Besuch auf der Großbaustelle der Tesa-Zentrale an der Niendorfer Straße

Fangen wir doch mal mit den blanken Daten an. Dann wird die Dimension dieses Bauprojektes greifbar. 86.019 Quadratmeter groß ist das Grundstück an der Niendorfer Straße. 58.530 Kubikmeter Erde mussten ausgehoben werden, um die riesige Baugrube dafür zu schaffen. 47.845 Tonnen an Stahl und Beton wurden in den letzten sechs Monaten auf die Baustelle geschafft und von einem Heer aus etwa 170 Arbeitern auf einer Fläche von 14.000 Quadratmetern zu drei separaten Baukörpern aufgetürmt. Wenn das „Headquarter“ (Verwaltung) mit sieben Stockwerken, das Forschungszentrum mit sechs und das Technologiezentrum mit fünf Stockwerken voraussichtlich bis Weihnachten im Rohbau fertig sind, dann haben die Bauarbeiter exakt 280.950 Kubikmeter Raum umbaut und eine Brutto-Geschossfläche von 64.350 Quadratmetern geschaffen. Dann kann der Innenausbau beginnen, bei dem die Kleinigkeit von 1.046.545 Metern Kabel verlegt werden müssen und 100.339 Meter an Rohrleitungen eingebaut werden.

Der riesige Organismus Großbaustelle ist total berechenbar

Die neue Firmenzentrale der Tesa SE in Norderstedt ist eine der derzeit größten Baustellen im Norden. Und nur augenscheinlich ein anarchistischer Ameisenhaufen. Tatsächlich ist hier fast jede Bewegung minutiös geplant. „Das ist alles Mathematik“, sagt Jens Koth, Prokurist der „One Tesa“, jener Bau GmbH, die das Klebstoff-Unternehmen extra für den größten Bau der Firmengeschichte gegründet hat. Koth sitzt mit einer Tasse Kaffee im Besprechungsraum der provisorischen Büro-Container, aus denen heraus die Bauleitung den Organismus Großbaustelle am Leben hält. Draußen fahren Bagger, Betonmischer, Schaufellader vorbei, ein Kran hievt dicke Pakete Dämmmaterial am Haken durch die Luft, Bauarbeiter werkeln im Materiallager, und Mini-Bagger wühlen im Erdreich. Wenn Jens Koth von Mathematik spricht, dann meint er nicht die laufende Kostenkalkulation oder die Errechnung der Menge an Baustahl, die für die Bewehrung nötig ist. Es sei der Organismus Großbaustelle selbst, der sich im Vorwege eines solches Mega-Projektes exakt berechnen lasse. „Das darf nicht erst geschehen, wenn der Beton fließt“, sagt Koth.

Am Anfang stand die Choreografie der bis zu sieben Kräne, die mit ihren gelben Armen bis in die letzten Winkel der Baustelle greifen können müssen, um die Bauarbeiter in jeder Minute ihrer kostbaren Arbeitszeit mit „Fleisch“ zu versorgen, wie Koth sagt. „Ein Kran, 18 Arbeiter. Der eine schreit nach Bewehrung, der andere nach Beton, der Dritte nach Schaltafeln.“ War die Kranplanung gut, kriegt jeder, was er will, und es gibt es keinen Leerlauf. Spielt das Wetter mit, bleiben Stillstandkosten aus. „320 Euro je Handwerker und Tag mal 170. Da kommt schnell einiges zusammen.“ In Norderstedt stimmen Kranplanung und Wetter. „Keine Stillstandkosten, alles gut“, sagt Koth.

Weil es läuft, wie geschmiert, kann Koth den Taschenrechner zücken und genau berechnen, wie lange die Jungs da draußen vor dem Fenster der Planungscontainer brauchen werden, um die einzelnen Stockwerke hochzuziehen. Und zwar bis auf die Stunde genau. Je höher das Stockwerk, desto länger die Bauzeit. Klar – der Kran braucht ja länger, um das Baumaterial in die Höhe zu ziehen.

Handwerker werden gegrüßt und nicht angeherrscht

Bis Weihnachten werden 20 Millionen Euro verbaut sein. In neun Monaten. Koth ist mittelschwer begeistert von der Leistungsfähigkeit der „One Tesa“. Genau an diesem „One“ läge das, sagt der Prokurist. Ein Tesa – das soll Einheit symbolisieren. Die Subunternehmen, die die Arbeit erledigen, würden eingebunden in die Planung und zum Mitdenken angeregt. Nicht die stupide Auftragserfüllung auf Anweisung sei gefragt, sondern Teamwork. „Wie auf einem Schiff“, sagt Kapitän Jens Koth. Gute Seemannschaft entsteht auch durch respektvolles Miteinander. „Handwerker werden auf vielen Baustellen in der Branche noch nicht mal gegrüßt. Bei uns ist das anders.“ Da wird auch mal gemeinsam gegrillt. „Eine bessere Investition als in 170 Würstchen für eine Baustelle kann man sich gar nicht vorstellen“, sagt Koth.

Dieses Miteinander scheint bei Tesa Credo zu sein. Auch was den Standort Norderstedt angeht. Die Beiersdorf-Tochter bemüht sich nicht nur um gute Nachbarschaft. Sie lebt sie schon. „Im Sommer schaute ich rüber zum Angelteich, gegenüber, in dem Wäldchen an der Niendorfer. Und ich fragte mich, wieso da die Uferlinie immer mehr absinkt“, sagt Koth. Wenn man ein tiefes Loch gräbt, läuft das Grundwasser in der Umgebung da rein. Dass der Teich von der Baustelle in Mitleidenschaft gezogen wurde, schien wahrscheinlich, wurde aber nicht erwiesen. „Wir haben trotzdem die Stadtwerke angerufen, einen Schlauch an den Hydranten angeschlossen und für 8000 Euro Wasser in den Teich gepumpt. Die Angler waren happy“, sagt Koth.

Genauso happy sind die 44 Vogelarten, darunter der Wachtelkönig, die gemeinsam mit Frösche, Kröten, anderen Amphibien und jeder Menge schützenswerter Flora direkt neben der Baustelle in einem 20.000 Quadratmeter großen Feuchtbiotop an der Tarpenbek leben. Tesa hat die Biologin Friederike Eggers und ihr Team damit betraut, das in die Baugrube sickernde Grundwasser mit sechs Regenkanonen über dem Biotop zu verteilen. Hunderttausende Liter Wasser werden Tag für Tag seit Beginn der Bauarbeiten in einem ausgeklügelten Rhythmus versprüht, dazu wurden Ausgleichsflächen für die Brut geschützter Vogelarten und Amphibienfangzäune eingerichtet. Tesa gibt den ökologischen Musterschüler – und das durchaus glaubwürdig.

Eine Galerie mit Bildern von der Baustelle finden Sie unter abendblatt.de/Norderstedt