Arnold Schnittger und sein Sohn wollen während der 1064 Kilometer auf die Probleme von Familien mit behinderten Menschen hinweisen. Nico ist geistig behindert und sitzt im Rollstuhl.

Henstedt-Ulzburg. Nico, 18, ist hungrig. Es ist 12.30 Uhr, Mittagszeit. Doch er kann seinen Bedürfnissen keinen Ausdruck verleihen. Nico kann nicht sprechen, er ist von Geburt an geistig behindert und sitzt im Rollstuhl. Aber er kann lachen und sich freuen, und das ist seinen Eltern wichtig.

Arnold Schnittger, 61, spürt das Verlangen seines Sohnes, deshalb stoppt er beim Griechen. "Nico liebt Restaurants", sagt er und bestellt Giros mit Tzatziki, dazu eine kleine Cola. Nico lacht, er scheint sich wohlzufühlen. Seine Mutter Bärbel Meyer füttert ihn.

Arnold Schnittger ist Hartz-IV-Empfänger, er kann sich den Restaurantbesuch eigentlich nicht leisten. Früher, als Fotograf für Medien wie die "Süddeutsche Zeitung", hat er gut verdient. "Vier Euro täglich für Essen und Trinken, mehr habe ich jetzt nicht mehr", sagt er. Das Wohlbefinden seines Sohnes geht ihm über alles.

Dann wandern sie weiter auf der Kreisstraße 67. Zehn Kilometer noch, dann haben sie das Tagesziel Bad Bramstedt erreicht. Sie haben noch einen langen Weg vor sich. Start war am 19. Juli in Flensburg, das Ziel Gaiendorf am Bodensee wollen sie nach 1064 Kilometern am 11. September erreichen.

"Inwendig warm", nennt Schnittger seine Wanderaktion durch ganz Deutschland. "Jeder ist eingeladen mitzuwandern, ob behindert oder nicht behindert", sagt er. Meistens jedoch war er auf den ersten Etappen mit seinem Sohn allein auf weiter Flur.

Die Wanderung zum Bodensee ist ein Protestmarsch. Ganz obenauf steht für Arnold Schnittger und seinen von ihm gegründeten gemeinnützigen Verein "Nicos Farm" die Forderung: Kein Hartz IV für Menschen, die ihre Angehörigen pflegen. Schnittger kritisiert das Gesetz: "Hartz IV ist eine sogenannte Grundsicherung für Arbeitssuchende. Aber ich suche keinen Job, ich habe keine Zeit dazu. Ich kümmere mich ausschließlich um meinen Sohn."

Die 700 Euro, die die Pflegekasse jeden Monat für Nico (Pflegestufe 3) überweist, reichen vorne und hinten nicht. "Die Politik verschließt sich den realen Problemen von Familien mit behinderten Menschen. Fehlende Integrationsmöglichkeiten, fehlende notwendige finanzielle Unterstützung und fehlendes behördliches Einfühlungsvermögen sind Beispiele dafür."

"Normalen" Menschen solle die Aktion vermitteln, was Familien mit behinderten Kindern leisten, wie sie ausgegrenzt werden und welche Folgen die gesellschaftliche Isolierung haben kann. Die Wanderaktion soll Aufruf sein für mehr soziale Wärme, mehr Toleranz und Verständnis gegenüber behinderten Kindern und ihren Familien.

Vielleicht wird sich sein Traum erfüllen: "Mein Sohn soll in Würde leben können und eine gesicherte Zukunft haben." Arnold Schnittger schwebt ein Wohnhaus für 20 Familien mit behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, in dem einer für den anderen da ist. Ein Grundstück in der Großgemeinde Seevetal hat der Verein in Aussicht, ein Investor will eine Million Euro in das Wohnprojekt investieren.

Arnold Schnittger ist deshalb guten Mutes. Beim Start in Flensburg hat er zwei, drei Stadtobere für das gesamtgesellschaftliche Problem sensibilisieren können; in Henstedt-Ulzburg sind Vater und Sohn am Donnerstag von einer Delegation um die stellvertretende Bürgermeisterin Elisabeth von Bressensdorf empfangen worden und hatten viel Spaß bei einer Beach-Party im Naturbad Beckersberg. Am heutigen Freitag treffen die Wanderer auf ihrem Marsch zum Bodensee gegen 15.30 Uhr vor dem Norderstedter Rathaus ein. Dann wartet Helga Opitz schon auf. "Das ist eine tolle Aktion", sagt die Norderstedterin, die von dem Marsch gehört hatte.