Cathleen Cordes ist täglich unterwegs, um die 30.000 Linden, Eichen, Buchen, Kastanien und Birken auf Stabilität und Vitalität zu überprüfen.

Norderstedt. Sie verankert das Spezial-Maßband in der Rinde, umrundet den Baum einmal und liest ab: 4,20 Meter Umfang, 1,33 Meter Durchmesser. "Damit zählt diese Buche am Kabels Stieg zu den größten Bäumen, die wir in Norderstedt haben", sagt Cathleen Cordes. Die 25-Jährige ist von Beruf Kontrolleurin, sie überprüft regelmäßig, ob die 30.000 Bäume auf öffentlichem Grund noch stabil stehen. "Dabei geht es vor allem um die Verkehrssicherheit, die wir gewährleisten müssen", sagt Christoph Lorenzen. Der 31 Jahre alte Fachingenieur und studierte Arboristiker ist der Chef der Baumkontrolleurin und im Norderstedter Rathaus verantwortlich für die Stadtbäume.

Für manche ist der Baum ein Freund, anderen macht er Angst

Das sind vorwiegend Laubbäume, Linden, Eichen, Birken und Buchen, die an den Straßen stehen, auf Plätzen wie vor dem Rathaus, in den Grünanlagen, den Wäldchen und auf den Friedhöfen - dort mischen sich auch ein paar Nadelgehölze in den Baumbestand. Die Bürger haben wie überall ein sehr ambivalentes Verhältnis zu den Bäumen, hat Lorenzen festgestellt: "Das reicht von mein Freund der Baum, bis hin zu Angst gerade vor den mächtigen Exemplaren."

Unbestritten ist die Bedeutung der Stadtbäume, die mehrere wichtige Funktionen erfüllen: Sie spenden im Sommer Schatten und filtern den Staub aus der Luft. Und die Laubbäume fungieren als natürliche Klimaschützer, da sie das schädliche Kohlendioxid in Sauerstoff umwandeln. Allerdings leiden die Straßenbäume auch stärker unter Stress als ihre Artgenossen abseits der Verkehrswege. Sie müssen die Hitze verkraften, die vom Asphalt aufsteigt, das Streusalz im Winter und die Abgase aus den Auspuffanlagen der Fahrzeuge.

Damit die Norderstedter Stadtbäume ihre Vorzüge entfalten können, müssen sie regelmäßig begutachtet und gepflegt werden. Dafür ist Cathleen Cordes täglich unterwegs. Der Job gefällt der gelernten Garten- und Landschaftsgärtnerin, die sich gerade zur Baumkontrolleurin weiterbildet, eine Qualifikation, die sich stark an der Praxis ausrichtet. Ein Jahr Kontrolltätigkeit muss sie nachweisen und die Prüfung schaffen, dann darf sie die Berufsbezeichnung ganz offiziell tragen.

Die Linde mit der Baumnummer 02006 muss ausgelichtet werden

"In bebauten Gebieten kann man sich ganz gut an den Hausnummern orientieren, schwieriger ist es schon in der freien Natur, den richtigen Baum zu finden", sagt Cathleen Cordes, die gerade an der Ochsenzoller Straße unterwegs ist. Sie orientiert sich an einem Auszug aus dem Bebauungsplan,. "Das hier muss er sein", sagt sie und meint den Straßenbaum mit der Nummer 02006. Hinter der Nummer verbirgt sich eine Linde.

Erstes Kontrollinstrument sind ihre Augen. Verrät der Blick Auffälligkeiten, greift sie zum Werkzeug im organgefarbenen Kasten, das sie bei ihren Fahrten im grünen Elektroauto immer dabei hat. An der Linde kommt der Gummihammer, den die Baumprüferin Schonhammer nennt, zum Einsatz. Cathleen Cordes schlägt auf die Rinde und stellt fest, dass der Ton mal dumpfer und mal heller klingt. "Das deutet auf einen Hohlraum am Stammfuß hin. Es kann sein, dass das Holz dort angegriffen ist. Das müssen wir auf jeden fall im Auge behalten", sagt die junge Frau, öffnet ihr Toughbook, eine besonders robuste Variante des Notebooks, das auch mal runterfallen und nass werden darf, ohne gleich die digitale Arbeit einzustellen.

Dort sind alle Bäume samt der dazugehörigen Daten gespeichert, und es gibt Befund- und Maßnahmen-Felder, die die Kontrolleurin ankreuzen kann. Ohne Befund, Totholz, Beulen und Faulstellen vorhanden oder Pilzkörper an der Wurzel lauten die Kategorien. Die Maßnahmen reichen vom Entfernen des Totholzes bis zum Fällen. "Als ich hier anfing, habe ich fast um jeden Baum getrauert, der fallen musste. Mit der Zeit und der Fülle der Bäume stumpft man da etwas ab, zumal wir ja gefällte durch neue Bäume ersetzen", sagt Fachingenieur Lorenzen. Die Linde 02006 hingegen hat eine Zukunft. Die Krone muss auf 4,50 Meter Höhe gebracht, übe der Straße und dem angrenzenden Privatgrundstück ausgelichtet werden. Den Hohlraum wird Cathleen Cordes beobachten, eventuell mit einem Schalltomographen ermitteln, wie es hinter der Rinde aussieht.

Zum Alltagswerkzeug der Baumkontrolleurin gehören außerdem ein Stechbeitel, Maßband, Taschenlampe und ein Schere, mit der sie sich den Weg freischneiden kann. "Es kommt schon mal vor, dass der Zugang zu einem Baum zugewachsen ist", sagt sie und macht sich auf den Weg zu einer Eiche mit einer besonderen Geschichte. Der Stamm am Weg im Tarpenbek-Park hat ein Loch, eine kleine Höhle mitten im Holz, und steht trotzdem noch stabil auf seinen Wurzeln. Schwarz sind die Wände des Hohlraums. "Hier haben Kinder oder Jugendliche ein Feuer entfacht", sagt Lorenzen. Doch auch das hat der Baum überstanden, den Pilz, der das Loch gefressen hat, abgekapselt. Drumherum wächst das Stammholz, ein Zeichen, dass der Baum vital ist.