Stefan Zimmermann und Jenny-Joy Kreindl lasen im Kulturwerk aus dem Moltke-Briefwechsel

Norderstedt. Zwei Tische, zwei Lampen, zwei Kerzen. Doch schon diese drei Requisiten deuten auf zwei völlig unterschiedliche Orte hin. Der eine Tisch steht in einem Schloss, der zweite im Gefängnis. Die eine Lampe verbreitet eine heimelige Atmosphäre, die zweite ist ein Blechteller, darunter die Glühlampe. Spiegelt sie sich durch Licht an der Wand, nimmt sie die Konturen eines Galgens an. Die Atmosphäre im Saal ist gespannt. Still lauscht das Publikum im Kulturwerk am See der szenischen Lesung "Als bliebe ich am Leben" zwischen Graf Moltke und seiner Ehefrau Freya. Der Saal indes ist mäßig besetzt, Problemstücke, zumal aus der Nazi-Diktatur, haben keine Konjunktur.

Die Schauspieler Jenny-Joy Kreindl als Freya Gräfin Moltke und Stefan Zimmermann als Helmuth James Graf Moltke entfalten einen Sog, der die Zuhörer in die Zeit des NS-Terrors, der Willkür und permanenten Bedrohung der Hinrichtung zieht. Die Nähe von Bühne und Zuschauer im Kulturwerk am See verstärkt diese Wirkung, und so kann sich ein Kammerspiel mit magischen Momenten entwickeln. Wenn da nicht die am Anfang doch sehr affektierte, teils schrille Stimme Kreindls wäre. Sie liest exaltiert, zu laut, zu schnell. Es fehlt Innigkeit, sodass die liebevollen, zärtlichen Sequenzen der Briefe Freyas an ihren, mit dem Tod bedrohten Ehemann verloren gehen. Sie liest beispielsweise "Wenn Gott die Trennung von uns fordert...", wie eine alltägliche Nachricht.

Stefan Zimmermann hingegen folgt den Intentionen der Briefe Moltkes an seine Ehefrau mit hohem Einfühlungsvermögen, ohne sentimental zu werden. Die eigene innere Auseinandersetzung mit Gott und seinem Tod gestaltet er wie ein Zwiegespräch mit sich selbst. Er zeichnet den Mann, der weiß, dass er zum Tod verurteilt wird, als gefassten, in sich ruhenden Menschen. Souverän entwickelt er sogar eine gelassene Heiterkeit, und Sätze wie "Das Leben zwischen Tod und Leben ist anstrengend" oder auch "Die Eier der neuen Henne sind besonders gut", direkt gefolgt von "Mein Herz, meine Gedanken suchen dich", gelingen ihm ohne Sarkasmus.

Zimmermanns Ruhe scheint sich zunehmend auf Kreindl auszuwirken. Sie liest in der zweiten Hälfte immer noch aufbrausend und teilweise aufdringlich, was aber auch der Ausdrucksweise der 2010 verstorbenen Gräfin entsprechen könnte, zeigt aber endlich mehr Verständnis und Gefühl für die private Freya. Gräfin Moltke war eine der ersten Frauen Deutschlands, die zur Juristin promoviert wurde.

Die szenische Lesung, bei der das Tournee-Theater a.gon im Bühnenhintergrund Szenen aus Freisau und Berlin zeigte, war mit 90 Minuten angekündigt, dauerte dann aber doch zwei volle Stunden. 30 Minuten Alltagsbeschreibungen weniger im Text, hätte die Intensität des Stücks noch erhöht.