Zwei elfte Klassen des Gymnasiums Harksheide beim Planspiel Kommunalpolitik im Norderstedter Rathaus

Norderstedt. Das Problem mit der parlamentarischen Demokratie ist, dass sie zuweilen ein zähes Geschäft ist. Besonders auf der untersten, der kommunalen Ebene. Das weiß jeder, der schon mal im Kampf gegen einschlafende Füße und Gähnkrämpfe die Ausschussvorlagen für die Ausweisung eines Baugebietes, die Gründung einer städtischen Gesellschaft oder den Lärmaktionsplan durchgearbeitet hat. Und der danach seine und die Standpunkte seiner Fraktion in den dienstagabendlichen Stadtvertretersitzungen bei diffusem Licht im braun getäfelten Plenarsaal des Rathauses am Rednerpult vertreten musste, unter dem leicht gnatzigen Blick des Bundespräsidenten, dessen gerahmtes Konterfei an der Seitenwand des Saals als einzige Ablenkung in der parlamentarischen Nüchternheit taugt.

Sich klar zu machen, dass dieses zähe Geschäft Demokratie gleichwohl zum Großartigsten gehört, was die zivilisierte Gesellschaft in ihrer Geschichte hinbekommen hat, ist für erfahrene und überzeugte Demokraten die leichteste Übung. Doch der angeblich so Politik verdrossene Nachwuchs, nimmt der nicht eher Reißaus, wenn er den real existierenden demokratischen Willensbildungsprozess im Norderstedter Rathaus erlebt?

Junge Regenbogentiger treffen auf erfahrene Politik-Urgesteine

Am Montag wurden in Norderstedt zwei 11. Klassen des Gymnasiums Harksheide von ihren Lehrern und der Friedrich-Ebert-Stiftung aus Hamburg zum Praxistest gebeten. Planspiel Kommunalpolitik! Schüler dürfen Stadtvertreter sein, dürfen sich in Fantasie-Fraktionen wie GIV (Gemeinsam Interessen verwirklichen), JuA, (Jung und Alt) oder den Regenbogentigern im Plenarsaal verteilen, müssen politische Ziele formulieren, Anträge vorbereiten, diese formulieren, bei der Verwaltung einreichen und in der Sitzung am Rednerpult vertreten und begründen, um Mehrheiten zu gewinnen. Das alles unter Wahrung sämtlicher Regularien einer echten Stadtvertreter-Sitzung. In der Woche zuvor hatten sich die Schüler im Unterricht mit Kommunalpolitik beschäftigt, wurden vorbereitet von erfahrenen Stadtvertretern aller Norderstedter Fraktionen.

In medias res: Die stellvertretende Stadtpräsidentin Sybille Hahn eröffnet am Montag die Sitzung. Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote berichtet. Er beherrscht seine Rolle gut. Denn er macht einfach, was er sonst auch immer macht. In unnachahmlichem Verwaltungs-Sprech berichtet er vom Finanzausgleich zwischen Land und Kommunen und der geplanten Förderung von Oberzentren. Die Worte rieseln über die ledergepolsterten Stuhlreihen im Plenum und es ist, als stünden Blasen und Fragezeichen über den Köpfen der Schüler. Viele blicken sich an und lächeln, zucken mit den Schultern. Klar: Kaum einer versteht auch nur ansatzweise, von was der OB da vorne redet. Doch das geht auch erfahrenen Stadtvertretern so. Die schauen in solchen Situationen dann einfach wissend und interessiert und lesen hinterher nach, worum es ging.

Worum es den Schülern geht, das übersetzen sie in der Sitzung in Anfragen und Anträgen. Ein Nachtbus nach Tangstedt, ein neuer Radweg auf der Straße Fadens Tannen, die CO2-neutrale Stadt, Public Viewing zur WM 2014, ein Gelände für das Ballerspiel Softair, eine Schlittschuhbahn im Stadtpark, ein Fahrradparkhaus, die Sanierung des Lessing-Gymnasiums und kostenloses WLAN für alle - wer politischen Idealismus mit feurigen Reden erwartet hatte, sah sich enttäuscht.

Norderstedter Kommunalpolitik ist in der Schule nur selten Thema

Stattdessen überwog das Anspruchsdenken auf Kosten der Allgemeinheit. Was die Schüler fabelhafterweise erkannten, worauf sie die meisten Anträge als nicht förderungswürdig oder als zu teuer ablehnten. Die Schüler-Stadtvertreter erweisen sich als wache Volksvertreter.

Nach der ersten Stadtvertretungssitzung seines Lebens sagt Arne Petersen, stellvertretender Vorsitzender der GIV, dass Kommunalpolitik bisher in seinem Leben keine Rolle gespielt habe. "In der Schule reden wir kaum darüber, eher über die Weltpolitik, die globalen Themen." In den Medien, die er nutze, komme Kommunalpolitik kaum vor. Das Abendblatt zum Beispiel, lese er nicht. "Nach dem Tag heute kann ich mir schon vorstellen, mich mehr zu engagieren", sagt Petersen. Für seine Politik-Lehrerin Ruth Althoetmar scheint der Zweck des Planspiels erfüllt. "Es ging darum, den Schülern zu zeigen, welche politischen Möglichkeiten zu Gestaltung in der Kommune bestehen. Das geht am besten in der Praxis." Im Unterricht komme das oft zu kurz.

Stadtvertreter Jürgen Lange (SPD), einer der Paten der Schüler-Fraktionen, lobt das Planspiel als gelungenen Weg, jungen Menschen die Wichtigkeit von Kommunalpolitik für das eigene Lebensumfeld aufzuzeigen. "Die Begegnungen zwischen uns Stadtvertretern und den Schülern - da ist viel hängen geblieben bei den jungen Leuten, das nachwirkt."

So wie bei der 17-jährigen Schülerin Julia Kludt, die nach etlichen Redebeiträgen zu Anfragen und Anträgen gut gelaunt am Ende des Planspiels Kommunalpolitik resümiert: "Kommunalpolitik? Find ich eigentlich ziemlich cool. Ich muss mich einer Partei anschließen, in die Stadtvertretung gewählt werden - und kann dann zu wichtigen Themen in der Stadt meine Meinung loswerden!" Demokratie-Definition, so kurz und prägnant wie eine Twitter-Meldung.