Staatsanwalt hat Anklage gegen Mario E. erhoben. Der 26-Jährige soll gezielt einer Heimbewohnerin aufgelauert haben, um sie zu missbrauchen

Kreis Segeberg. Die Ermittler der Kripo sind sicher, dass der Täter gezielt nach einem behinderten Opfer suchte. Mit dem Auto war der Mann in Hardebek unterwegs. Hier kennt er sich aus. Aufgewachsen ist er Nachbardorf und weiß, dass in der 480-Einwohner-Gemeinde viele Menschen in einem sozial-therapeutischen Heim leben. Der Mann am Steuer muss nicht lange suchen. Auf einem Feldweg entdeckt er eine Frau. Die Spaziergängerin kommt aus dem Heim. Die 29-Jährige ist fast blind und völlig hilflos, als der Täter sie in einen Knick zerrt. Dort hatte er seinem Opfer aufgelauert, dort vergewaltigte er die Frau.

Vor wenigen Tagen hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Vor dem Landgericht in Kiel wird sich Mario E. verantworten müssen. Der mehrfach vorbestrafte 26-Jährige war kurz nach dem Überfall in Hardebek festgenommen worden und wartet in Untersuchungshaft auf seinen Prozess. „Nach Erkenntnissen der Kriminalpolizei suchte der Täter gezielt nach einem behinderten Opfer“, sagte eine Polizeisprecherin kurz nach der Festname am 8. Juli.

Die Beweislage ist offenbar klar: DNA vom Tatort hatte die Ermittler der Segeberger Kriminalpolizei auf die Spur von Mario E. geführt. Ob weitere Sexualdelikte auf das Konto des bulligen Mannes gehen, der weder lesen noch schreiben kann, ist unklar. Der Verdacht: Die Opfer könnten ebenfalls behindert sein. Die Kripo ermittelt.

Die Menschen in der Gemeinde Hardebek sind entsetzt

Der Überfall hat die Menschen in Hardebek entsetzt. Die Menschen in der kleinen Gemeinde haben sich sicher gefühlt, weil sie ihre Nachbarn kennen und nicht mit einem Verbrechen rechnen, sagt Bürgermeisterin Monika Jung. Nach der Tat sieht sie kaum noch Frauen, die allein zum Joggen oder Spazieren gehen. „Wir haben es hier immer ruhig gehabt“, sagt Monika Jung. „Die Hardebeker sind sehr betroffen.“ Dass eine Frau aus dem Heim zum Opfer wurde, bezeichnet die Bürgermeisterin als dramatisch. In der sozialtherapeutischen Einrichtung will man öffentlich nicht über den Fall sprechen. „Wir haben eine besondere Verantwortung und müssen das Opfer schützen“, sagte ein leitender Mitarbeiter,

Die Liste der Straftaten, die auf das Konto von Mario E. gehen, ist lang: Einbrüche, Diebstähle, Sachbeschädigungen, Körperverletzungen. Nach einem Einbruch musste er eine DNA-Probe abgeben. Die Daten liegen in einem zentralen Register beim Bundeskriminalamt und führten die Ermittler nach der Vergewaltigung auf die Spur von Mario E. Angeklagt war er auch wegen eines Sexualdelikts, doch zu einer Verurteilung kam es nicht.

Der Täter hatte bei der Vergewaltigung eines Kondom benutzt und nach der Tat ins Gras geworfen. Zwar konnte die Frau der Polizei kaum Hinweise zu dem Mann geben, der sie vergewaltigt hatte, aber sie konnte die Ermittler zum Tatort führen. Dort suchten mehrere Beamte nach Spuren und fanden das Kondom mit der DNA von Täter und Opfer. Der Abgleich der Daten beim BKA ergab: Das genetische Material war identisch mit der DNA-Probe, die E. nach dem Einbruch abgegeben hatte. „Wir wussten, wo wir den Täter suchen mussten“, sagt Oberstaatsanwalt Axel Biehler. Das Amtsgericht Neumünster erließ Haftbefehl gegen Mario E., Polizisten nahmen ihn fest.

Auch im Nachbardorf Hasenkrug, einen Kilometer von Hardebek entfernt, sprach sich die Nachricht von der Festnahme schnell herum. Hier ist Mario E. mit seinen neun Geschwistern aufgewachsen. Eine Kindheit in einem Milieu der Verwahrlosung und Gewalt, das aus dem Jungen einen Kriminellen machte, wie manche Nachbarn glauben. Dass die Behörden kaum für Ordnung in der zwölfköpfigen Familie sorgten, wundert manche Bürgerinnen und Bürger in Hasenkrug bis heute.

Die meisten der zehn Kinder schliefen in einem Stall in Schweinekoben

Familie E. lebte an der Dorfstraße in einem Bauernhof. Die meisten der zehn Kinder schliefen in einem Stall in Schweinekoben. Die Betten standen – von Fliegen umschwirrt – im Gestank. Auf der anderen Seite der Wand züchtete der Vater Ferkel. „So roch der Junge auch“, sagt ein Nachbar. Nachdem ein Feuer Mitte der 90er-Jahre Kinderzimmer im Obergeschoss des Hofes zerstört hatte, wurden die Räume nur provisorisch wieder hergerichtet. Die Jungen und Mädchen lebten zwischen schwarzen Wänden. Die Tapeten, die das Löschwasser gelöst hatte, hingen herunter. Den Kühlschrank hatten die Eltern mit einem Vorhängeschloss gesichert.

Fast alle Kinder der Familie verließen die Grundschule nach ein bis zwei Jahren und besuchten die Sonderschule. Mario E. musste als Jugendlicher von der Schule gehen, nachdem er einen Lehrer niedergeschlagen hatte. Nur eines der Kinder schaffte einen Schulabschluss.

Am 4. Juli nahmen die Segeberger Kripobeamten Mario E. fest

Als Kind übernahm Mario E. in der Nachbarschaft kleine Jobs wie Rasenmähen und fiel erstmals als Dieb auf. Kameras, Zigaretten, Werkzeug und Schnaps verschwanden auf zunächst unerklärliche Weise. Nachdem der Junge mit dem Portemonnaie der Hausbesitzerin erwischt worden und vom Grundstück gejagt worden war, brannten kurz danach mehrere Müllsäcke am Haus. Der junge Mario zog in den Nachbarort Brokstedt und lebte im Haus über einer Kneipe, in der er regelmäßig sein Bier trank. Nach einem durchzechten Abend soll er sich mit den Worten „Ich gehe mal Geld holen“ verabschiedet haben, um dann in die Wohnung des Wirts einzubrechen und das Portemonnaie auszuräumen. Auch bei seinen Kameraden von der freiwilligen Feuerwehr in Hasenkrug stieg er ein. E. hatte es auf Bier und Schnaps abgesehen. Sein Geld verdiente er – wie die meisten seiner Geschwister – mit Aushilfsjobs. Mario war als Hilfsarbeiter auf Bauernhöfen beschäftigt. Am 4. Juli nahmen die Segeberger Kriminalbeamten ihn wegen der Vergewaltigung in Hardebek bei einem Bauern in Borstel fest.

„Kinder, um die sich nie jemand gekümmert hat, scheren sich als Erwachsene nicht um ihre Mitmenschen“, sagt ein ehemaliger Nachbar der Familie. Der Prozess gegen Mario E. vor dem Landgericht in Kiel soll Ende des Jahres beginnen.