Das SOS-Kinderdorf Harksheide feiert sein 50-jähriges Bestehen. Mehr als 500 Kinder fanden bisher in Norderstedt Heimat und Zukunft

Norderstedt. Die Idee ist einfach. Ein Kind wächst am besten in einer Familie auf, wenn es zu einem eigenständigen und unabhängigen Individuum in der Gesellschaft werden möchte. Und wenn das Schicksal dem Kind die Familie nimmt, muss schnell eine Ersatzfamilie her.

Am 14. September wird es genau 50 Jahre her sein, dass diese Idee des Österreichers Hermann Gmeiner auf einer sechs Hektar großen Wiese im damaligen Harksheide verwirklicht wurde: Das SOS-Kinderdorf Harksheide, 1963 das sechste seiner Art in Deutschland.

Das Jahr 2013 ist für die Heimat der Waisen und Kinder aus schwierigen Verhältnissen ein Jahr zum Feiern mit vielen Aktionen und Gästen (siehe Artikel rechts). Aber es ist auch ein Jahr, um zurückzublicken. Auf die Entstehungsgeschichte des Dorfes, vor allem aber auf die vielen Menschen, die das Dorf geprägt haben. Das Abendblatt wird in diesem Jahr in loser Folge Geschichten aus den 50 Jahren des SOS-Kinderdorfes erzählen. Dabei werden vor allem die Kinderdorf-Mütter und die etwa 500 Kinder des Dorfes im Mittelpunkt stehen, die seit 1963 in Harksheide aufwuchsen.

"Bevor die Kinderdörfer entstanden, war die Heimerziehung der Normalfall. Und ohne den Pädagogen damals zu nahetreten zu wollen: Da ging es eher um Unterbringung und nicht um Zuneigung, Vertrauen oder Geborgenheit. Diese familiäre Atmosphäre sollte das Kinderdorf aufbauen", sagt Jörg Kraft. Seit 1994 ist der Pädagoge der "Kinderdorf-Papa", also der Leiter des Dorfes, in dem heute etwa 70 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen neun Monaten und 19 Jahren von einem Team aus 63 Mitarbeitern betreut werden. In Amtsdeutsch gesprochen, ist das Dorf ein moderner Dienstleister in der Jugendpflege mit neun verschiedenen pädagogischen Projekten, darunter ein hauswirtschaftlicher Ausbildungsbereich, eine ambulante Betreuung oder die Schulsozialarbeit.

43 Kinder leben derzeit in den Familien und Wohngruppen des Dorfes

Im Zentrum der Arbeit aber stehen die stationären Angebote in dem Dorf mit seinen 15 Wohnhäusern. In den fünf Kinderdorf-Familien leben momentan 23 Mädchen und Jungen. "Wir sind zurzeit im Generationenumbruch", sagt Kraft. Derzeit seien weitere Familien in Planung, das Ziel seien bis zu acht Familien. In den zwei Familien-Wohngruppen leben 13 Kinder, die im Unterschied zu den Kinderdorf-Familien von einem fünfköpfigen Betreuerteam geführt werden. Jörg Kraft betont: "Wenn leibliche Eltern existieren, halten wir den Kontakt zur Familie unserer Kinder für sinnvoll.

Doch das kann auch sehr schmerzhaft sein, wenn die Eltern unzuverlässig sind, Verabredungen ausfallen lassen oder wenn sie das mehrfach versprochene Fahrrad niemals wirklich mitbringen." Schließlich gibt es noch eine Jugend-Wohngruppe mit sieben Jugendlichen, die kurz vor der Selbstständigkeit stehen, sowie eine Tagesgruppe mit fünf Kindern, die abends und am Wochenende bei ihren Familien leben.

Mit nur drei Kinderdorffamilien beginnt das Harksheider Dorf 1963. Der Leiter ist Udo Pütt, ein Diakon des Rauhen Hauses in Hamburg. "Denn das Harksheider Dorf ist ja eigentlich das Hamburger Dorf", sagt Manfred Thurau. Der Sozialpädagoge, der seit Mitte der 90er-Jahre im Dorf wirkt, kennt die Geschichte des Dorfes ganz genau. Eigentlich gebe es in jedem Bundesland nur ein Dorf, sagt Thurau. In Schleswig-Holstein aber zwei: Das Dorf in Lütjenburg und Harksheide. Und das kam so: Henning Baur, ein Hamburger Rechtsanwalt, ist Ende der 50er-Jahre begeistert von Gmeiners pädagogischem Ansatz und möchte dabei helfen, ein Hamburger Kinderdorf zu gründen. Auf der Suche nach Mitstreitern stoßen sie auf den Lübecker Kaufmann Wilhelm Fabritz. "Den fragte Baur, ob er nicht Lust habe, ihm ein Haus für das Kinderdorf zu schenken", sagt Thurau. Ein Haus nicht, soll Fabritz entgegnet haben, aber ein Grundstück, sechs Hektar groß, in der Nähe von Harksheide - also fast in Hamburg. Baur nimmt begeistert an.

Das Grundstück ist eine Einöde - perfekt für ein SOS-Kinderdorf

Der Grund und Boden für das Dorf war damals weit abgelegen, die nächste Wohnbebauung lag Hunderte Meter entfernt. Ohne Gummistiefel ging da gar nichts", sagt Thurau. Das Dorf wird konzipiert und geplant. Und Gmeiner klärt gemeinsam mit Henning Baur das letzte Problem: Wer soll der Leiter werden? Baur besucht mit Gmeiner Probst Preen, den damaligen Leiter des Rauhen Hauses. Der wiederum empfiehlt ihnen den Diakon Pütt, den alle nur als Bruder Pütt kennen. "Pütt wurde damals von Preen vorgewarnt: Da kommen zwei Leute aus Ulzburg, die wollen was von dir. Pütt soll geantwortet haben: Wo ist Ulzburg?", sagt Thurau.

Aber Pütt, 27 Jahre alt, das Pädagogik-Examen zum Thema "Familiäre Ansätze in der Heimerziehung" in der Tasche, ist prädestiniert für die Aufgabe. Er wird für die Aufgabe von der Landeskirche beurlaubt und wird der erste Leiter des Kinderdorfes. "Erst 1994 wurde Pütt von Jörg Kraft abgelöst. Es gab in den 50 Jahren des Kinderdorfes nur zwei Leiter", sagt Thurau. Pütt lebt heute als Rentner in Lüneburg und ist bei Feierlichkeiten im Dorf ein gern gesehener Gast.