Als meine Mutter, es ist nicht so lange her, sich im Alter von annähernd 80 Jahren dazu entschloss, erstmals ein Fernsehgerät zu erwerben, betrat sie couragiert die Räumlichkeiten eines einschlägigen Fachmarktes und verblüffte das Personal mit der energischen Ansage: "Aber keine Schwarz-Weiß-Glotze, bitteschön!" Irgendwie hatte es sich noch nicht bis zu ihr herumgesprochen, dass es solche Geräte längst nicht mehr im Handel gab.

Warum eigentlich nicht? Schwarz-Weiß passt viel besser zu uns. Weshalb haben wir Farbfernseher gekauft und die Wohnzimmerwände mit LED-Riesenmonitoren verbaut? Wieso zeigen sie uns im Kino 3-D-Welten, gedreht im "Higher Frame Rate"-Verfahren, wo kein Geheimnis mehr in Unschärfe verschleiert bleibt? So genau möchten wir es doch gar nicht wissen. Uns genügen ein paar Sekunden per Handy gefilmter Wackelbilder, um den kompletten Film im Kopf zu entwickeln.

Zum Beispiel diesen: Zwei Männer, ein Hund, ein Futternapf. Als sich der eine Mann dem anderen nähert, reißt das Tier an seiner Leine, springt den Entgegenkommenden aggressiv an und wird vom Hundehalter durch einen Schlag mit dem Futternapf abgestraft. Das ist 2009 passiert, im Rahmen eines Trainings auf dem Gelände einer Hundeschule in Bad Bramstedt. Heute kursiert das Filmchen im Internet. Hunderttausende regen sich auf, bezichtigen den Hundetrainer übelster Schinderei, rufen zum Boykott der Hundeschule auf und versteigen sich in Verbalattacken bis hin zur Morddrohung.

Ich verstehe nichts von Hunden und deren Erziehung. Ich möchte nicht mit einem Napf geschlagen werden, aber ich versuche immerhin auch, niemanden zu beißen - selbst wenn es einem manchmal ja durchaus schwer fällt, in dieser Hinsicht Zurückhaltung zu üben.

Beispielsweise, wenn den Menschen in unserem Zeitalter allerfeinster Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten ein paar Wackelbilder reichen, um die Beweisfindung abzuschließen und den Scheiterhaufen aufzuschichten.

Rückblende in den Elektronikfachmarkt. Gerade hatten die Verkäufer meine zweifelnde Mutter mühsam davon überzeugt, dass sie nun wirklich keine Schwarz-Weiß-Geräte mehr führten, da flimmerte neben ihnen an einer Videowand auf 1000 Monitoren eine Dokumentation über die Fußball-WM 1954 - mit Originalaufnahmen. Aus dem Hintergrund schoss Helmut Rahn. Natürlich in Schwarz-Weiß. "Ihr lügt doch alle!" beschwerte sich meine Mutter und verließ den Laden.

Gegen die Macht der Bilder lässt sich schwer etwas machen. Außer: Den Verstand einschalten.