120 Retter waren am Sonntag bei der Evakuierung des Hochhauses am Röntgengang im Einsatz

Norderstedt. Beißender Gestank nach verbranntem Kunststoff empfängt einen am Montagmorgen im Treppenhaus des achtgeschossigen Hochhauses am Röntgengang in Norderstedt. Die Scheiben an den Aufgängen sind eingeschlagen. Pechschwarzer Ruß bedeckt Wände, Decken und Böden in den Fluren. Im 5. Stock die Tür zu der ausgebrannten Wohnung, in der am Sonntagabend, gegen 21.45 Uhr, ein Fernsehgerät implodierte: Sie ist versiegelt. Brandexperten der Polizei ermitteln jetzt, wie es zu dem Brand kommen konnte, der für einen Großeinsatz der Feuerwehren und Rettungskräfte gesorgt hatte.

Rückblende: In der Wohnung im 5. Stock, in der es zum Brand kommen sollte, befanden sich am Sonntagabend die 68-jährige Wohnungsbesitzerin und ihr 25-jähriger Sohn. Das Fernsehgerät lief. Plötzlich muss es zu einem technischen Defekt in dem Gerät gekommen sein - das nimmt zumindest die Polizei an. Sie geht davon aus, dass das Gerät implodierte. Demnach muss es sich um ein veraltetes Röhrengerät gehandelt haben. Werden die unter Druck stehenden Bildröhren beschädigt, können sie plötzlich zerplatzen und für Schwelbrände sorgen. Was aber genau am Sonntag in der Wohnung am Röntgengang geschah, ist noch unklar. Als das brennende TV-Gerät die ganze Wohnung in Brand setzte, flüchteten Mutter und Sohn aus dem Haus.

Dichter, schwarzer Rauch verbreitete sich nun im Treppenhaus. Besonders stark war der Qualm im sechsten und siebten Geschoss. Im sechsten Stock wohnen das Rentnerehepaar Jochen und Emma Kutscher und ihre behinderte Tochter. "Es war furchtbar. Der Qualm war schwarz, ganz dicht. Auf dem Flur konnten wir nichts mehr sehen. Das Atmen fiel schwer", sagt Jochen Kutscher. Eine betagte Nachbarin habe weinend auf dem Flur gestanden und nicht gewusst, wohin sie flüchten sollte. Jochen Kutscher half der Frau. Dann schaute er, dass seine Familie aus dem Haus kam. "Unsere Tochter wollte die Wohnung nicht verlassen. Mein Mann musste sie dann zwingen", sagt Emma Kutscher.

Mit 120 Kräften waren mittlerweile die drei Feuerwehren aus Garstedt, Harksheide und Friedrichsgabe im Einsatz. Gemeindewehrführer Niels Ole Jaap: "Für uns bot sich eine ebenso ungewöhnliche wie herausfordernde Lage." Die Wehren machten sich an die Evakuierung des gesamten Gebäudes. "Das Treppenhaus war so stark verqualmt, dass wir unsere Männer nur unter vollem Atemschutz hineinschicken konnten", sagt Jaap. Es gelang den Rettern, 15 Bewohner über das Treppenhaus ins Freie zu bringen. Auf die Balkone der Wohnungen hatten sich unterdessen acht Bewohner vor dem giftigen Qualm gerettet. Die Feuerwehr setzte ihre Drehleiter ein, um die Menschen zu retten. Vor dem Haus warteten Rettungsdienste und ein Kriseninterventionsteam auf die Bewohner. Eine 77-jährige Frau sowie ein 36-jähriger und ein 42-jähriger Mann erlitten leichte Rauchvergiftungen und mussten in ein Krankenhaus gebracht werden. Um die obdachlosen Bewohner unterzubringen, hatten die Wehren einen Großraumrettungswagen von der Hamburger Feuerwehr angefordert, in dem bis zu 30 Menschen Platz finden. Unter golden schimmernden Folien, den wärmenden Rettungsdecken, harrten die Menschen bis etwa 1.40 Uhr aus. Die letzten Einsatzkräfte rückten dann ab, die voll gesperrten Straßen Syltkuhlen und Waldstraße wurden wieder frei gegeben und die Bewohner konnten in ihre Wohnungen zurückkehren. Niels Ole Jaap: "Wir sind froh, dass alles so gut gelaufen ist."

Für die Bewohner beginnt am Montag das große Aufräumen. Asiye Demirbilek lebt seit 27 Jahren im sechsten Stock. "Ich stehe immer noch unter Schock. Der Ruß ist überall, alles ist schmutzig, und es stinkt." Die Feuerwehr hatte am Sonntagabend ihre Tür aufgebrochen. "Ich war unterwegs mit Bekannten." Jetzt wartet sie auf die neue Tür, die Zimmerleute sind bereits im Haus unterwegs. "Gut, dass nicht noch Schlimmeres passiert ist", sagt Demirbilek.

Bei ihren Nachbarn, den Kutschers, hat Jochen Kutscher den Staubsauger geholt, um den Ruß hinter dem Schränkchen in der Diele wegzusaugen. "Der schwarze Ruß ist überall: An der Decke, hinter den Bildern, auf dem Sofa und den Teppichen - alles ist verdreckt", sagt seine zweite Tochter Lydia Bart, die den Eltern heute beim Aufräumen hilft. "Hoffentlich bezahlt uns jemand den Schaden." Die Polizei kann zur Höhe des Schadens noch nichts sagen, die Ermittlungen laufen.