In Harksheide wurde im Dezember 1963 die heutige Norderstedter Ortsgruppe der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft vom legendären Schwimmmeister Günter Riewesell gegründet

Die Einwohner von Norderstedt sind verwöhnt. Zumindest, wenn sie gerne schwimmen gehen: Arriba, naturbelassene Baggerseen, Stadtpark - so ein Angebot gibt es nicht überall. Doch wo sich in diesem Sommer an jedem heißen Wochenende Tausende Menschen tummeln, war vor einem halben Jahrhundert sozusagen Ebbe. Die mittlerweile renaturierten Kiesgruben wurden mehrheitlich industriell genutzt, ein "Erlebnisbad" war ein ferner Traum.

Als Dietmar Stein und Klaus Stölting allerdings 18 beziehungsweise 17 Jahre alt waren - im Jahr 1963 -, eröffnete eine zuvor weitgehend unbekannte Freizeiteinrichtung. Pünktlich zur Sommersaison bekam Harksheide ein eigenes, anfangs übrigens unbeheiztes Freibad mit Rutsche, Liegewiese, Sprungturm und 50-Meter-Bahn. Stein und Stölting gehörten vor 50 Jahren zu den Ersten im Wasser. Und sie waren sofort an Bord, als der damalige Schwimmmeister Günter Riewesell eine Ortsgruppe der DLRG (Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft) initiierte. "Ich bin erst durch die DLRG zum Schwimmen gekommen", sagt Dietmar Stein. "Wir sind mit mehreren Klassenkameraden eingetreten, weil wir es gut fanden, endlich ein Freibad zu haben."

Für den Notfall fehlten ausreichend qualifizierte Rettungsschwimmer

Die neue Attraktion brachte nämlich Herausforderungen mit sich. Weil die Besucherzahlen kontinuierlich stiegen und viele Menschen aus dem Umland vorbeikamen, wurde es immer schwieriger, den Überblick zu behalten über die Masse aus schwimmenden, tobenden, springenden und rutschenden Männern, Frauen und Kindern. Für den Notfall fehlten zudem ausreichend qualifizierte Rettungsschwimmer, woraufhin auf Initiative von Günter Riewesell am 14. Dezember 1963 die DLRG-Ortsgruppe Harksheide gegründet wurde. Der Gedanke: Jugendliche und junge Erwachsene sollten animiert werden, sich aktiv um die Sicherheit in ihrem geliebten neuen Freibad zu kümmern.

Riewesell genoss Respekt, und sein Aufruf fand großen Anklang. So auch bei Dietmar Stein und Klaus Stölting: "Günter Riewesell hat alles gemacht. Er war Schwimmmeister, hat Unterricht gegeben und die Prüfungen abgenommen. Es herrschte eine Art Goldgräberstimmung. Der Verein wuchs, die Mitgliederzahlen explodierten förmlich. Das Freibad war Mittelpunkt aller Aktivitäten, ich war praktisch jeden Tag dort", erinnert sich Stölting. "Wenn damals junge Leute zusammenkamen, war es meistens in Sportvereinen. Die Vielzahl an Zerstreuungsmöglichkeiten wie heute gab es noch nicht. Wir haben damals alle möglichen Menschen angesprochen - teils sind sie bis heute geblieben, teils schnell wieder gegangen."

Wer die Rettungswache übernimmt, genießt Ansehen im Freibad

Wer blieb, erlebte Günter Riewesell als leidenschaftlichen, aber auch strengen Lehrmeister. Stölting weiß dies aus eigener Erfahrung. Als er für eine Prüfung 30 Minuten lang in einem Anzug aus Baumwollstoff schwimmen sollte, hatte das Wasser eine Temperatur von gerade einmal 13 Grad. "Nach zehn Minuten fing ich an zu klappern. Riewesell sagte mir: Du bleibst drin", sagt Stölting. Immerhin: Als er die halbe Stunde überstanden hatte, überreichte ihm der Schwimmmeister zwei Duschmünzen. "Aber nach drei Minuten unter heißem Wasser habe ich immer noch gezittert. Ich habe nie wieder in meinem Leben derartig gefroren."

Nach der Rettungsschwimmausbildung durften die Novizen unter anderem den Wasserrettungsdienst im Freibad übernehmen. Jahrzehnte später machte die US-TV-Serie "Baywatch" in etwas überzeichneter Manier die makellos gebauten Männer und Frauen in roten Shorts und Badeanzügen zu Ikonen. Doch wer Rettungswache war, zog tatsächlich so manchen anerkennenden Blick auf sich. "Immer wenn wir unsere Mützen aufgesetzt haben, waren wir Respektspersonen", sagt Dietmar Stein. "Wir haben das für eine kleine Aufwandsentschädigung gemacht, und davon haben wir uns dann Softeis gekauft."

Im Vergleich zur Kaiserzeit ertrinken heute 90 Prozent weniger Menschen

Bei aller Lockerheit: Die Kernaufgabe der DLRG ist stets gewesen, Menschen vor dem Ertrinken zu retten beziehungsweise Retter für diese Aufgabe auszubilden. Heute klingt das selbstverständlich. 1912 allerdings, als ein Teil der Seebrücke in Binz auf Rügen zusammenbrach, konnte kaum einer der Verunglückten schwimmen, sodass 17 Personen ums Leben kamen. Dies war der Anlass für die Gründung der DLRG am 19. Oktober 1913 in Leipzig. Ein Jahrhundert darauf ertrinken jährlich in Deutschland mehr als 90 Prozent weniger Menschen (2012 waren es 383) als noch zur Kaiserzeit (über 5000).

Dieser erfreuliche Rückgang hat seine Gründe. Es gibt bundesweit 50.000 Rettungsschwimmer, die an mehreren Tausend Badeplätzen wachen. Die Norderstedter unterstützen das Erlebnis- und Strandbad des Arriba, das Naturbad Beckersberg und sind zuständig für die Costa Kiesa in Wilstedt. Doch mindestens genauso wichtig wie die Hilfe im Notfall ist die Prävention. Die DLRG informiert speziell Kinder über Gefahren und hat in Norderstedt als erster Verein Anfängerschwimmen angeboten. Damit die Retter für ihre möglichen Einsätze gewappnet sind, trainieren sie mehrfach pro Woche und nehmen an überregionalen und internationalen Wettkämpfen und Meisterschaften teil.

Die Leidenschaft von Klaus Stölting ist aber das Tauchen. "Ich habe 1966 die hiesige Gruppe gegründet. Wir wurden schnell 20 Leute, das stieg dann auf 35 an." Eine richtige Clique sei es gewesen, sagt er. "Aber nach 15 Jahren benötigten wir eine erste Verjüngungskur, später noch eine zweite." Weil Tauchequipment teuer ist, war insbesondere in der Pionierzeit Improvisationskunst gefragt. "Wir haben uns keine fertigen Anzüge kaufen können, sondern die aus Neoprenresten zusammengebastelt", erzählt Stölting.

Am Sonnabend feiert die DLRG ab 10 Uhr ein Strandfest am Stadtparksee

Er ist seiner DLRG treu geblieben und trainiert weiterhin junge Taucher. Die Experten für Unterwassereinsätze werden sogar in Katastrophengebiete gerufen wie beim Elbhochwasser in Lauenburg. Dort waren die Norderstedter mit dem Wasserrettungszug Pinneberg vor Ort. Die Taucher sicherten dort unter anderem Deiche von der Wasserseite aus. Gesetzlich ist die DLRG als Zivilschutzorganisation im Sinne der Genfer Konventionen anerkannt.

Die gesamte Historie wird bis zum Jahresende in mehreren Veranstaltungen noch einmal aufleben. So auch am Sonnabend im Norderstedter Stadtpark. Dort lädt die DLRG ab 10 Uhr in das Arriba-Strandbad zu einem "Strand(wasser)fest", wo unter dem Motto "100 Jahre DLRG - 50 Jahre vor Ort" sowohl das eigene Jubiläum als auch das 100-jährige Bestehen der DLRG in Deutschland gefeiert wird. Die Retter stellen ihren Verein und die verschiedenen Aktivitäten vor und zeigen anhand von Show-Übungen, wie sie das Training für den Ernstfall mit dem Rettungssport vereinen. Dazu gibt es viele Mitmach-Aktionen an Land und im Wasser.