Neulich in Bad Bramstedt, mitten auf dem Marktplatz.

Eine Männergruppe. Sie tragen schwarze Anzüge und schwarze Zylinder, was so aussieht, als wären sie von einer Trauerfeier im 19. Jahrhundert durch ein Zeitportal direkt ins Hier und Jetzt gepurzelt. Dass sie dabei auch noch eine ausgewachsene Segeljolle auf Rädern hinter sich herziehen, in der zwei weitere Zylinderkerle sitzen, macht ihren Auftritt nicht unbedingt diskreter.

Wer in Bad Bramstedt lebt, weiß bei diesem Anblick: Es ist Pfingsten, es ist die Zeit der Fleckensgilde. Die wurde 1685 vom damaligen Ortsvorsteher Jürgen Fuhlendorf gegründet, um die Bramstedter vor der Leibeigenschaft durch den Grafen von Kielmannsegg zu bewahren.

Tatsächlich schaffte es die Gilde, genug Geld zu sammeln und damit das Unheil abzuwenden, ein leider seltenes, daher umso bemerkenswerteres Beispiel für den Erfolg einer Solidargemeinschaft.

Grafen haben hierzulande längst nichts mehr zu sagen, aber die Gilde gibt es immer noch. Und deshalb tanzt sie alljährlich zu Pfingsten ums Rolandsdenkmal. Beglückt Passanten mit Gratis-Schnäpschen und übernimmt nach symbolischer Schlüsselübergabe für einen Tag die Amtsgeschäfte im Rathaus.

Auf den ersten Blick scheint das bunte Gildetreiben kaum mehr als ein besonders putziges Stück Folklore zu sein. Aber dann liest man Berichte wie den über die Baugenossenschaft Adlershorst, die in Harksheide seit Jahren Wohnungen unvermietet leer stehen lässt, weil man irgendwann die Wohnblöcke abreißen lassen und neu aufbauen möchte. Leider wohnen noch einige Leute dort. Weil sie Genossenschaftsmitglieder sind, dürfen die das auch.

Bis zum endgültigen Baustart die bereits freien Wohnungen befristet an Bedürftige vermieten - das ist jedoch der Genossenschaft nicht möglich. Hört sich, mit Verlaub, bescheuert an. Ist es wahrscheinlich auch. Und man denkt sich: Gebt doch einmal, wenigstens ein einziges Mal, ein paar vernünftigen Menschen den Generalschlüssel fürs magische Rathaus der großen Amtsgeschäfte, nur für einen einzigen Tag.

Das wäre natürlich zu einfach. Immerhin, wir haben diesen Sonntag die Hand am Schlüssel, wenigstens ein ganz kleines bisschen. Vorausgesetzt, wir gehen auch hin zur Kommunalwahl. Das sollten wir. Und sei es nur, um anschließend weitere Jahre darüber meckern zu dürfen, dass es wieder nicht die Richtigen getroffen hat. Vielleicht erleben wir aber auch kreative Amtsträger mit intelligenten Strategien. Jürgen Fuhlendorfs Urenkel, sozusagen.

Ach ja - Gratis-Schnäpschen wäre dann auch nicht schlecht.