“Begegnung mit dem Krebs - Schnitt“ heißt das Buch, das Dirk Lerch über seine schwere Krankheit geschrieben hat

Kaltenkirchen. Die Beschwerden kamen aus dem Nichts. Im Januar 2010 erste leichte Probleme beim Essen. Nichts Schwerwiegendes. Aber immerhin: Dirk Lerch erbrach sich ab und zu nach den Mahlzeiten. "Ich dachte mir nichts dabei", sagt er heute. Mit seinem Papagei auf der Schulter sitzt der hagere Mann im Wohnzimmer seiner Wohnung an der Alvesloher Straße in Kaltenkirchen.

Er wundert sich immer noch, dass er hier wieder friedlich sitzen kann, denn lange Zeit sah es nicht danach aus: Der Altenpfleger hat eine schwere Zeit hinter sich. Magen- und Speiseröhrenkrebs, Operationen, lange Krankenhausaufenthalte, Koma, körperlicher Verfall, Wiederauferstehung und Genesung - Dirk Lerch hat alles überstanden, aber er ist ein anderer Mensch geworden. Er hat die Zeit des Leidens und die Zeit der Genesung nicht einfach abgehakt, sondern sie öffentlich gemacht. "Begegnung mit dem Krebs - Schnitt" heißt das Buch über seine schwere Krankheit.

Er schildert in entspanntem Tonfall seine bewegende Leidensgeschichte

Bücher über Krankheiten, eigene oder die von Familienangehörigen, haben Hochkonjunktur. Bekannte Schriftsteller arbeiten sich daran ab. Immer wieder: Das Thema Krebs. Christoph Schlingensiefs bewegendes Tagebuch "So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!" ragt heraus. Mal wütend und trotzig, mal traurig und verzweifelt, aber immer mit berührender Poesie und Wärme umkreist der Film-, Theater- und Opernregisseur, Aktions- und Installationskünstler die Fragen, die ihm die Krankheit aufzwingen: Wer ist man gewesen? Schlingensief, inzwischen seinem Lungenkrebs erlegen, hat ein eindrucksvolles und sprachmächtiges Protokoll einer Selbsterfahrung vorgelegt. Dirk Lerch aus Kaltenkirchen fehlt diese Sprachgewalt - aber gerade das macht sein Buch interessant. Unprätentiös, aber nicht ungelenk erzählt er, was ihm widerfahren ist. Gleichsam staunend über das, was ihm und mit ihm passiert, schildert er in einem entspannten Tonfall seine bewegende Leidensgeschichte.

Ja, so könnte es gewesen sein, denkt der Leser bei der Lektüre seines Buches. Ja, das habe ich schon mal in meiner Verwandtschaft, in meinem Freundeskreis erlebt. Nein, bitte, ich möchte das nicht erleben. Gleichsam klassisch der Einstieg in diese Krankheit: Schmerzen, Erbrechen, Essen, das im Halse stecken bleibt, der selbstgefällige Hausarzt, der die Symptome als Bagatelle abtut und leichte Tabletten gegen Magenbeschweren verschreibt. Über viele Wochen, obwohl die Beschwerden immer drängender werden. Das alles haben viele irgendwann schon mal gehört. Aber hier steht es schwarz auf weiß: Der Hausarzt hat versagt, hat die Krankheit nicht erkannt, weil er seinen Patienten und dessen Beschreibung der Beschwerden nicht ernst nimmt. Ein Albtraum. Erst nach einem Wechsel des Arztes wird Dirk Lerch angehört - die "Krankenhauskarriere" beginnt.

Bösartiger Tumor im Magen, Karzinom in der Muskulatur der Speiseröhre. Noch Fragen? Wenn ja, Dirk Lerch kann sie alle beantworten - und bringt sie auf einen Nenner: Nein, Angst vor dem Sterben habe er nicht gehabt. "Ich hatte Angst, dass ich denen, die ich hier zurücklassen würde, wehtun würde oder wehgetan habe." Er wollte nur das Eine: "Schneidet mich auf und holt dieses 'Etwas' aus mir heraus!"

Was dann geschieht, erleben die Leser des Buches mit. Diagnose, Operation, Koma, Genesung, Ängste, Besuche, Gebete, Keime, wieder aufschneiden, Zusammenfall der Lunge. Merkwürdige Träume: "...ich erkannte, dass dort auch Menschen waren, die schon tot waren. Komischerweise machte es mir aber nichts aus, und ich hatte keinerlei Ängste. Nein, ich genoss es, diese Menschen wiedersehen zu dürfen." War es eine Todesahnung? Dirk Lerch weiß es nicht, wird es nie erfahren. Aber er kann sich gut an den Traum erinnern. Auch an diesen: Er wird aus seinem Bett emporgehoben, dann den Flur entlanggeschoben und an einer engen Stelle, zwischen zwei Betonpfeilern, hinab ins blaue Wasser gelassen."

Der Autor glaubt, dass er seine Erkrankung hätte verhindern können

Dann die Hoffnung, wieder zu Hause, Reha, keine Chemotherapie: "Ich wurde 47 Jahre alt, jung, oder wie auch immer. Wichtig war für mich nur noch eines: Ich lebe!" Und diese Tatsache war für Dirk Lerch lange Zeit alles andere als selbstverständlich. Heute weiß er, dass er seine Krebserkrankung vielleicht hätte vermeiden können: 34 Jahre lang geraucht ("manchmal wie ein Schlot gepafft!"), oft und gerne Fast Food, Vorsorge - natürlich nicht. Niemals. Wer weiß, vielleicht wäre alles anders gekommen.

Aber das ist vergangen und abgehakt. Müßig, sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Wichtig ist: Dirk Lerch hat seine Einstellung zum Leben geändert: "Ich habe festgestellt, was das Leben eigentlich wert ist." Das Schreiben des Buches hat ihm geholfen, seine Gedanken zu ordnen; die Krankheit hat geholfen, das Leben neu zu ordnen. Mit dem Schreiben seines Buches hat er sich selbst geholfen, wieder ins Leben zurückzufinden. Er will damit aber auch anderen Menschen etwas sagen: "Stellt euch der Realität, guckt nicht weg." Soll heißen: Macht euch Gedanken um euren Körper, lebt nicht sorglos in den Tag hinein, geht zum Beispiel zur Vorsorge, hört auf Warnsignale.

Dirk Lerch sucht für sich und seinen Papagei jetzt eine kleinere Wohnung

Sein altes Leben kann er nicht mehr weiterführen. Die körperliche Anstrengung als Altenpfleger - geht gar nicht. Er lebt von einer Rente, von den Zahlungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung und hofft auf zusätzliche Einnahmen aus seinem Buch, dass er im Eigenverlag herausgibt. "Ich komme über die Runden", sagt Dirk Lerch, der für sich, seine Katze und seinen 50 Jahre alten Papagei eine kleinere Wohnung sucht. Die Arbeit an seinem Buch hat ihm so viel gegeben, dass er demnächst mit einem weiteren Erfahrungsbericht beginnen will: In Planung ist ein Buch über seine Koma-Erfahrungen.

"Begegnung mit dem Krebs" gibt es als Hardcover und als Taschenbuch (jeweils 326 Seiten). ISBN: 978-34-00-038457-8. Weitere Informationen im Internet.

www.verlag-dile.jimdo.com/