In Norderstedt betreibt Kerstin Bartels die Manufaktur 66: Die 46-Jährige näht (fast) alles nach den Wünschen ihrer Kunden

Norderstedt. Hosen, Kleider und Röcke waren immer zu kurz. Oder der Schnitt gefiel ihr nicht. Da beschloss Kerstin Bertels kurzerhand, sich ihre Garderobe selbst zu schneidern. Die ersten Versuche an der eigenen Nähmaschine im Keller gelangen so gut, dass Freundinnen und Bekannte sie fragten, ob sie für sie auch nähen könne. Inzwischen ist aus den ersten Skizzen und Zuschnitten ein Unternehmen geworden, von dem die Chefin leben kann.

Die 46-Jährige betreibt in Norderstedt die Manufaktur 66, eine Maßschneiderei, die fast alles nach den Wünschen der Kunden näht. "Wir fertigen Abendkleider genauso wie T-Shirts", sagt die Inhaberin, wobei "wir" eigentlich "ich" bedeutet. Die Geschäftsfrau ist Alleinunterhalterin. Nur wenn sie die Aufträge nicht schafft, werden weitere Nähmaschinen mit Helferinnen besetzt. Das kommt allerdings immer häufiger vor: "Mein Angebot spricht sich rum, und so viel ich weiß, bin ich weit und breit die Einzige, die auf Maß fertigt", sagt die Handarbeiterin, die ihre Kunden in zwei Räumen am Gutenbergring anzieht. Werbung brauche sie nicht, zufriedene Kunden seien die beste Propaganda.

Bei Kerstin Bertels werden nur Unikate gehandelt

Sie selbst meidet den Begriff "Maßschneiderei". "Das klingt immer so teuer", sagt die Frau, die aus dem Südwesten Deutschlands stammt. Sie spricht lieber von individueller Garderobe und profitiert von einem Trend, der sich landauf, landab in Deutschland zeigt: weg von der konfektionierten, hin zur individuellen Garderobe. Das Ergebnis ist die Rückkehr der Maßschneider.

Tatsächlich verrät der Blick auf die Auswahl an den Kleiderständern, dass bei Kerstin Bertels nur Unikate gehandelt werden. Kein T-Shirt gleicht dem anderen, das schwarze trägt ein Strasskreuz auf der Vorderseite, das weiße einen anderen Aufdruck. "Wir nähen nicht nur, sondern bringen auf Wunsch auch Strasssteine auf oder bedrucken die Kleidungsstücke", sagt die Unternehmerin.

Und auch das Umarbeiten gehört zum Job. Aus ehemaligen Armeejacken zum Beispiel fertigt Kerstin Bertels robuste Jacken auf Taille für Frauen. "Das bedeutet aber, dass wir das Kleidungsstück komplett auseinander nehmen und neu zusammensetzen müssen. Die Ärmel waren viel zu weit und mussten enger genäht werden", sagt die Schneiderin, die sich ihr Wissen und Können in Kursen und Fortbildungen angeeignet hat. Gelernt hat die 46-Jährige Einzelhandelskauffrau - eine Lehre, von der sie bei der Buchhaltung, beim Bestellen und überhaupt bei der kaufmännischen Seite ihres Unternehmens bis heute profitiert.

"Egal, ob Jersey, Baumwolle oder Seide - ich verwende nur Stoffe von guter Qualität, die aus Deutschland oder Frankreich stammen", sagt die Schneiderin. Was sie später für ihre Kunden verarbeiten will, testet sie zunächst auf der eigenen Haut und in der Waschmaschine zu Hause. Erst wenn das Material mehrere Waschgänge übersteht, ohne einzulaufen oder sich sonst irgendwie negativ verändert und wenn der Tragekomfort stimmt, schaffen die Stoffe den Sprung ins Sortiment. Schwarz, Weiß und Marineblau dominieren bei den T-Shirts, die klassischen Farben lassen sich vielfach kombinieren. Diese Einigkeit bei den Farbwünschen bedeutet für die Manufaktur-Betreiberin, dass sie die Stoffballen mehrfach verwenden kann, 1,5 bis zwei Meter brauche sie für ein T-Shirt.

Gemeinsam mit den Kunden wird das persönliche Modeprofil entwickelt

Zu den etwa 150 Kunden zählen auch viele, die große Größen brauchen, damit das T-Shirt nicht auf die Bauchmitte rutscht, wenn der Träger die Arme hebt. Die Jüngsten, die die Handarbeit in Anspruch nehmen, sind Mitte 20, die Ältesten 70 - Frauen kommen genauso wie Männer. Doch das Schneidern ist nur der eine Teil, vorher ist Kreativität gefragt. "Viele Kunden kommen und haben noch keine sehr konkreten Vorstellungen davon, wie das Kleidungsstück mal aussehen soll", sagt Kerstin Bertels. Gemeinsam mit den Kunden entwickelt sie das persönliche Modeprofil, legt Farbe, Schnitt und Applikationen fest und nimmt Maß. "Das kann schon mal bis zu zwei Stunden dauern", sagt sie. Manchmal müssen die Ideen auch noch sacken, werden erst beim zweiten Treffen endgültig fixiert. Trotz des hohen Kreativitätsanteils sieht sich Kerstin Bertels nicht als Designerin, auch nicht als Schneiderin, schließlich habe sie ja keine Lehre absolviert.

Hand- und Kopfarbeiterin sei sie, und offenbar eine gute. Denn sie fertigt auch Berufskleidung für Gastronomen, die Mitarbeiter einer Autowaschanlage und für einen "Schinkenmann" auf dem Wochenmarkt. Auch Boutiquenbesitzer von Sylt bis München bestellen bei der Norderstedter Manufaktur-Chefin. "Durchschnittlich eine Woche dauert es vom ersten Gespräch bis zum abholbereiten Kleidungsstück", sagt Kerstin Bertels, die auf Wunsch auch ins Haus kommt. Da sie nicht immer in ihrem Betrieb ist, sollten sich Kunden vorher unter Telefon 0172/440 72 93 anmelden.