Holger Wöhlke ist unheilbar an ALS erkrankt und will 950 Kilometer durch Schleswig-Holstein fahren, um über die Krankheit zu informieren und Spenden für die Berliner Charité zu sammeln.

Kreis Segeberg. Der Sommer ist eine gute Zeit für Holger Wöhlke. Er muss keine Schuhe und Strümpfe tragen und kann spüren, wann sein Fuß den Boden berührt. Barfuß steht der 68-Jährige sicher, wenn er sich von seinem Rollstuhl erhebt. Noch senden die Nerven in den Füßen ein schwaches Signal an sein Gehirn und melden den Kontakt zwischen der Haut und dem Rasen in seinem Garten. Wöhlke weiß, dass auch diese Fähigkeit bald verloren ist. Gehen kann er nicht mehr, seine Frau Sabine hilft beim Essen und beim Toilettengang. Morgens spricht Holger Wöhlke noch halbwegs deutlich, nachmittags nuschelt er.

Sein Krankheit trägt den Namen Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS. Der britische Physiker Steven Hawking leidet an ALS, Mao Tse Tung soll daran gestorben sein. ALS zerstört unaufhaltsam das Nervensystem, die Krankheit ist unheilbar. Holger Wöhlke fürchtet, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Drei bis fünf Jahre nach der Diagnose sind die meisten Patienten tot. Wöhlke kennt sein Schicksal seit 2005 und wundert sich manchmal, dass er immer noch da ist.

Die Zeit, die ihm bis zum Tod noch bleibt, will der Mann aus dem Dorf Hasenkrug nutzen und hat einen ungewöhnlichen Plan entwickelt: Bevor er stirbt, will Holger Wöhlke so viele Menschen wie möglich über die Krankheit ALS informieren und Spenden sammeln, die in der Charité in Berlin in die Forschung investiert werden sollen.

950 Kilometer im elektrischen Rollstuhl liegen vor dem 68-Jährigen

Der Sommer ist die beste Zeit für diese Aktion. Am 1. Juli startet er gemeinsam mit seiner Frau Sabine und Hund Paul eine Tour rund um Schleswig-Holstein. 950 Kilometer im elektrischen Rollstuhl liegen vor ihm. Sabine Wöhlke sitzt hinten im Anhänger, Paul hockt auf seinem Stammplatz neben Herrchens linkem Bein.

5000 Flyer mit Informationen über ALS und seine Tour will Wöhlke zwischen St. Peter-Ording und Puttgarden, Norderstedt und Flensburg verteilen. Außerdem hat er 5000 Armbänder mit der Aufschrift www.als-power.de gekauft und will sie den Menschen schenken, mit denen er über die Krankheit gesprochen hat. Diese Homepage pflegt Wöhlke seit mehr als zwei Jahren, informiert dort über die Krankheit und sein Schicksal, zeigt Fotos und die Termine seiner Tour.

Die ersten Vorläufer seiner Krankheit spürte Holger Wöhlke bereits 1983.

Ihm fiel es immer schwerer, seinen linken Arm zu bewegen. Wöhlke ging zum Hausarzt und zum Orthopäden, doch die Ursache blieb zunächst rätselhaft. Er arrangierte sich mit dem Problem und machte weiter wie bisher, arbeitete als Techniker beim Landesamt für Straßenbau, ließ sich in seinem Dorf zum stellvertretenden Bürgermeister wählen und führte als Amtswehrführer die 14 freiwilligen Feuerwehren im Umland von Bad Bramstedt.

Die Probleme seines Körpers zu ignorieren, gelang Wöhlke jedoch nie. Im Jahr 2005 wurde er erneut untersucht, diesmal in der Universitätsklinik Lübeck. Die Diagnose war eindeutig: ALS.

"Ein bis zwei Menschen von 100.000 erkranken daran", sagt Wöhlke und fügt hinzu: "Alle ALS-Patienten ersticken." Ärzte und Therapeuten können nur die Symptome lindern. Zum Beispiel durch die Sprachtherapie, die Wöhlke dreimal die Woche absolviert. Nachts sorgt eine Maschine für seine Beatmung.

"Ich kann eigentlich gar nichts", sagt der Vater von zwei erwachsenen Kindern und gesteht auch seine Gedanken an einen Freitod. Wie kommt ein Mann wie Wöhlke über die Phasen von Angst und Lebensmüdigkeit hinweg? "Dabei hilft mir mein Engel", sagt Holger Wöhlke und lächelt zu seiner Sabine hinüber.

Wohnen und schlafen werden sie in einem Wohnwagen

Und wie verschafft man sich Lebensfreude? "Zum Beispiel mit dieser Tour", sagt Wöhlke und fügt hinzu: "Das ziehe ich jetzt durch." Die Route steht inzwischen fest, die meisten Campingplätze wissen Bescheid.

Sabine und Holger Wöhlke sind mit Paul auf Rollstuhl (Scooter) und Anhänger unterwegs und wollen ein Tagespensum von durchschnittlich 50 Kilometern schaffen. Tempo 15 soll der Scooter schaffen. Wohnen und schlafen werden sie in einem Wohnwagen, den die Familie zu den Campingplätzen bringt. Drei Wochen sind die Wöhlkes unterwegs.

Der Wohnwagen steht schon im Garten bereit und ist dicht mit Werbefolien der Unterstützer beklebt. Geld hat Wöhlke noch nicht erhalten, aber dafür technische Hilfe von einem Orthopädie-Fachbetrieb. Der örtliche Supermarkt und die Logopädin sind auf dem Wohnwagen präsent. Auch der Scooter ist hergerichtet: Weil Wöhlke den Blinker nicht mehr mit der Hand betätigen kann, hat er einen Schalter mit Korkaufsatz installieren lassen, den er mit dem Mund bewegt.

Dass der Scooter streiken könnte, macht Wöhlke keine Sorgen. "Der ADAC kennt sich damit aus", sagt er. Außerdem könne er als ehemaliger Feuerwehrmann darauf bauen, dass in den Dörfern schnell ein Fachmann bereit steht: "Die Solidarität ist groß."

Selbst wenn keine nennenswerten Spenden zusammen kommen, wird Wöhlke zufrieden nach Hasenkrug zurückkehren. Er sagt: "Dann habe ich trotzdem mit vielen Menschen gesprochen und auch etwas für mich getan.

Holger Wöhlke wird von seiner Tour und seinen Begegnungen exklusiv für die Leser des Hamburger Abendblatts berichten. Ab Anfang Juli steht sein Online-Tagebuch unter www.abendblatt.de/tagebuch . Seine Frau wird die Texte für ihn eingeben. Außerdem kann er per Sprachprogramm seine Sätze ins Notebook "diktieren".