In “Krooggeschichten“ erinnert Olga Schuck an die Zeit, als Gasthöfe in der Region noch Kommunikationszentren waren.

Norderstedt. Auf der einen Seite im Tanzsaal sitzen die reichen Bauern, die Alt-Garstedter, auf der anderen die "Katenleute", die Armen vom Garstedter Feld. Soziale Durchmischung, wie sie heute propagiert wird, war vor 100 Jahren unerwünscht, Mischehen waren verpönt. Geld zu Geld, "und dat de Deern ok wat an de Hacken harr" hieß es beim Danz op de Deel.

Klönen, feiern, Geschäfte machen, essen, Skat spielen, singen: "Die Gasthäuser waren die Kommunikationszentren und Infobörsen. Jeden Tag kamen die Leute und ratschten darüber, was der Bürgermeister nun wieder falsch gemacht, dass Johann mal wieder einen zu viel gehabt hat und im Graben gelandet ist, oder wer gerade mit wem rumturtelt. Mit dem Fernsehen ist das Gasthausleben gestorben", sagt Olga Schuck. Sie hat allerdings viel davon gerettet und aufgeschrieben. "Krooggeschichten" heißt das Buch der Norderstedterin, ein quirliges Stück Geschichte, gefüllt mit historischen Fotos und jeder Menge Anekdoten. 27 Gasthöfe hat sie aufgespürt, manche gibt es noch wie das Tanneneck oder das Gasthaus Stubbe, manche sind für immer von der Landkarte verschwunden.

Natürlich hat sie op Platt geschrieben, schließlich ist sie damit aufgewachsen, schließlich leitet die 74-Jährige den VHS-Arbeitskreis "Plattdeutsch" seit knapp 30 Jahren, will sie das allmähliche Siechtum der Sprache aufhalten. Auch mit ihrem aktuellen Buch. "Die Älteren, die noch mit Plattdeutsch aufgewachsen sind, werden sich erinnern. Und für die Jüngeren oder diejenigen, die hierher ziehen, ist das Buch vielleicht Anlass, sich mit der Stadtgeschichte und dem norddeutschen Idiom auseinanderzusetzen", sagt die Autorin.

Alle wussten, dass der Koch ein Wilderer war - auch der Jäger

Einen "Ausländer" weiß Schuck übrigens schon hinter sich: Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote, aus Paderborn zugereist, bemüht sich gerade, sich den typisch norddeutschen Zungenschlag anzueignen. Er wird ihr Buch am Dienstag, 28. Mai, auch offiziell vorstellen und aus der Geschichten-Sammlung vorlesen (s. Info-Kasten).

Bis dahin sollte ihm geschmeidig von der Zunge gehen, was sich in den Gasthöfen anno dazumal abgespielt hat. Zum Beispiel im Café Ohmoor an der Niendorfer Straße 176. Da hatte es der gelernte Maurer und Wirt Hermann Holst ganz autodidaktisch zu hoher Kochkunst gebracht. Zu den Stammgästen zählte auch Jäger Usinger, der bei gespicktem Hasenbraten und Rehrücken von seinem Teller hochsah und sagte: "Hermann, lass dich von mir nicht zu fassen kriegen!" Alle wussten, dass der Koch ein Wilderer war.

Der Laden lief nur, wenn Wirt und Wirtin mit vollem Einsatz für ihre Gäste da waren. So wie Ingeborg und Willy Eisele, die die Dorfpfanne an der Ohechaussee betrieben. Sie baten zum ersten Preisskat und lockten mit lebendigem Federvieh als Gewinn. Gänse und Hühner durften sich noch einen Tag auf der Wiese sattfressen. Doch als die Wirtsleute ihre Preise einsammeln wollten, waren die über den Zaun geflogen und mussten in höchster Eile wieder eingefangen werden.

Im Gasthof Sellhorn-Timm führte Tante Frieda ein ebenso herzliches wie strenges Regiment. Mit Bravour und Mut rettete sie einen Gast, der wegen seiner politischen Gesinnung nur der "Sozi" genannt wurde, vor dem "Kedenhund" - einem von Hitlers Schergen. Die Wirtin hatte den Sozi hinter der Theke versteckt. Als der "Kettenhund" hinter den Tresen gucken wollte und alle Gäste die Luft anhielten, baute sich Tante Frieda wie eine deutsche Eiche vor dem Mann auf und sagte: "Das ist mein Revier. Hier kommst du nur über meine Leiche rein." Der couragierte Auftritt hatte Erfolg, der Menschenfänger verschwand. Den Kroog, der 1968 noch Schauplatz für den Jürgen-Roland-Krimi "Einer fehlt beim Kurkonzert" war, gibt es nicht mehr.

Der Altonaer Hof gehört zu den ältesten Gasthäusern der Stadt

Harald Pump hat schon früh seine gastronomische Ader entdeckt. 1948, als die Not groß ist, schiebt der Zehnjährige seinen Radiotisch auf Rollen sonntags zum Sportplatz von TuRa Harksheide am Schulweg. Dort verkauft er Lollis und Flötenlollis an die Kinder. Die Schiedsrichter finden das gar nicht gut, kommt doch nun von allen Seiten des Spielfelds ein schriller Ton, den die Fußballer nur schwer vom Pfiff der Spielleiter unterscheiden können. Mit viel Einsatz und Können verwandeln Pump und seine Mutter Amanda die ehemalige Sportlerklause, eine einfache Bude, in ein Restaurant, in dem die Gäste heute noch gern essen.

Eine wechselvolle Geschichte hat der Altonaer Hof. Der ehemalige Ossenkroog zählt zusammen mit dem Gasthaus zur Ohe, wo heute der Hamburger Reiterverein und die Tänzer des HSV zu Hause sind, und dem Lindenhof an der Ulzburger Straße zu den ältesten Gasthäusern auf dem heutigen Norderstedter Gebiet. Die Hamburger hatten den Ossenkroog mit Kaffeegarten und Parkanlage als Ausflugslokal entdeckt, für das gemeine Volk aus der Nachbarschaft war "das Haus zu nobel, das feinste überhaupt, schreibt Olga Schuck.

Olga Schuck befragte Zeitzeugen, deren Kinder und Enkel

1967 eröffnete Carl Hohmeier in den Räumen die Diskothek "Medaillon". Nun wurden hier Twist und Rock 'n' Roll abgearbeitet, die Jukebox lieferte die Musik, und das Sagen hatte eine kleine drahtige Frau mit Zarah-Leander-Tonfall, vielleicht vom vielen Rauchen. Die Eltern sorgten sich um ihre Kinder, sie witterten das pure Verderben unter der funkelnden Kugel an der Decke. Doch die Jugend hatte einfach Spaß, sagte Mami zur extravaganten Chefin und spurte, wenn Mami um punkt 22 Uhr das Licht einschaltete. Alle, die noch nicht 18 waren, verließen die Disco, für die anderen war um ein Uhr Schluss. Die Nachtschwärmer gingen über die Grenze nach Hamburg in die Kneipe Schlenz und feierten mit Cola mit und ohne Rum weiter.

Olga Schuck hat noch viel zu erzählen von damals. Und das klingt op Platt viel schöner und echter als auf Hochdeutsch. Schließlich hat die verheiratete Mutter zweier erwachsener Söhne lange recherchiert. Auslöser war 1995 eine Bildermappe von Gerd Meincke mit 19 Postkarten-Motiven von ehemaligen und zum Teil noch bestehenden Gasthäusern in den Norderstedter Ursprungsgemeinden. Da muss doch auf der Rückseite eine kleine Geschichte stehen, sagte Olga Schuck zu Meincke. "Dann mach mal" lautete die lakonische Antwort, und Olga Schuck machte, las die Chroniken über Garstedt und Harksheide, ließ sich von den Teilnehmern ihres Plattdeutsch-Arbeitskreises Geschichten erzählen und befragte Zeitzeugen, deren Kinder und Enkel. Die Ergebnisse waren zunächst Vorträge, die die Autorin schließlich zum Buch zusammengestellt hat.