Google liefert auf Knopfdruck fehlende Geschichtsdaten, Vokabeln oder Interpretationen für Goethes Faust. Schulen suchen nach Gegenmaßnahmen

Norderstedt. Physik-Formeln auf kleine Zettelchen schreiben oder Englisch-Vokabeln auf die Hand kritzeln - so haben Schüler früher geschummelt. Doch das Schummeln geht mit der Zeit und mit dem Trend. Wer heute Probleme bei Klausuren hat, nimmt das Smartphone zur Hilfe.

Immer mehr Schüler beschweren sich aber, dass es mehr als ungerecht ihnen gegenüber sei, wenn ihre Mitschüler die Geschichtsdaten zum Zweiten Weltkrieg mit einem Smartphone googeln oder Interpretationspassagen über Goethes "Faust" bei Wikipedia nachschlagen, sie selbst aber darauf verzichten. Wo bleibt hier das schlechte Gewissen, fragt sich mancher Lehrer oder Schüler. "Schummeln? Das nagt an meinem Stolz. Ich möchte mir meine Noten selber verdienen", sagt Kim Stürwoldt. Freundin Svenja Bornkast, beide Schülerinnen des Berufsbildungszentrums Norderstedt, meint: "Ich bin zu feige zum Schummeln. Mit meinem Gewissen kann ich das nicht vereinbaren."

Immer häufiger wird auch während der Abitur-Klausuren mit dem Handy geschummelt. Heike Schlesselmann, Schulleiterin des Coppernicus-Gymnasiums in Norderstedt, hat hierfür kein Verständnis. Werden Schüler während der Abitur-Klausuren mit ihrem Handy erwischt, wird ihnen die Klausur sofort entzogen und im schlimmsten Fall mit Null Punkten bewertet - der Prüfling hätte sein Abitur nicht bestanden und müsste ein weiteres Jahr die Schulbank drücken. "So etwas wäre doch dumm", sagt Schlesselmann.

Viele Schulen lassen die Handys vor Prüfungen einsammeln. Doch nicht jeder Schüler gibt sein Handy auch ab. Die Schummel-Methoden werden immer dreister. Die Mädchen verstecken das Handy im Ausschnitt und schmuggeln es mit auf die Schultoilette, um einen "Telefonjoker" anzurufen und das Wissen anderer zu nutzen. Es gab auch schon Vorfälle, bei denen Schüler über ein Headset Lösungen bei Klausuren vorgesagt bekommen haben. Sie stecken sich kleine Kopfhörer in die Ohren, die über Bluetooth, eine kabellose Datenübertragung, mit dem Handy verbunden sind. Freunde bekommen die Aufgabe per SMS geschickt und flüstern dem Prüfling die richtige Antwort ins Ohr. Mit Geräuschen wie Husten kann der Schüler seinen Schummel-Partner auffordern, die Antwort zu wiederholen oder ihm mitteilen, bei welcher Aufgabe er sich gerade befindet.

Um gegen diese Handy-Schummeleien vorzugehen, hat die Schulkonferenz des Lessing-Gymnasiums beschlossen, dass ein absolutes Handyverbot im Schulgebäude besteht. "Wird ein Schüler mit seinem Smartphone erwischt, sammelt der Lehrer es ein. Die Eltern des Schülers können es dann im Schulbüro wieder abholen", sagt Annette Leopold, Schulleiterin des Lessing-Gymnasiums. Am Gymnasium Kaltenkirchen wird darüber nachgedacht, künftig Handyinseln einzuführen. Hierbei handelt es sich um markierte Bereiche auf dem Schulgelände, in denen die Benutzung von Smartphones erlaubt ist. "Bis jetzt ist dies jedoch nur eine Überlegung", so Schulleiter Reinhard Redemund.

Generell kann jede Schule selbst entscheiden, wie sie die Nutzung von Handys handhabt. Ein Verbot, sein Handy in der Schule mit sich zu führen, ist laut Bildungsministerium jedoch unverhältnismäßig, da das Mobiltelefon "zum grundgesetzlich geschützten Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit gehört".

Nicht alle Maßnahmen gegen Handybenutzung in Schulen sind mit der Rechtslage zu vereinbaren. So sah Jochen Paustian, Schulleiter der Dahlmannschule in Bad Segeberg, in einer Handy-Ortung durch Detektoren eine gute Möglichkeit, um das Schummeln in der Schule zu reduzieren. Das Bildungsministerium Schleswig-Holstein stellte jedoch klar, dass es keine Rechtsgrundlage zur Detektorennutzung in Schulen gibt. Außerdem dürfen Lehrerinnen und Lehrer, wenn sie einen Schüler aktiv beim Schummeln mit dem Handy erwischen, das Gerät nur höchstens bis zum Ende des Schultages einziehen. Mehrere Tage darf die Lehrkraft dem Schüler das Handy nicht wegnehmen. Ebenso ist es dem Lehrer nicht gestattet, auf den Inhalt des Smartphones zuzugreifen, um sich SMS-Verläufe anzusehen und so mögliche Schummelversuche aufzudecken.

Viele Lehrer sehen neben all den Schummeleien durch Handys aber auch positive Aspekte der Handynutzung in Schulen. "Laut Hausordnung sind Handys im Unterricht bei uns verboten. Im Sprachunterricht kann es jedoch manchmal auch von Nutzen sein", sagt Heike Schlesselmann. "Das Smartphone als Wörterbuch ist zeitsparend und äußerst funktional."