Am zweiten Prozesstag in Kiel vermitteln Zeugen einen tiefen Blick in die Persönlichkeit des Angeklagten. Er soll bei einem Streit seine Frau Bärbel gewürgt und ihren Kopf auf den Boden geschlagen haben.

Kiel/Norderstedt. Seine breiten Hände hält Heinrich W. stets gefaltet, als wolle er sie im Zaum halten. Leicht gebeugt, das Kinn nach vorn gestreckt wie in permanenter Lauerstellung sitzt der Norderstedter auf der Anklagebank des Kieler Landgerichts. Der 49 Jahre alte Familienvater ist ein großer, kräftiger Mann, von dessen Leben nichts mehr übrig ist. Mit seinen Händen soll der 49-Jährige getötet haben, seine eigene Frau starb. Drei Kinder verloren ihre Mutter nach Jahren des Streits, der Depressionen und des Wahnsinns. Die Familie ist zerstört. Er steht vor Gericht und muss sich wegen Totschlags verantworten.

Heinrich W. lässt kaum eine Gemütsregung erkennen, wenn die Zeugen über ihn, seine Ehe und seine psychische Erkrankung sprechen, wenn sie schildern, was vor der Gewalttat am 16. August 2012 in dem Reihenhaus am Weg am Denkmal geschah. Damals soll er bei einem Streit seine Frau Bärbel gewürgt und ihren Kopf auf den Boden geschlagen haben. Er rief danach die Polizei, drei Tage später erlag seine Frau ihren schweren Verletzungen.

Heinrich W. litt unter schweren Depressionen, war gewalttätig

Am zweiten Verhandlungstag spricht das Gericht mit Zeugen, die einen tiefen Blick in die Persönlichkeit des Angeklagten vermitteln und ein widersprüchliches, zutiefst krankhaftes Bild von Heinrich W. zeichnen. Der Mann mit den gefalteten Händen, der von sich selbst als "meine Wenigkeit" spricht, litt unter schweren Depressionen, war gewalttätig und unbeherrscht. Mal willigte er in die Scheidung ein, dann war er dagegen. Monatelang wurde Heinrich W. therapiert, um kurz danach wieder seine Medikamente abzusetzen. Eine Zeugin kann nicht aussagen. Die 87-jährige Mutter von Bärbel W. hat den Verlust ihrer Tochter nicht verkraftet und leidet an einem Trauma. Die minderjährigen Kinder des Ehepaares leben bei einer Tante.

"Er war damals ein umgänglicher und netter Typ"

Heinrich W. kam als eines von fünf Kindern in Hamburg-Langenhorn zur Welt. 1972 zog die Familie nach Norderstedt, der Vater fuhr zur See. Diesen Berufsweg schlug auch Heinrich W. ein und lernte "Kapitän auf großer Fahrt". Im Mai 1987 heirateten er und Bärbel. Sie nennt ihn Heiner. "Er war damals ein umgänglicher und netter Typ", berichtet ein Freund vor Gericht. Mal wischte Heinrich W. beim Spieleabend die Steine vom Brett, weil er nicht mehr gewinnen konnte, doch als Indiz für den Beginn einer psychischen Katastrophe hat damals kaum jemand diesen Zwischenfall bewertet.

Eines Tages hat Bärbel W. geahnt, dass die psychische Erkrankung ihres Mannes, seine Wut und ihr Wunsch, sich zu trennen, zu einer Katastrophe führen können. "Bevor ich dir das Haus überlasse, zünde ich es an", soll Heinrich W. nach Angaben einer Zeugin gesagt haben, als Bärbel W. die Scheidung wollte. "Sie hatte Angst, sie fühlte sich im eigenen Haus verfolgt." Zu Beginn des Jahres 2012 war Heinrich W. nach Hamburg gezogen, doch immer wieder kehrte er nach Norderstedt zurück.

"Es kam zu Tätlichkeiten", berichtet eine langjährige Freundin des Ehepaares. Im April 2012, vier Monate vor der Tat, soll Heinrich W. seine Frau gewürgt und geschlagen haben. Dann fiel in einem Gespräch der beiden Freundinnen der folgenschwere Satz, den Heinrich W. gesagt haben soll: "Wenn Du das mit der Scheidung durchziehst, bringe ich Dich um." Ob er dazu fähig sei, wollte die Freundin wissen. Bärbel W. antwortete: "Ich traue ihm alles zu." Warum sie ihn nicht von der Polizei aus dem Haus weisen lassen wolle? "Ich kann doch die Kinder nicht zuschauen lassen, wie die Polizei meinen Mann abführt." In einem Brief an eine Bekannte schrieb sie im Oktober 2011. "Heinrich ist immer noch in meinem Herzen." Sie findet Halt in ihrem Glauben, über ihre Verzweiflung spricht sie mit ihren Freunden. Seine Auffälligkeiten irritieren inzwischen das gesamte Umfeld. Freunden sagt er, dass seine Frau bei der Heirat nur dritte Wahl gewesen sei. In der freikirchlichen Gemeinde, in der das Paar seit Jahren aktiv ist, erhält er Hausverbot, weil er sich zwei Mädchen auffällig nähert. Auch den Gesprächskreis muss er verlassen, weil er mit seinem aggressiven Verhalten auffällt.

In seinem Beruf als Elblotse macht Heinrich W. schwere Fehler. 2010 wird er in einem Fachkrankenhaus therapiert. Die Ärzte stellen "Depressionen mit Suizidgedanken" und eine zwanghafte Persönlichkeit fest. Es folgen weitere Therapien.

Wenige Stunden vor der Tat geht Heinrich W. zu seiner Hausärztin

Zu Hause gerät das Leben immer weiter aus den Fugen: Eine Woche setzt er sich in sein Arbeitszimmer und verlässt es nicht mehr, bis seine Kinder zu ihm kommen und sagen: "Papa, du musst doch was essen." Bei einem Besuch der Scheidungsanwältin ein ähnliches Szenario: Heinrich W. bleibt plötzlich unbeweglich sitzen, schließt die Augen und schweigt. Die Besatzung eines Rettungswagens trägt ihn in das Fahrzeug und fährt Heinrich W. in die Psychiatrie nach Eppendorf. Dort kennt man ihn bereits als Patienten mit einem auffälligen Sexualverhalten.

Wenige Stunden vor der Tat am 16. August 2012 geht Heinrich W. zu seiner Hausärztin und bittet um eine weitere Krankschreibung. Die Medizinerin kennt die Familie, erklärt W. für arbeitsunfähig und empfiehlt ihm dringend, einen Psychiater aufzusuchen. Wenige Stunden später kommt es zu der schrecklichen Tat.

Der Prozess wird fortgesetzt.