Sie demonstrieren Hilfsbereitschaft und Zivilcourage. Kinder finden in Norderstedt in 150 “Notinseln“ Zuflucht. Dem Abendblatt erzählten Helfer, was sie erlebt haben.

Norderstedt. Wenn Kinder in Norderstedt allein in der Stadt unterwegs sind und in Not geraten, dann ist die nächste Zuflucht nicht weit. Dem Projekt "Notinsel" der Hänsel und Gretel Stiftung traten seit 2009 in Norderstedt mehr als 150 Händler und Institutionen bei. Mit dem Logo der Notinsel an ihren Eingangstüren demonstrieren die "Notinseln" Hilfsbereitschaft und Zivilcourage.

Das Prinzip ist einfach: Geraten Kinder in Gefahrensituationen, werden sie zum Beispiel auf dem Nachhauseweg von Mitschülern verfolgt, haben sie kleinere Unfälle, bei denen bereits ein Pflaster weiterhilft, oder haben sie sich verirrt und wissen nicht weiter, dann finden sie in allen "Notinseln" eine helfende Hand.

Am Sonntag, 11. August, feiert das Projekt im Norderstedter Stadtpark sein großes Sommerfest (siehe Kasten unten), um sich weiter bekannt zu machen. Allein die Existenz der etwa 150 Notinseln in Norderstedt sorgt bei den Kindern für ein Gefühl der Sicherheit. Auch wenn sie die Notinseln nicht konkret nutzen - zu wissen, dass sie im Fall der Fälle da sind, sorgt für Selbstvertrauen. Doch wie intensiv werden die "Notinseln" von Kindern und Jugendlichen genutzt? Das Abendblatt hat sich in den "Notinseln" bei Norderstedter Händlern umgehört.

Susanne Schneider, Inhaberin von Lüdemann Pflanzen und Floristik an der Ulzburger Straße 443, erinnert zwei bemerkenswerte Fälle aus den vergangenen vier Jahren. "Ein etwa neunjähriges Mädchen kam mal ganz aufgelöst in den Laden gelaufen", sagt Schneider. Das Mädchen hatte zuvor an der Fußgänger-Ampel vor dem Geschäft auf Grün gewartet. "Sie erzählte, dass eine ältere Dame auf einem Fahrrad angeradelt kam und einfach bei Rot über die Straße fuhr." Das Mädchen rief der Frau hinterher, dass man das nicht dürfe. Daraufhin verlor die Radlerin die Fassung. "Sie beschimpfte das Kind und verfolgte es fluchend noch eine Weile über den Bürgersteig. Dann rettete sie sich in unseren Laden", sagt Schneider.

In einem anderen Fall sei ein Junge in das Geschäft gekommen, dem andere Kinder das Fahrrad völlig kaputt gemacht hatten. "Wir haben ihn erst einmal beruhigt und dann seine Eltern angerufen." Für Susanne Schneider muss das Projekt "Notinsel" noch viel bekannter werden. "Ich glaube, dass nur ein kleiner Prozentsatz aller Kinder in der Stadt von dem Angebot weiß. Eltern und Lehrer müssen da ganz viel Aufklärungsarbeit leisten."

Bei Sonja Greif, Geschäftsstellenleiterin des ADAC-Reisecenters an der Berliner Allee neben dem Herold-Center, standen eines Tages zwei eingeschüchterte Jungen im Alter von zehn Jahren in der Tür. "Bei den Sitzgelegenheiten am Herold-Center hängt häufig ein stark tätowierter und betrunkener Mann herum, der die Leute bepöbelt", sagt Greif. Die Jungs wollten in Richtung Busbahnhof, als ihnen der Mann schimpfend entgegenkam. "Sie flüchteten in unseren Laden, weil sie das ,Notinsel'-Logo kannten. Ich habe dann den Sicherheitsdienst des Herold-Centers angerufen. Ein Wachmann hat die Jungs dann an die Hand genommen und sie in ihren Bus gesetzt."

Sonja Greif war beeindruckt von den Jungen. "Ich fand das gut, dass die zu ihrer Angst standen und Hilfe gesucht haben." In einem anderen Fall suchten zwei verirrte achtjährige Mädchen Hilfe. "Sie waren wohl das erste Mal zusammen einkaufen und haben dann die Orientierung verloren. Sie wussten nicht, welchen Bus sie nach Norderstedt-Mitte nehmen müssen. Wir haben die beiden dann zur richtigen Haltestelle gebracht", sagt Sonja Greif.

Bettina Lindemann von der Buchhandlung Lesezeichen an der Ulzburger Straße 358 kann sich noch gut an den sechsjährigen Jungen erinnern, der eines Tages in den Laden kam. "Der Kleine hatte seinen Haustürschlüssel vergessen. Die Schule war aus und es war noch niemand zu Hause." Die Buchhändlerin rief bei dem Jungen an, doch niemand meldete sich. "Ich habe ihn beruhigt, er bekam etwas zu trinken und dann haben wir gemeinsam in den Büchern für Kinder gelesen", sagt Lindemann. Irgendwann war der ältere Bruder des Jungen zu Hause, und der Kleine konnte gehen. Von der "Notinsel" in der Buchhandlung hatte der Sechsjährige über seine Klassenlehrerin erfahren. "Die Kinder wissen alle: Wenn was ist, könnt ihr in die Buchhandlung gehen", sagt Lindemann.