Der pädophile Stefan B. aus Kaltenkirchen geht für den Besitz und das Verbreiten von perversen Dateien für drei Jahre und sechs Monate in Haft.

Norderstedt. Die Ermittler der Polizei standen mit einem Durchsuchungsbeschluss am 14. Dezember 2011 im Zimmer von Stefan B., 30, in einer Wohngemeinschaft in Kaltenkirchen. Der Raum war überhitzt, die Luft stickig. Zu sehen waren ein Bett, ein Tisch, Stühle, ein PC und elf externe Festplatten, heiß gelaufen vom Dauerbetrieb. Stefan B. war sofort kooperativ, gab die Passwörter für die Verzeichnisse heraus. Die IT-Experten fanden darin später 1,1 Millionen Fotos und Videos, 2,5 Terabyte an Daten. Von Babys und Kleinkindern, die vergewaltigt werden, in eindeutigen Posen, gefesselt oder beim erzwungenen Akt mit Erwachsenen. Ein Abgrund der Perversion. Und der bis dato größte Datenfund überhaupt in Schleswig-Holstein, laut einem Gutachter sogar in Deutschland.

Am Donnerstag sitzt Stefan B. vor Richter Jan Willem Buchert und seinen beiden Schöffen im Amtsgericht Norderstedt. Der 30-Jährige ist ein großer, schlaksiger Mann, in sich gekehrt, Kettenraucher. Er wirkt unscheinbar. Ganz im Gegensatz zu seiner Lebensgeschichte. Sie ist durchsetzt von sexueller Gewalt. Stefan B. stammt aus Vechta, will dort vom Vater als Kind mehrfach vergewaltigt worden sein. Die Eltern bestreiten das bis heute. Mit seiner zwölfjährigen Schwester pflegte Stefan B. ein inzestuöses Verhältnis. Das brachte ihn 2008 ins Gefängnis. Wieder in Freiheit, umgezogen nach Kaltenkirchen und noch während seine Bewährung lief, begann er sein "Hobby", wie er aussagt, das Horten von harten Kinder-Pornos zur Selbstbefriedigung.

Kanadische Ermittler brachten das Bundeskriminalamt auf die Spur

In der digitalen Welt der internationalen Pädophilen, die sich über Internet-Tauschbörsen wie eMule, Gigatribe oder das Verbindungsdaten verschleiernde Netzwerk Tor austauschen, war Stefan B. so präsent, dass schließlich die kanadischen Ermittlungsbehörden in Toronto auf ihn aufmerksam wurden. Sie lieferten den Tipp über einen sehr aktiven deutschen User an das Bundeskriminalamt. Die Ermittlungen im Kreis Segeberg übernahmen Kriminaloberkommissar Lothar Bienert und seine Leute von der Kripo in Bad Segeberg. "Es war ein in jeder Hinsicht extraordinäres Verfahren, sowohl was die Datenmenge als auch das Verhalten des Angeklagten anging", sagt Bienert im Prozess aus. Er könne sich noch gut an seinen ersten Satz gegenüber Stefan B. erinnern: "Willst du nicht aufhören mit dem Scheiß?" Ja, habe der Festgenommene gesagt. Und umfassend bei der Aufklärung mitgewirkt. "Er schien erleichtert zu sein."

Mit Hilfe seiner Angaben konnten weltweit 75 Folgeverfahren gegen Pädophile eröffnet werden, 35 davon in den USA. Ein Großverfahren bereitet Bienert derzeit noch in Schleswig-Holstein vor. "Stefan B. hat uns in die Szenebegriffe eingeführt und uns Einblicke gegeben, wie die Pädophilen sich austauschen", sagt der Kriminaloberkommissar. Stefan B. habe sich im Netz interessant gemacht. Indem er die Unterwäsche seiner Schwester an Gleichgesinnte verschickte oder Fotos von Kleinkindern einer Bekannten ins Netz stellte und die Kinder für Sex oder Fotosessions anbot - zum Schein. "Je mehr man anbietet, desto bessere Videos und Fotos bekommt man von den Gleichgesinnten im Netz", sagt Bienert.

Der Angeklagte beteuert in der Verhandlung, er wisse, "dass er Scheiße gebaut habe". Er sei in therapeutischer Behandlung im Kieler Packhaus, dem einzigen Hilfsangebot für Pädophile in Schleswig-Holstein. "Meine Vergangenheit wird endlich aufgearbeitet, ich lerne zu verstehen, warum ich diese Fantasien habe", sagt Stefan B. Er habe eine Ausbildung zum Zugführer begonnen und hoffe, auf Sicht endlich normal leben zu können.

Ein Münchner IT-Forensiker schaute sich die über 45.000 Dateien an

Doch Richter Buchert und seine Schöffen mussten trotzdem das richtige Strafmaß finden für den manischen Kinderpornosammler, also den Besitz, das Öffentlichmachen und die Verbreitung der Fotos und Videos ahnden. Einer der renommiertesten Sachverständigen in der IT-Forensik in Deutschland, der Diplom-Informatiker Thomas Salzberger von der Firma Fast Detect in München, half ihnen dabei. Aus dem Wust der 2,5 Terabyte an widerlichem Datenmaterial entnahm Salzberger eine Stichprobe von über 45.000 Dateien und begann seine Analyse, die am Ende 19.000 Euro kostete. "In meiner zehnjährigen Berufserfahrung war das die größte Datenmenge, die ich in Deutschland je auf dem Tisch hatte", sagt Salzberger. Der Experte schaute sich jede Datei an. "Ich kann 5000 Dateien in der Minute auswerten, es reicht ein kurzer Blick, um harte Kinderpornografie zu erkennen." Unterschieden wird zwischen Darstellungen sexueller Praktiken und dem "Posing", der bloßen Darstellung nackter Kinder und ihrer Genitalien. "Stefan B. hat sehr strukturiert gesammelt, und er hatte außergewöhnlich viel hartes Material auf seinen Festplatten." Die Darstellungen fanden sich in digitalen Ordnern nach Alter getrennt: Babys, Kleinstkinder, ein, zwei, drei vier Jahre und so weiter.

Am Ende standen 41 Fälle, in denen Salzberger Stefan B. die Verbreitung von Kinderpornografie über seinen Rechner nachweisen konnte, dazu die Verbreitung von 69 Bildern über E-Mail. Für das Strafmaß ist es unerheblich, dass Salzberger Hunderte oder Tausende weitere Fälle hätte nachweisen können. Doch das hätte die Kosten auf über 100.000 Euro getrieben und wäre für die Prozessökonomie unverhältnismäßig gewesen.

Staatsanwältin Melanie Schmautz nennt die 41 Fälle die "Spitze des Eisbergs" und erinnerte daran, dass hinter jedem Foto, jedem Video ein Vergewaltigungsopfer und ein persönliches Schicksal stehe, dass durch Menschen wie Stefan B. die kriminellen Strukturen in der Pädophilen-Szene gefördert würden. "Ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie sich ändern wollen. Schon bei ihrer Verurteilung 2008 haben Sie das gleiche beteuert und dann in der laufenden Bewährung mit dem Sammeln von Kinderpornos begonnen." Schmautz plädiert auf sechs Monate Freiheitsstrafe für jeden dokumentierten Fall, also eine Haftstrafe von über 20 Jahren, die nach dem deutschen Gesamtstrafensystem und unter Berücksichtigung der Geständigkeit des Angeklagten auf drei Jahre und sechs Monate Gefängnis zusammenzuführen seien.

Verteidiger Florian Schiefer plädiert auf eine erneute Bewährungsstrafe auf zwei Jahre für seinen Mandanten, dazu die Auflage, seine Therapie und seine Ausbildung abzuschließen. "Was hat die Allgemeinheit davon, ihn jetzt wegzusperren? Das kostet nur Geld, und er verliert alles." Durch die eigene Vergewaltigungs-Geschichte sei Stefan B. die "Tabuisierung verschüttgegangen". Nun mühe er sich um Aufarbeitung und darum, seine Neigung in den Griff zu bekommen.

Verfahrenskosten von über 20.000 Euro kommen auf den Angeklagten zu

Richter Jan Willem Buchert und seine Schöffen brüten lange über ihrer Entscheidung. Doch letztlich schließen sie sich der Forderung der Staatsanwältin an und schicken Stefan B. ins Gefängnis. "Ihre schwierige Kindheit lässt sich hier und heute nicht aufklären. Doch weder die Haftstrafe für Ihre Sexualstraftat und die therapeutische Behandlung, noch die Zuteilung eines Bewährungshelfers konnten Sie davon abhalten, erneut diese Straftaten zu begehen." An den immensen Kosten des Verfahrens von über 20.000 Euro wird der Angeklagte ebenfalls lange zu knabbern haben.