Die Mitglieder von FriendshipForce in Norderstedt reisen um den ganzen Globus und lernen etwas über andere Kulturen - und über sich selbst.

Was haben boßelnde Indonesier, bockwurstgierige Türken und urdeutsche Brasilianer gemeinsam? Sie sind Mitglieder bei FriendshipForce. Einem Verein, der Kulturen aus der ganzen Welt zusammenbringt und Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern neue Freundschaften entdecken lässt. Auch in Norderstedt, denn hier gibt es einen Ortsverein, der seit fast 30 Jahren mit seinen 80 Mitgliedern rund um den Globus reist, um mehr über die Kulturen der Welt zu erfahren und die deutsche Kultur in der Welt ebenso bekannt zu machen. Und das kann dann unter anderem auch zu boßelnden Indonesiern führen.

Doch was ist FriendshipForce genau? "Es ist eine private Austauschorganisation, die die Völkerverständigung stärken soll. Die Idee von FriendshipForce ist ganz einfach. Menschen aus aller Welt kommen zusammen, um sich kennenzulernen, um miteinander zu reden und Freundschaft zu schließen", sagt die Norderstedter Vereinsvorsitzende Sibylle Warmbold. Die Stadt Atlanta im Süden der USA ist seit jeher das Vereinszentrum, denn der Verein wurde 1977 in den USA von Wayne Smith mit Unterstützung des US-Präsidenten Jimmy Carter gegründet.

1984 bekam auch Norderstedt einen Ableger von FriendshipForce, weil Helmut Schmidt sich damals dafür engagierte, den Verein auch in Hamburg anzusiedeln. Zum ersten Besuch kamen 200 Amerikaner nach Hamburg - und einige von ihnen wurden in Norderstedter Familien während des einwöchigen Besuchs untergebracht. Damit war fortan die FriendshipForce auch in Norderstedt vorhanden.

Wer etwas über andere Kulturen lernt, kann nicht von Beginn an alles wissen

Edith Lescow, die noch heute im Verein ist, war damals Gründungsmitglied. An die ersten Austauschreisen, die sie nach England und in die USA führten, erinnert sie sich noch gut. "Wir wurden von unseren Gastgebern, die ja wie wir alle einfache Bürger waren, sehr herzlich in ihren Wohnungen aufgenommen. Wir wollten alle mehr über den jeweils anderen erfahren, und je mehr wir miteinander in Kontakt kamen, umso mehr spürten wir, dass wir bisher teils falsche Bilder voneinander gehabt hatten", sagt Lescow. Es war eine Horizonterweiterung für alle Beteiligten. Die Deutschen lernten bei ihren ersten Besuchen auf der anderen Seite des Ozeans etwa ein Potluck kennen. Das ist eine vor allem in den USA bei Kirchengemeinden, Sportvereinen oder anderen Gruppen verbreitete Zusammenkunft, bei der jeder Teilnehmer eine Speise für alle mitbringt.

Die Amerikaner hingegen erkannten bei ihren Besuchen in Deutschland, dass auch die Deutschen Kühlschränke haben, einen elektrischen Herd und dass es sehr alte Häuser gibt. Das Hamburger Rathaus wird dann auch schnell mal mit einem Königspalast verwechselt. Macht nichts, denn wer über andere Kulturen etwas lernt, kann ja nicht von Beginn an alles wissen. "Wir haben unsere Gäste gerne herumgeführt und ihnen die Gegend gezeigt. Für unsere amerikanischen Austauschgäste war es aber ungewöhnlich, dass wir so viel zu Fuß und mit der Bahn erledigt haben. Das kennen die von dort gar nicht", sagt Warmbold.

Dort sind die Distanzen zwischen einzelnen Ortschaften viel größer als in Deutschland, ein richtiger öffentlicher Personennahverkehr existiert vielfach nur in den großen Metropolen der USA. Selbst ein Nachbarschaftsbesuch kann in den USA schnell zu einem längeren Ausflug mutieren.

Die indonesischen Gäste waren vom Boßeln völlig begeistert

Aber nicht nur Amerikaner und Engländer gehören zu den Gästen, die in Norderstedt begrüßt werden konnten. Auch Neuseeland, die Türkei, Indonesien und Japan waren bereits zu Gast. "Wenn wir die Gäste bei uns begrüßen, machen wir uns natürlich Gedanken, was wir mit denen machen können, was ein wenig abseits des üblichen Tourismusprogramms ist", sagt die Zweite Vorsitzende des Vereins, Renate Rasche. Und das Programm kann dann auch mal urig werden. "Wir hatten hier einige Gäste aus Indonesien, mit denen wir zum Beispiel eine norddeutsche Boßeltour gemacht haben". Mit Schnaps, versteht sich. "Die Indonesier waren völlig begeistert", erzählt Rasche. Die hätten fleißig gebechert und geboßelt und sich hervorragend amüsiert. Auch an die ersten Türken, die ihnen von Atlanta als Austauschpartner zugewiesen wurden, erinnern sich die Vereinsmitglieder gut und auch gerne. "Die fanden deutsche Bockwürste so toll, die haben daraufhin in den Supermärkten etliche Dosen davon eingekauft", sagt Warmbold. Muslime und Schweinefleisch essen? "Das sehen da viele nicht so eng", sagt die Vereinsvorsitzende.

Die Norderstedter sind bei ihren Touren in die Welt auch öfter auf deutsche Kultur gestoßen - oder das, was man in Brasilien , Kanada und den USA als deutsche Kultur bewahrt. "Es war für uns interessant zu sehen, dass in Blumenau in Brasilien die Nachkommen deutscher Auswanderer die deutsche Kultur intensiv pflegen, inklusive Fachwerkhäusern", sagt Rasche. Die dort gepflegte "Landeskultur" ist aber nicht die aktuelle deutsche Kultur, sondern die des Jahres 1900. Seit des Wilhelminischen Zeitalters hat sich in Brasilien und Kanada in dieser Beziehung nicht viel verändert - auch nicht das Deutsch, das dort gesprochen wird. Und das führte dann doch zu Problemen. "Die Brasilianer und Kanadier sprechen teils ein so antiquiertes Deutsch, dass wir denen gesagt haben, sie mögen doch englisch sprechen. Ansonsten würden wir sie nicht verstehen", sagt Rasche.

Der Kulturaustausch, wie Jimmy Carter ihn sich wünschte, funktioniert

Die Gastgeber nahmen es den Norderstedtern nicht übel, im Gegenteil, sie ermunterten sie, mit ihnen die deutsche Lebensart zu feiern. Oktoberfeste, Schweinshaxen, Bier und nochmals Bier - und dazu wird gesungen. "Das war uns teils wirklich unangenehm, denn die Brasilianer, Amerikaner und Kanadier konnten alle die alten deutschen Volkslieder - und wir konnten nicht eine Strophe. Und außerdem ist Deutschland mehr als Bayern", sagt Rasche. Dennoch: Die Gruppe hat von den Brasilianern, Amerikanern und Kanadiern gelernt: Fortan wurden einige alte Lieder einstudiert, damit man sich bei den großen Feiern als Gast nicht völlig blamiert. "Im Nachhinein ist das alles ziemlich komisch, aber es hat uns die Augen geöffnet, wie Deutschland im Ausland teils noch gesehen wird. Und ebenso hat es den Menschen gezeigt, dass Deutschland etwas anderes ist, als das, was sie seit mehr als 100 Jahren als deutsche Kultur für sich identifizieren", sagt Warmbold. Der Kulturaustausch, so wie Jimmy Carter ihn sich wünschte - er funktioniert.

Für die Norderstedter ist eines besonders wichtig: Sie haben weltweit Freunde gefunden. Die Freundschaften zu vielen Austauschgästen existieren auch heute noch. Und neue werden kommen, etwa mit Thailand. Ein Mitgliedsverein aus dem fernöstlichen Land hatte in Atlanta einen Partner für Deutschland gesucht. Norderstedt wurde ausgesucht. "Wir freuen uns, erneut Gäste aus einem interessanten Land bei uns begrüßen zu dürfen", sagt Vereinschefin Warmbold. Ob die Thailänder dann auch Bockwürste kosten werden oder auf eine Boßeltour gehen werden, steht noch nicht fest.

Am Dienstag nach Pfingsten stellen wir den Verein Chaverim - Freundschaft mit Israel vor. Alle bisherigen Folgen unserer Serie finden Sie auch unter: Abendblatt.de/themen/meinvereinnorderstedt/