Grundschüler lernen beim Projekt “Guter Start“ spielerisch, wie sie respektvoll miteinander umgehen und Konflikte lösen, ohne dass einer verliert.

Norderstedt. Das rote Tuch reizt. Die Jungen rennen los und versuchen, über das Hindernis zu springen. Fast alle straucheln. "Sie wollen sich messen, sich und den anderen beweisen, wie toll sie sind und vergessen dabei die Aufgabe", sagt Angelika Pemöller: "Das Ziel ist, dass alle über das Tuch kommen." Die Sozialpädagogen erinnern die Schüler an die Vorgabe. Schon bilden sich Dreier-Gruppen, zwei tragen einen Dritten mit einem Spezialgriff zum Tuch, das Angelika Pemöller und Student Tim Herm halten, und wuchten ihn drüber.

Die Schüler der Grundschule Glashütte praktizieren Sozialkompetenz. Die Zweitklässler erleben, dass sich bestimmte Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen lassen. Im Team haben auch diejenigen, die schlechtere Voraussetzungen mitbringen, eine Chance auf Erfolg. Der wiederum stärkt das Selbstbewusstsein, fördert die Lust am Lernen. Genau darum geht es Angelika Pemöller und ihren Mitstreitern beim Projekt "Guter Start".

Sie haben einen Verein gegründet, engagieren sich ehrenamtlich, um Lehrern und Schülern das Miteinander zu erleichtern. Dahinter steckt das pädagogische Leitmotiv, dass jedes Kind nach seinen Fähigkeiten und Talenten optimal gefördert werden soll. Da hakt es in Deutschland, die Bildungsstudie Pisa hat ergeben, dass es einen überdurchschnittlich ausgeprägten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulabschluss gibt. "Je früher gegensteuert wird, desto besser. Da sind die Grundschulen besonders gefordert", sagt Angelika Pemöller.

Hauptberuflich arbeitet sie für die Jugendakademie Segeberg und hat in enger Zusammenarbeit mit der Einrichtung ein Konzept entwickelt, bei dem die sozialpädagogisch geschulten Mitglieder des Vereins eine Klasse und die Lehrerin durch die gesamte Grundschulzeit begleiten. In der ersten Klasse geht es um Vertrauensbildung und Achtsamkeit. Die Kinder setzen sich mit Gefühlen auseinander. "Wenn wir zu Beginn danach fragen, welche Gefühle die Kinder kennen, kommen meist nur wenige Begriffe wie doof, gut, schlecht, wütend, sauer", sagt die Projektleiterin. Im Laufe des Sommers vervielfältigt sich der Gefühlsfächer. Glücklich, stolz, ängstlich, neidisch, traurig kommen hinzu. Die Kinder erfahren in Rollenspielen oder beim Gefühlsmemory, wie sich das Gefühlsleben in Mimik und Körperhaltung spiegelt.

So erkennen sie, dass der Mitschüler oder die Freundin traurig ist, weil sich die Eltern mal wieder gestritten haben oder fröhlich, weil es eine gute Zensur gab. Angelika Pemöller berichtet von einem Jungen aus der zweiten Klasse, der ihr mitteilte, er sei total stolz gewesen, als er seine kleine Schwester das erste Mal auf den Arm nehmen durfte.

Wertschätzender Umgang und gewaltfreie Kommunikation stehen auf dem Projektplan für die zweite Klasse. Was so theoretisch klingt, bringt Angelika Pemöller in kindgerechte Bilder und bezieht sich auf den Erfinder des Modells, Marshall Rosenberg: Sprechen wie ein Wolf oder wie eine Giraffe. Der Wolf gilt als gerissen, stark, dominant, aggressiv. Wölfische Sprache bedeutet demzufolge kritisieren, vorwerfen, fordern, befehlen, tadeln, be- und verurteilen. Kritik, Selbstkritik, Vorwürfen, Forderungen, Befehlen, Vorurteilen, Manipulation, Tadel und sogar Lob.

Das Gegenstück ist die Giraffe, die das größte Herz unter den Landtieren hat. Sie steht für Beobachten statt Bewerten, das Ausdrücken von Gefühlen, Mitfühlen, das Mitteilen von Bedürfnissen und Bitten statt Fordern. Natürlich seien das Klischees, die den Tieren nicht gerecht werden, den Kindern als Bilder aber helfen. Auch der Eisberg dient als Sinnbild: Bei einem Streit bleibt vieles unter Wasser, wird nicht sichtbar. "Doch gerade dieser Teil des Konfliktes gehört an die Oberfläche", sagt Angelika Pemöller, die mit den Kindern in der dritten Klasse erarbeitet, wie Konflikte so gelöst werden, dass es keine Verlierer gibt.

Warum ist es beim Lernen so wichtig, regelmäßig zu üben - und warum wird es leichter, wenn man regelmäßig übt? Auch mit diesen Fragen befasst sich der "Gute Start", auch hier hilft ein Bild: Das Üben ist wie das Training in einem Fitnessstudio. Dort werden Muskeln aufgebaut, bei der Kopfarbeit Vernetzungen, die wie Autobahnen wirken und Gelerntes schneller an die Oberfläche holen. Funktioniert der Klassenverband, bleibt mehr Zeit und Ruhe für das Vermitteln und Aufnehmen des Lernstoffes, als wenn die Lehrerin ständig Streit schlichten muss.

Zwar leisten die Vereinsmitglieder, die sich gerade darum bemühen, dass der Verein vom Kieler Sozialministerium als Träger der Jugendhilfe anerkannt und gefördert wird, die Vereinsarbeit ehrenamtlich. "Doch die Honorarkräfte, die mit den Kindern an der Schule oder in der Jugendakademie arbeiten, die Räume und Material müssen wir bezahlen", sagt Angelika Pemöller. Da die Nachfrage groß sei, sucht sie Sponsoren, Firmen wie Einzelpersonen, die Projekt-Patenschaften für Schulen übernehmen. Weitere Auskünfte gibt sie per E-Mail unter info@der-gute-start.de.