, gibt der Ertappte freimütig zu, sei er viel zu betrunken gewesen.

Ehrlichkeit kann einen bestechenden Charme entwickeln

Das entschuldigt natürlich nicht das Vergehen an sich. Aber diese ungeschminkte (in diesem Falle sicherlich alkoholbefeuerte) Ehrlichkeit entwickelt bestechenden Charme. Es gäbe doch so viele Fragen, deren wahrheitsgemäße, schlichte Beantwortung uns den Glauben an die Welt wiederschenken könnte.

In Hunderten von Talkshows, Rededuellen, Round-Table-Debatten werden Milliarden Fragen abgefeuert, auf die keiner antwortet und Milliarden Antworten gegeben, nach denen keiner gefragt hat. Dabei würde man doch gerne mal einen Politiker die Frage, warum er Politiker geworden sei, ganz offen mit „Weil ich nichts anderes gelernt habe“ beantworten hören. Wir würden diesen Politiker sofort wählen. Schon, weil er sonst vielleicht beschäftigungslos in der Fußgängerzone herumhängen würde – und da herrscht auch so genug Elend.

Fair-Play-Preis für den achtjährigen Ben Pingel aus Norderstedt

Die Wahrheit zu sagen, das fällt leider meistens schwer. So schwer, dass mancher erst satte 2,79 Promille intus haben muss, um nicht mehr die Kraft für faule Ausreden aufbringen zu können. Dabei ist es kinderleicht, wie das Beispiel des achtjährigen Norderstedter Nachwuchskickers Ben Pingel beweist. Der Junge wurde jetzt vom DFB im Rahmen einer Feier mit Prominenten wie dem Ex-Bayern-Trainer Jupp Heynckes mit einem Fair-Play-Preis ausgezeichnet.

Ben Pingels Tat: Beim Jugendfußballspiel bat er den Schiedsrichter, ein von ihm mit der Hand erzieltes Tor zu annullieren, das bereits anerkannt worden war. Ben hat nur mal gesagt, wie es ist. Von einem Bundesligaprofi hätte man nach vergleichbarer Situation vermutlich hinterher im Interview gehört: „Äh, ja, es war eine enge Sache, wir gehen alle zum Ball, der prallt, äh, ja, an meine Schulter – eher so im Kopfbereich, sag‘ ich mal…“

Solchen Menschen wünschte man partiell und nur für die Dauer des Interviews 2,79 Promille. Eher so im Kopfbereich.