Historische Uhren sind die Passion von Gerhard Jost. Ein Besuch in seinem Privatmuseum und der Uhrmacherwerkstatt

Zur Mittagsstunde wird das Haus von Gerhard Jost, 69, an der Segeberger Chaussee zu einem Klangkörper. Es klingelt, schellt, Glocken werden geschlagen, die einen ehrwürdig und vollvolumig im Stile des Big Ben, andere nüchtern und sachlich, manche sogar mit Abstand zweimal, damit es auch jener mitbekommt, der beim ersten Klang nur das halbe Ohr eingesetzt hatte. Aus dem Untergeschoss des Hauses kommt der Glockenklang ebenso wie aus dem Obergeschoss. Uhren - sie sind überall im Haus von Gerhard Jost. "Daran muss man sich bei uns gewöhnen", sagt Jost.

Er geht die Stufen ins Untergeschoss hinunter und drückt auf den Lichtschalter. Ein kleines Museum der Zeitbestimmung wird erleuchtet. Seine Schätze stehen und hängen ringsum an den Wänden, sie ticken, pendeln und rattern. Antike englische Standuhren aus dem 18. und 19. Jahrhundert, daneben hängen über 250 Jahre alte französische Comtoise-Pendeluhren, eine von Jost restaurierte friesische Stoeluur von 1740 - ein reich verziertes, auf einer Art Stuhl-Halterung an der Wand hängendes Modell - und in den Vitrinen liegen Armbanduhren namhafter Hersteller aus dem 20. Jahrhundert. Die Zeitmessung vergangener Epochen hat sein Asyl im Keller des Norderstedters gefunden.

Seine Hand ist noch ganz ruhig, die Augen werden im Alter sogar besser

"Zeit kann man eigentlich nicht messen. Uhren sind lediglich Taktgeber, es geht um die Bestimmung von Zeit", sagt Jost und führt den Gast weiter in einen kleinen Nebenraum. Die komfortabel ausgestattete Werkstatt eines Uhrmachermeisters. Präzisionsmaschinen, die auf ein Tausendstel Millimeter genau justiert sind. Miniaturinstrumente für all die winzigen Rädchen, Federn, Schrauben, bei denen einem die Augen schmerzen, will man sie sich genau und im Detail betrachten, denn dies geht eigentlich nur mit einer mehrfach verstärkenden Lupe vor dem Auge. Gerhard Jost zieht eine von vielen kleinen Schächtelchen aus einem Regal, die dort säuberlich gestapelt liegen. Sie ist voller goldener und silberner Uhrenbauteile. Jost hält die Schachtel, ohne zu wackeln. "Meine Hände sind noch sehr ruhig. Und meine Augen, so habe ich das Gefühl, werden mit dem Alter sogar noch besser."

Uhren sind das Lebensthema von Gerhard Jost. Sie prägten die jungen Jahre seines Lebens, und sie sind seine Passion im Alter. Ein Kreis, der sich schließt. Jost ist Süddeutscher, wird in Pforzheim geboren, wächst aber in Bad Säckingen im südwestlichen Zipfel des Landes auf. Sein Vater leitet dort eine Uhrenfabrik. "Als Lehrling hatte ich es unter meinem Vater am schwierigsten von allen. Von mir hat er immer mehr verlangt", sagt Jost. Doch Vater und Sohn teilen die Faszination am Wunderwerk Uhr, und Jost kniet sich in die Lehre hinein. Sein Ziel: London. "Ich hatte die Aussicht, bei entsprechenden Leistungen für ein Jahr in eine Uhrenfabrik nach London zu wechseln." 1961 schließlich hat er es geschafft. In der britischen Metropole begründet Gerhard Jost seine Leidenschaft für die Uhrenmodelle der Uhrmachermeister von der Insel.

Dass Jost sein Leben aber nicht als Uhrmacher verbringt, sondern viele Jahrzehnte im Direktorium des Technologie-Riesen Philips, ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass es nicht immer gelingt, seine Leidenschaft auch für den Broterwerb einzusetzen. Doch ganz gleich, ob Jost in London, Paris, New York, Moskau oder Kiew in Sachen Medizintechnik für Philips unterwegs ist, sein Faible für Uhren führt ihn immer zum Uhrengeschäft um die Ecke, zu Gleichgesinnten in allen Ländern. Und so wächst seine Sammlung an Uhren, und der Uhrmacher in ihm bleibt immer wach.

Defekte Bauteile fertigt der 69-Jährige mit größter Präzision einfach neu an

"Als ich in den Ruhestand ging, war es für mich klar: Du wirst nicht einer von diesen Ausgeschiedenen, die immer mal wieder in der alten Firma vorbeischauen und ihre Nachfolger mit unnötigen Ratschlägen von der Arbeit abhalten", sagt Jost. Jost baut lieber sein kleines Museum auf, hängt das Schild "Antique english clocks" an den Straßenrand der Segeberger Chaussee und wird in der Region zu einer Anlaufstelle für alle, die eine historische Uhr kaufen wollen oder ein kaputtes Modell nirgendwo mehr repariert bekommen. "Es ist gut, wenn die Leute diese alten Uhren nicht zu Stümpern bringen, die schlecht daran gewerkelt haben. Das macht mir die Arbeit schwer", sagt Jost. Auf dem Tisch in seiner Werkstatt liegt gerade eine in all ihre Einzelteile zerlegte Tissot-Armbanduhr. Jost säubert alle Teile akribisch und findet die mitunter winzigen Schäden, die für die Ungenauigkeit der Uhr oder ihren Stillstand verantwortlich sind. Egal wie winzig die Bauteile sind - Jost baut sie in seiner Werkstatt mit höchster Präzision nach und bringt die alte Uhr wieder zur gewohnten Präzision.

Gröber und handfester geht es in seiner Holzwerkstatt zur Sache. Jost renoviert auch die Gehäuse alter Standuhren und die aufwendig verzierten Ziffernblätter mit ihren Malereien. Völlig auseinander gebaut steht das Gehäuse einer Comtoise-Pendeluhr aufgebockt in der Holzwerkstatt und gibt den Blick frei auf das verwirrende Zusammenspiel von Zähnrädern und anderen Bauteilen in ihrem Inneren. "Diese unglaubliche Ingenieurs-Leistung der Uhrmacher, immer eine technische Lösung für die Präzision der Zeitbestimmung zu finden, das fasziniert mich bis heute."

Für die Volkshochschule Norderstedt hat Jost sein Wissen über die Uhren und die Zeit in Vortragsform gegossen. Sein letzter Auftritt war ausgebucht. Denn Jost kann nicht nur gut an Uhren schrauben, er kann auch spannend von ihnen und ihrer Bestimmung erzählen. Es macht Spaß, mit Jost in vergangene Jahrhunderte zu entfliehen, in denen die Menschen sich nach dem Stand der Sonne oder der Sterne takteten und nicht dem digitalen Drängler am Handgelenk hinterherhechelten. "Früher hatten die Leute in jedem Dorf eine andere Zeit. Allein der Schlag der Glocken im Kirchturm unterteilte den Tag", sagt Jost.

Bevor die Menschen ab 1300 mechanische Uhren mit einer Spindelhemmung nutzten, im 16. Jahrhundert federgetriebene Uhren und um 1650 die schon recht exakten Pendeluhren entwickelten, da behalfen sie sich mit Sonnen-, Feuer-, Sand- oder Wasseruhren. In der Kirche hängte man ab dem 15. Jahrhundert dem Pastor eine Sanduhr mit vier drehbaren Glaskolben unter die Kanzel. Jeder Kolben stand für eine Viertelstunde. So wusste der Gläubige immer, wie lange er die Standpauke des Geistlichen noch zu ertragen hatte. Eine derart unpräzise Zeitbestimmung können wir uns heute in unserem von Atomuhr gesteuerten Alltag, der Termine auf die Sekunde genau möglich macht, kaum noch vorstellen.

Viel Zeit hat sich Jost auch für die Verbindung seiner Passion für Uhren und das Filmen genommen. Manchem in Norderstedt wird Jost noch als Aktiver der Norderstedter Filmwerkstatt in Erinnerung sein. Jost drehte und schnitt Dokumentarfilme über Zeitbestimmung und Uhren. Er drehte die Nachstellung des Versuchs des französischen Physikers Jean Bernard Léon Foucault, der 1851 mit einem Pendel die Rotation der Erde nachwies. Und er besuchte das Werk des legendären Uhrenherstellers IWC in Schaffhausen, um dort mit der Kamera bei der Herstellung einer der kompliziertesten und teuersten Uhren der Welt dabei zu sein, der "Il Destriero".

Billige Asien-Kopien sind für den Uhren-Aficionado eine Beleidigung

In der Ausstellung seiner Uhren stellt Jost eine mit Samt ausgeschlagene Schatulle auf einen Stehtisch. Darin sehr große, sehr teure Markenuhren, Hublot, Tag Heuer, Rolex und Longines, mehrere Zehntausend Euro an Wert liegen hier - denkt der Laie. "Alles Fake", sagt Jost. Es handelt sich um die bei Blendern beliebten Kopien von hochpreisigen Markenuhren, die in Asien hergestellt werden und für kaum 200 Dollar zu haben sind. "Die sind zum Teil sehr gut gemacht. Und auch als Kenner muss man genau hinschauen", sagt Jost. Regelmäßig entlarvt er die billigen Kopien mit einem Blick ins Innere. So mancher Kunde, der ihm diese Zwiebeln vorbeibringe, müsse sich auf Spott gefasst machen.

Denn für einen Uhren-Aficionado wie Gerhard Jost bleibt die billige Kopie aus Fernost doch immer nur eine Beleidigung. Jost zitiert dazu gerne Johann Wolfgang von Goethe: "Allem Leben, allem Tun, aller Kunst muss das Handwerk vorausgehen."